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Montag —— Nr. 265. 2S. September 184S. WM Dmtfche Alkgemeitte ZeLtrmg. UM -Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» U-Ve-Vlick. D«»ts<bla«d. gß Dresden Interpellation in Betreff des StrafprocesseS. Deputationswahl. f-Atuttaart- Die Deutsch-Katholiken-— Pastoralcon- ferenz in Lichtenthal- "vomTaunus. Die Rabbinerversammlung. N«e«Fcn. ** Nordhausen. Die Einweihung der Synagoge, s Non der Vaale. Die protestantischen Freunde. * Königsberg. Ein jüdischer Pro selyt. — Die Deutsch-Katholiken. Spanten. Madrid. Die Minister. Die Unterhandlungen mit Rom. Bar celona. Hr. LhierS- «ArnFbrttannien. Buenos AyreS. Kaper. Rüstungen. Der Great Bri tain. Neuseeland. Frankreich. Der Herzog von Montpensier. Marschall Soult. Marschall Bugeaud. Wahl. Otaheiti. Q Paris. Ludwig Philipp in Eu und seine Familie. Velgten. Eröffnung der Kammern. Schtvetz. - Von der Aar. Bern. Luzern. Morbamerika. KriegSrüstungrn. Mejiro. Rüstungen- MejE. Der Nationalconvent. ^»ersonalnachrichten. Hande» und lJnduftrie. * Leipzig. Oelhandel. — Berlin. «nkünbigungen. Deutschland. * Dresden, 2V. Sepl. Der Abg. Schäffer reichte in der II. Kam mer eine Petition ein, deren Schlußanlraä dahin geht: die Kammer wolle den auf dem vorigen Landtag in Betreff des Antrags auf Einfüh rung des öffentlichen mündlichen Anklageverfahrens mit Staatsanwalt schaft gefaßten Beschluß wieder aufnchmen und an die Regierung brin gt». Dieser Petition schloß sich der Abg. Klinger sofort an mit dem Vorbehalt einer besonder» Interpellation deS Ministeriums in Betreff die se- Gegenstandes. Diese stand auf der heutigen Tagesordnung der II. Kam me». Zur Motivirung derselben sprach Abg. Klinger: Die Regierung hat die Nothwendigkeit einer Verbesserung im Criminal- verfahren nicht seit heute und gestern, sondern schon seit Jahren anerkannt. ES liegt dieses Anerkenntniß darin, daß sie der vorigen Ständeversammlung «men Entwurf einer Criminalproceßordnung vorlegte. Das Schicksal dieses Entwurfs ist bekannt. Gestützt auf die Nichtöffentttchkeit, Mittelbarkeit, Jn- quMionSmaxime, ward er verworfen, und der Antrag an die Regierung be schlossen, einen auf die Grundsätze der Mündlichkeit, Oeffentlichkeit und An- klagcschaft gebauten Entwurf vorzulegen. Gelangte dieser Antrag zwar nicht an die Regierung, da die I. Kammer ihm nicht beigetreten war, so waren dennoch der Regierung die dieSfallsigen Wünsche de« Volks bekannt, einmal durch die Theilnahme an den Discussionen in voriger Kammer, dann durch die eingegangencn Petitionen aus allen Theilen deS Landes, endlich durch die Presse. Seitdem ist eine geraume Zeit abgelaufen, und es hat sich darin, daß die dringende Nothwendigkeit einer Verbesserung des Criminalverfah- ren« vorliege, nichts geändert. Nur darin könnte eine Veränderung behaup tet werden, daß das Verlangen nach Mündlichkeit und Oeffentlichkeit immer entschiedener in der Nation geworden ist. Bei dieser Lage der Dinge hätte myn glauben sollen, die Regierung werde in der Thronrede oder königl. Propositionen die Hoffnung eröffnen auf eine beabsichtigte durchgreifende Re form. Doch von alle Dem nichts, ein tiefes Schweigen- Was nun zu thun? Stillstehen, schweigen und zu erkennen geben, daß wir unsern jetzigen Crimi- nälproceß billigen, daß wir gleichgültig geworden gegen Daß, was wir frü her mit aller Wärme gefodcrt? Ueber die hohen Vorzüge des mündlichen öffentlichen Strafverfahrens hat die Wissenschaft, die Praxis und die Meinung des Volks längst entschieden. Die Wissenschaft, denn alle gefeierte Crimina- Uskn Deutschlands, ja Europas erkennen für die Auffindung der materiellen Wahrheit nur darin eine Garantie. Die Praxis hat entschieden, denn gehen Sie hin an den Rhein, Alt und Jung achten ihre Mündlichkeit und Oeffent- kichkeit hoch, wie ein theuer erkauftes Kleinod; nicht die Furcht, ihre Jnsti- tuti»N zu behalten, sondern nur die Furcht, sie verlieren zu können, vermag He «» bekümmern. Und ein Blick, auf Baden berichtet, bestärkt dieVorzüg- lKfsteit der auch von uns verlangten Institution- Wissen Sie nicht, daß die Regierung Badens im vorigen Jahre den Ständen einen Strafproceßent- wurf vorlegte, gebaut auf Mündlichkeit und Oeffentlichkeit? Die badische Re gierung erkannte dazu eine innere und eine äußere Nothwendigkeit an, eine inner«, gestützt auf die schnellere und sicherere Auffindung der Wahrheit und des Rechts, eine äußer«, zu ihrem eignen, der Regierung Vortheile. Sie sagt in ihren Motiven zu dem Entwürfe: „Mit der steigenden Civilisation wachst auch das MiStrauen in die öffentliche Gewalt; es gibt aber ein Mittel, Dem zu begegnen, er ist die Oeffentlichkeit im Gerichtsverfah ren." So, meine Herren, faßt die Regierung Boden für ihre Interes sen, und unsere Regierung sollte ihren Vortheil verkennen? Aber auch die Meinung des Volk» hat über diese Frage entschieden; denn war nicht die Ab stimmung in voriger II. Kammer, wo 7l Stimmen gegen 4 die JnquisitionS- maxime verwarfen, die Meinung des Volks? Wohl war sie e«, denn die Kammer war die Volkskammer. Alle diese für die Mündlichkeit und Oeffent lichkeit so günstigen Ereignisse haben aber die Regierung noch nicht vermocht, ihr Schweigen zu brechen. Wir wissen nicht, was wir zu hoffen, was wir zu fürchten haben. Es kann dieses Dunkel nicht länger über eine Angelegen heit bestehen, die so hochwichtig ist und eS immer mehr geworden ist, nach dem das Vertrauen des Volks zu seiner jetzigen CriminalrechtSpflege geschwun den. Ohne die Wissenschaft davon , was und wann die Regierung zu Ver besserung des Criminalverfahren« etwas zu thun gedenke, geht uns alle Grundlage zu weitern Beschlüssen, zu weitern Anträgen ab, wir wissen nicht, wie weit oder wie eng wir solche zu halten haben. Darum ist es an der Zeit, die StaatSregicrung zu fragen: was und wann sie etwas für die dringend gebotene Verbesserung des Criminalverfahrens thun werde? Minister v. Könneritz: Die Regierung hat diesen Gegenstand mit gro ßer Aufmerksamkeit verfolgt, sie fühlt das Bcdürfniß, daß etwas darin ge schehen müsse. ES ist aber unmöglich, sofort alle Svecialitäten, wie sie dar über vorzuschreiten gedenkt, mitzutheilen. So viel kann ich aber versichern, daß der nächsten Ständeversammlung ein anderweiter Entwurf einer Crimi- nalproccßordnung wird vorgelegt werden, bei welchem man muthmaßlich von den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und des AnklageproceffeS auSgehen wird. Allein auf die gleichzeitige Verbindung der Oeffentlichkeit mit diesem münd lichen Verfahren wird man um so weniger rechnen können, als die Regierung von den überwiegenden Nachtheilen der Oeffentlichkeit immer noch überzeugt ist. Denn die Oeffentlichkeit ist die Quelle, die Gemüther der untern Klassen zu erregen, und kann die Moralität nicht fördern, sie ist die reichhaltige Ver anlassung, daß das Volk an den Qualen der Verbrecher sich weiden kann. Die Regierung darf solche Nachtheile nicht fördern wollen. Hierauf entgegnet Abg. Klinger: Ich bin der Regierung dankbar für die Auskunft auf meine Anfrage. Ich bin ihr namentlich dankbar wegen deS Anerkenntnisses, daß die Mündlichkeit und der Anklageproceß Vorzüge vor der Mittelbarkeit und Inquisition haben. Aber erstaunt bin ich über dieses Anerkenntr niß nicht. Denn wie hätte ich zweifeln können, daß die Wahrheit, wenn sie auch lange umschattet ist, nicht endlich einmal ihren Sieg erreichen werde? Der Sieg ist freilich nicht vollständig. Man verweigert die Oeffentlichkeit immer noch. Allein auch hier hat die Wissenschaft und die Erfahrung längst entschieden. Gehen Sie hin in die Länder des mündlich-öffentlichen Verfah ren«, und — die Stimme des Advocaten Filix zu Paris etwa ausgenommen — werden Sie keine vernehmen, welche Mündlichkeit ohne Oeffentlichkeit beibe halten wollte. Mündlichkeit ohne Oeffentlichkeit ist eine Halde Maßregel, viel leicht sogar gefährlicher als der jetzige JnquifitionSproceß. Den schlagendsten Beweis dafür liefert Holland. Im Besitze des mündlichen öffentlichen Ver fahrens durch die französische Invasion, verlor Holland seine Oeffentlichkeit im Jahr 1813 und behielt nur noch die Mündlichkeit mit Anklageproceß. Aber überzeugt von den Nachtheilen solcher Halbheit, erkämpfte cs schon im Jahr 1818 dieselbe wieder. Allerdings war diese Oeffentlichkeit nur eine modificirte, eine beschränkte. Aber weil diese Beschränkung für die Findung der Wahrheit und des Rechts gefährlich war, und das Volk mit seinen Rich tern dies erkannte, so strebte es unablässig nach Wiedererlangung dieses ver lorenen Gutes, nach voller Gerichtsöffcntlichkeit. Und sicheres gelang; da« Jahr 1836 gab Holland seine volle Oeffentlichkeit wieder! Dies, mein« Her ren, ist eine Erfahrung, eine vollendete Lhatsache, die mehr wiegt als Hun derte von Folianten. Und diese Lhatsache war die von Holland, einem Lande, wo die nüchternsten Menschen der Erde wohnen, Menschen, die Alles mit eiskaltem Verstand abwägen, die ihren bloßen Gefühlen keinen Raum geben, die nicht so viel Gefühl besitzen, um sich an der Qual ihrer Verbrecher zu weiden. Sehen wir uns nun nach der Erklärung der hohen StaatSregierung in unsern Wünschen und Hoffnungen nicht befriedigt, so drängt eß mich, dem früher cingebrachten Schäffer'schen Antrag auf Mündlichkeit und Oeffentlich keit mit Anklageschaft beizutretcn, indem ich ihm überlasse, ob er beantragen wolle, daß seine Petition nun einer Deputation zur Berichterstattung über wiesen werde. Abg. Schäffer: Ueber die Eröffnung des Ministeriums könne er sich nur freuen, doch sei hierdurch sein Antrag noch nicht als beseitigt anzusehen, da dasselbe immer noch als Gegner der Oeffentlichkeit austrete. Die Ueber- zeugung von deren Nützlichkeit und Nothwendigkeit sei seit dem vorigen Land tage bei ihm wie überall gewachsen, und zwar in dem Maße, daß die Zeit sich voraussehen lasse, wo allem Widerstande zum Trotz das jetzige Jnquisi- tionsverfahren mit Einem Schlage vernichtet werden würde. Einen solchen Ent wickelungsgang wünsche er nun allerdings nicht, sondern vielmehr, daß die Re form in diesem Zweige mit Ruhe und Besonnenheit eingeführt werde. Aber er wünsche auch das baldige Ende des unwürdigen Kampfes des Untersu chungsrichters mit dem Angeschuldigten, des Spruchrichters mit seinem Ge wissen durch Unmittelbarkeit seiner Erkenntnißquellen, und wünsche, daß durch Oeffentlichkeit dem Volke klar dargelcgt werde, daß cS um sein heiligstes Gut, die Handhabung des Rechts, wohl bestellt sei- Abg. Sachße: Abweichend von seiner frühern Ansicht erkläre er sich für den Schäffer'schen Antrag, weil das jetzige Criminalverfahren mit seinen Unvollkommenheiten nicht fortbeste hen und eine wesentliche Verbesserung desselben ohne Annahme der Principien des öffentlichen und mündlichen Anklageverfahrcns nicht geschehen könne. Ec spreche sich für dieses jetzt aus, weil Wissenschaft und Erfahrung die Mög lichkeit der Entscheidungsgründe und einer »weiten Instanz bei diesem Ver fahren gezeigt hätten, und auch der Oeffentlichkeit, deren Anwendung auf das Criminalverfahren allerdings ihre Bedenken habe, sei er nicht entgegen un ter der Voraussetzung von Modifikationen, durch welche den möglichen Rach-