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wie sein Commis erscheinen. Alles zusammengenommen hält das Mini sterium nur darum so viel auf deS Marschalls Präsidentschaft, weil Hr. Guizot keinen wahren Präsidenten über sich leiden würde, und selbst diesen Titel nicht anzusprechen wagt. Wir müssen ihm deshalb sagen, daß er nicht den Muth der Verhältnisse und seiner Ideen besitze. Ist er der Leiter des Cabinetö, so mag er auch der Kammer so gegenübcrtreten. Hr. ThierS ist Ministerpräsident gewesen, warum soll cS Hr. Guizot nicht auch sein? Die Stellungen würden dann bestimmter sein, das Ministerium seine» wahren Namen bekommen und der politische Kampf ein größerer werden. — Die auf gestern bestimmt gewesene Versteigerung deS Courri er franyais hat nicht stattgefunden, weil sich Niemand fand, der das An gebot von 25,avv Fr. überbieten wollte. — Vom Rcdactcur der Evoquc, des verbreiterten Globc, dem Hrn. Granier de Cassagnac, ist gegen den Schneider und Poeten Constant Hilbey eine Klage angestellt worden, weil ihm derselbe nachgesagt, daß er ihm für vier. silberne Bestecke und ein halb Dutzend Kaffeelöffel eine vortheilhafte Bcurtheilung seines Buchs „Dichterzorn" verfaßt habe. — In Marseille sind am 22. Oct. noch -10 italienische Flücht linge aus Livorno angckommen, die zu den aus dem Kirchenstaate nach ToScana übcrgetrctcncn gehören. — In den Departements ist die Ertheilung halbjährlichen Urlaubs an die Soldaten durch einen Ministerialbefehs suspendirt worden. Die Truppenscndung nach Algerien erklärt diese Maßregel. — Der Schluß der gestern von Perpignan eingelaufenen telegra phischen Nachrichten ist noch nicht bekannt gemacht. Das herrschende trübe Wetter hat vermuthlich die weitern telegraphischen Mitthcilungen unterbrochen. * Paris, 25. Oct. Nachdem die bildenden Künste im l 6. Jahr hundert sich von ihrer mächtigen Gebieterin und Beschützerin, der katho lischen Kirche, losgerissen hatten, fielen sie so zu sagen aus einander und in anarchische Zerrüttung. Oer zusammcnhaltcnde Geist der Einheit wich aus ihnen; individuelle Auffassungen, protestantische Kunstprincipien tra ten da hervor, wo sonst eine Grundidee vorherrschte, ein und derselbe Geist wehte und keine Privatoriginalität auf Unkosten der alten hergebrachten Regeln sich geltend machte. Bildncrci und Malerei fingen an, fich von der Architektur, der Mutter der bildenden Kunst, zu trennen und abge sondert von ihr zu glänzen; allein sticht mehr unter dem strengen Scep- 1er der Regel und herkömmlichen Satzung, sondern blos auf Privatge schmack, Phantasie und Neigung angewiesen, verirrten sie sich bald auf allerlei Abwege und stöhnten als feile Mägde der Welt, der Mode, der Eitelkeit, dem Luxus und Herrscherprunk- Obgleich noch große Meister in allen Fächern nach dieser Trennung aufstanben, so kann 'man doch sa gen, daß dieselbe in hohem Grade nachtheilig wirkte. In Frankreich hat die Kunst seit Ludwig XIV. alle Stadien des Verfalls durchlaufen. Sic wurde von neuem eine Mode, die aus der Mode kam, sobald die Ton anaeber eine andere aufbrachten. Man nennt die Regierungszeit Ludwig's XtV. gewöhnlich die Perrückenzcit; aber sic hat einen gewissen Anstand und Ernst, eine gewisse Würde und Gravität und sogar eine Art nobler Repräsentation und imponircndcr Grandezza. Wenn Ludwig XIV. seine von den Schultern herabwallende Allonqcnperrücke hin und her bewegte, mochte er immerhin einige Aehnlichkeit haben mit dem zornigen Donner gotte, der mit dem Schütteln seines lockigen Haupthaars den hohen Olymp zittern und beben machte. Daß Haargckräuscl deS 17. Jahrhunderts war ganz in Harmonie mit den bildenden Künsten, die zu jener Zeit etwas Äcveligcs, Formloses, Geringeltes, Wulstiges und bei alledem etwas Majestätisches hatten. Unter Ludwig XV. ändert sich mit den Kleider- npdcn auch die Kunst. Alles wird kleinlicher, flatteriger, zopsichter und bekommt den Charakter spielender Willkür. In der Zeit eines so verderb ten und fieberhaften Geschmacks darf man fich nicht verwundern, daß die Gemälde von Rafael und seinen Vorgängern, wie die antiken Statuen, für kalt, steif und trocken galten. Der Kirchenstyl wurde fratzenhaft und verlor ganz und gar alle Hoheit und Würde; die Malerei wurde mit eklektischer Gelehrsamkeit immer natur- und seelenloser und sank endlich zu gänzlicher Faustpraxis herab. Die Entartung des Kunst- und For- mcnsinnes konnte nicht weiter gehen, und fast verdient David, hinsichtlich des Zeichnens und Formcngebcns, den Namen eines WicberherstellerS der Kunst. Die Revolution schaffte Zopf und Haarbeutel ab und brachte da für die Titus- und Brutusköpfc auf. Was früher als schön und vor trefflich anerkannt war, erscheint jetzt als garstig und verächtlich. Man durchwühlt das ganze heidnische Altcrthum, und Alles wird antik in der , Malerei, Plastik und Architektur. Man copirt Griechenland und Rom, man baut Kirchen, Börsen, Findel-, Zucht- und Ständchäuser nach gric- i chischem und römischem Zuschnitte mit ionischen und dorischen Säulenstel lungen; Apostel, Revolutionsmänner, Märtyrer, kaiserliche Grenadiere werden in Toga und Paludamcntum oder antikisch nackr dargestcllt; die Figuren in den Gemälden sind nichts als drapirte oder undrapirte Sta- : tuen in schauspielermäßigen Stellungen, lauter versteinerte Theaterhelden; , Modelle, ziemlich richtig gezeichnet, nicht etwa der Natur getreu, sondern l nach GypSabgüsscn mit einer abstrakten Schönhcitsmanier, welche alle > Charakteristik ertödtet, sodaß, wenn auch die verschiedensten Gestalten zur < Anschauung gebracht werden, doch alle wie Kinder Einer Mutter oder i Abdrücke Einer Form aussehcn, und der Petrus vom Paulus, der Achill i vom Ajax, der Tamerlan vom Bajazet auf keine Weise zu unterscheiden c find. Solch leeres Machwerk nannte man classisch. Das Zeichnen und > Malen nach dem Zollstocke dieses antikisirendcn Geschmacks dauerte die > ganze Kaiserzcit hindurch bis in die letzten Jahre der Restauration, wo i dem entnervten Idealismus der David'schen Schule ein lebenskräftiger j - Naturalismus entaegeutrat, auf welchem sich eine neue Richtung begrün» . detc. Gesündere Farbe, individuellere Zeichnung, lebendigere Charakteri- i stik, geistreichere Technik sind daraus hervorgegangen; dir abstrakte For- t mcnlehre ist einer konkreten Naturfülle gewichen; die transparent schillernde, ; verschmolzene, porzcllaimlatte Behandlung hat einem pikanten, pastosen, ; unvcrtriebcnc» Auftrage Platz gemacht; aber rasch ist die Folge dieses freien l Naturwirkcns gegen die fesselnde Convenienz cingetreten, eben so rasch i wie weiland bei den Nachahmern des Caravaggio, der den Idealisten sei- . ner Zeit gegenüber gleiche Tendenz verfolgte. x Verhüllte die altere Schule die innere Leblosigkeit ihrer Gestalten in , äußerer künstlerischer Vollendung und gleichmäßiger Abrundung, so ver birgt dagegen die neuere Richtung die Bedeutungslosigkeit ihrer Werkel- tagSmodelle hinter grelle Farbencontrastc und kecke Jmpastirung, und an ' die Stelle der früher» manicrirten Grazie und übertriebenen Süßigkeit ist nüchterne Roheit und prosaische Natürlichkeit getreten. Tüchtige For- ' men, fest ausgeprägte GesichtSzüae, dramatische Stellung, Haltung, Be wegung bleiben auch den französischen Malern zweiten und letzten Ran ges; aber der Abel der Seele fehlt in dieser sinnlich kraftvollen und ener gisch bewegten Körperlichkeit, und gerade den fodcrt das historische Bild > gebieterisch, wenn seine Gestalten erhebend und nachhaltig auf unS wirken sollen. Selbst Kirchenbildcr bekommen das Ansehen von Decorations- > stücken, die Wirkung, d. h. den Knalleffect, nicht den Inhalt des Gsgen : standes berücksichtigen die Künstler, und einige steigen in die niedrigste Alltagswclt herab, um die Modelle zu ihren Christus- und Apostelköpfett . zu suchen. Auch hier zeigt sich jene wilde Kunstcntartung, die, wie die . Poesie, so auch die Malerei der Franzosen tief angefressen hat: wir mei nen jene Tendenz der Gräßlichkeit, die durch Darstellung äußerster, hoff nungsloser Momente in dem Beschauer eine peinliche Seelenanast zu er wecken und durch Heroorkchrung dämonischer Nachtseiten der Menschheit die überreizten Nerven zu spannen sucht. Dem Kunstfreund ist zwar der Eindruck, den die in der Ausstellung vorkommcnden gräßlichen Sujets von Grausamkeiten machen, in hohem Grade zuwider; doch muß derselbe für empfindsame Seelen ganz unerträglich sein. Denn auf mehren Kirchen- bildcrn sieht man Heilige auf die schauderhafteste Weise martern, wobei die in den Märtyrergeschichtcn sogenannten Tyrannen gewöhnlich als phleg matisch zuschend und ihre Helfershelfer bestialisch grinsend und so recht e<>» c-usto arbeitend dargestcllt sind, Dahin gehören die Bilder von The- vcnin, Bonniere, Mouchy, Detouchc u. A. Der Unsinn des Schauerlichen kann nicht weiter gehen als in diesen Bildern, die nicht ohne Energie und Geschicklichkeit, aber mit nervcnfol- terndcr Natürlichkeit gemalt sind. So weit mein Bildcrsehen reicht, muß ich diesen Stücken vor allen, die je in diesem Genre gearbeitet worden, den .Preis.der Gefühlsroheit zuerkennen, denn die blutigen Märtyrersccnen, wie das Mittelalter in seiner naiven Derbheit sie Marte und meißelte, er scheinen hier dagegen als idyllisches Kinder- und Schäferspiel, und die großen Meister der Renaissance haben dieselben gräßlichen Geschichten und Gegenstände auf eine so seine und dißcrcte Weise behandelt, baß sie den Beschauer selbst mit dem Schrecklichsten auszusöhncn wußten. Nur von spanischen Malern sind mir einzelne Bilder vorgekommen, welche den mo dernfranzösischen Kirchcnbildern allenfalls die Stange halten; aber diese» Künstlern muß man dergleichen abscheuliche Dinge zu gute halten, da cS bestellte Arbeiten für die damalige fanatische Geistlichkeit Spaniens waren, die sich einbildcte, je mehr man die Heiligen martern ließe, desto höher säßen sie im Himmel. Da sie nun dem lieben Gott näher sitzend man chen günstigen Augenblick für ihre frommen Clienten im Wcltgetümmcl um jo eher erspähen und benutzen konnten, so war damit für ihre Ccle- brität und für die geistliche Dienerschaft um so mehr zu gewinnen. Zu dem Ende wurden nun die erschrecklichsten Martern plan- und specula- tionsmäßig ausgesonnen und danach Bilder bei den Malern bestellt. Sollte die französische Geistlichkeit des 19. Jahrhunderts vielleicht auch so denken wie die spanische Klerisei von damals? Auffallend ist jedenfalls, daß die obengenannten Gräuelbildcr meist auf Bestellung von Kirchcnkäm- mercicn, theilweise sogar im Auftrage der Regierung ausgeführt sind. Schweiz. Die Besitznahme des waadter Dappenthals von Frankreich (Nr. 392) wird von dem Nouvclliste VaudoiS gänzlich in Abrede gestellt. Italien. Die augsburgcr Allgemeine Zeitung berichtet aus Florenz vom 21. Oct.: „Vor kurzem wurde der in hohem Alter stehende erste Staats minister Marchese Neri Corsini, Bruder des Fürsten Corsini, von einem bedenklichen Schlaganfalle betroffen. — Am 18. Oct. wurde die zweite Sectio» dcr Leopolds-Eisenbahn feierlich emgeweiht und am darauf folgenden Tage dcr Benutzung des Publikums übergeben. Dürkei. *Äonstantinopel, 15. Oct. Auch in dcr Provinz Mossul hatte während dieses Sommers große Trockenheit geherrscht, sodaß in dcr Wüste alle Quellen und Brunnen versiegt waren. Die arabischen Nvmadentri- bus der Wüste hatten deshalb von Mohammed-Pascha, dem Gouverneur von Mossul, die Erlaubniß erhalten, sich 3 —<1 Stunden von der Stadt an den Ufern des Tigris niederzulassen. In kurzer Zeit hatten sie dort über 20,WO Zelte aufgeschlagen. Ihren alten Gewohnheiten getreu ver übten sie bald allenthalben Räubereien und Mordthatcn und machten die ganze Gegend unsicher. Der Pascha befahl den ungezogenen Gästen wie der abzuziehcn, was sie verweigerten. Nun beschloß er eine Expedition gegen sie; allein zu schwach, verband er sich mit dem mächtigen TribuS dcr Araber Ancsis, fiel mit seinen Soldaten und ihnen unversehens über sic her, schlug sie aufs Haupt und zwang sie zu einer Capitulation. Ber-