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... Ein sehr hübsch« Bursche und Dichter dazu ... rin gewisser Agri- cola Baudoin, den man in einem geheimen Versteck neben ihrem Schlafzimmer fand... der gemeine Scandal, von dem ganz Paris sprach.... Denn Sie bekommen keine unbekannte Frau, lieber Prinz ...der Name der Ihrigen ist in Aller Munde. Als bei diesen unerwarteten und gräßlichen Aeußerungen Adrienne, Djalma und der KnirpS, wenngleich von verschiedenen Gefühlen er griffen, einen Augenblick vor Erstaunen verstummten, hielt die Für stin es nicht mehr für nöthig, ihre höllische Freude und ihren sieg reichen Haß zu verbergen, sondern mit glühenden Wangen und fun kelnden Blicken stand sie auf und rief Adrienne zu: Ja, ich fodere Sie auf, mich Lügen zu strafen. Ist man nicht genöthigt gewesen, Sie unter dem Vorwand einer Geisteskrankheit rinzusperren? Hat man den Handwerker... Ihren damaligen Lieb haber... in Ihrem Schlafzimmer versteckt gefunden oder nicht? Bei dieser gräßlichen Anklage wurde Djalma's dem Bernstein gleich durchscheinender und goldiger Teint plötzlich matt und bleifar big; seine stieren, weit aufgerissenen Augen umgaben sich mit einem Weißen Rande; seine blutrothe Oberlippe zuckte wild empor und zeigte seine weißen, krampfhaft knirschenden Zähne; kurz sein ganzes Gesicht wurde in diesem Augenblicke so entsetzlich drohend und wild, daß der Knirps vor Angst bebte. Von der Glut, von dem Ungestüm seines Blutes hingerissen, gerieth der junge Hindu in den Schwindel einer besinnungslosen, un willkürlichen Wuth, fühlte er sich von einem Blitze getroffen, gleich demjenigen, der dem Ehrenmann aus dem Herzen das Blut in die Augen treibt, die es verdunkelt, ins Gehirn, das es rasend macht ... wenn er sich ins Gesicht schlagen fühlt.... Wäre in diesem furchtbaren, dem Blitzstrahle, der durch die Wolken fährt, an. Schnelle gleichen Augenblicke Djalma's Gedanke zur That geworden, so würden die Fürstin, Adrienne, der Knirps und er selbst durch einen Ausbruch, eben so schrecklich, eben so plötz lich wie der einer Mine, die springt, vernichtet worden sein. Er hätte die Fürstin getödtet, weil sie Adrienne eines schänd lichen Verraths anklagte; Adrienne, weil man sie dieser Schändlich keit schuldig glauben konnte; den Knirps, weil sie Zeuge dieser An klage war, und endlich sich selbst, um eine so gräßliche Täuschung nicht zu überleben. Aber, o Wunder!... sein blutrothes, irres Auge begegnet dem Auge Adrienne's, einem Blicke voll Ruhe und heiterer Zuversicht... und der Ausdruck wilder Wuth, die den Hindu außer sich brachte, ist schnell wie der Bliß wieder verschwunden. Za, noch mehr... zum großen Erstaunen der Fürstin und der jungen Näherin ... wie die Blicke, welche Djalma auf Adrienne warf, eindringender, durchbohrender, so zu sagen einsichtsvoller in diese schöne und reine Seele wurden, beruhigte der junge Hindu sich nicht blos, sondern seine anfänglich so gewaltig verstörten Mie nen verklärten sich auch, gewannen ihre Heiterkeit wieder und bald spiegelte sich die edle Sicherheit der Mienen des jungen Mädchens in ihnen wider. Uebertragen wir jetzt diese moralische Revolution, welche für den anfänglich so erschrockenen Knirps höchst erfreulich, für die Frömmlerin völlig verzweifelnd war, so zu sagen in einen physi schen Ausdruck. Kaum hatte die Fürstin ihre gräßliche Verleumdung von ihren giftigen Lippen verspritzt, so hatte Djalma, der eben am Kamin stand, in seinem Wuthanfall ungestüm einen Schritt nach der Fürstin hin gethan, sich dann, als db er sich in seiner Aufregung mäßigen wolle, an dem Marmor deS Kamins, den er mit seiner Eisenfaust zu zerquetschen schien, festgehalten und in einer krampfhaften Erschüt terung am ganzen Körper gebebt, wobei sein verzerrtes, ganz ent stelltes Gesicht ein gräßliches Ansehen bekam.... Adrienne war dagegen, wie sie die Fürstin sprechen hörte, an fänglich von einer zornigen Entrüstung ergriffen worden, wie Djalma von einer blinden Wuth, und hatte sich mit einem von empörtem Stolze funkelnden Blicke ungestüm erhoben; allein fast sogleich wie der durch ihr reines Bewußtsein beruhigt, hatte ihr liebliches Gesicht von neuem eine himmlische Heiterkeit angenommen.... Nun begeg neten ihre Augen den Augen Djalma's. Eine Secunde lang war das junge Mädchen über den drohenden, den furchtbaren Ausdruck im Gesichte des Hindu noch mehr betrübt als erschrocken. Eine ein fältige Niederträchtigkeit erbittert ihn so sehr — dachte Adrienne. — Er hegt also Verdacht gegen mich?— Aber dieser eben so rasche wie peinliche Gedanke wich einer rasenden Freude, wie Adrienne's Augen längere Zeit in die Augen des Hindu geblickt hatten und sie nun diese wilden Zuge augenblicklich wie durch Zauber milder, freudestrahlend und bezaubernd werden sah, wie sie eS unlängst gewesen So wurde also die abscheuliche Heimtücke der Fürstin von Saint- Dizier vor dem würdigen, vertrauensvollen, aufrichtigen Ausdruck in Adrienne's Gesichte zu Nichte. Und noch mehr: In demselben Augenblicke, als die Fürstin beim Anblicke die ses stummen, aber so ausdrucksvollen Austritts, der so vollkommen die wunderbare Sympathie dieser beiden Wesen darthat, die sich, ohne ein Wort zu sprechen, mittels einiger stummen Blicke begriffen, verständigt und gegenseitig beruhigt hatten, vor Aerger und Wuth fast erstickt wäre: reichte Adrienne mit einem himmlischen Lächeln und mit einer höchst reizenden Bewegung Djalma ihre schöne Hand dar, die dieser niedcrkniend so feurig küßte, daß die Glut des Kusses dem jungen Mädchen ein leichtes Rosengewölk auf die Stirn trieb. Nun ließ der Hindu sich in einer Stellung voll Anmuth und Ehrerbietung auf dem Hermelinteppich dem Fräulein von Cardoville zu Füßen, stützte sein Kinn auf die eine Hand, und begann, in eine stumme Anbetung versunken, Adrienne still zu betrachten, die, zu ihm hingeneigt, lächelnd und glücklich mit eben so inniger Hin gebung ihre Augen in seinen Augen spiegeln ließ, als wäre die vor Haß erstickende Frömmlerin gar nicht zugegen gewesen. Aber bald winkte Adrienne, als ob zu ihrem Glücke noch et was fehle, den Knirps herbei und ließ sie neben sich Platz nehmen- und diese vortreffliche Freundin an der Hand fassend, dem in An, betung vor ihr niedergesunkenen Djalma zulächelnd, warf das Fräu-- lein von Cardoville nun auf die vor Staunen immer mehr erstarrende Fürstin einen so sanften, so festen, so heitern Blick, der die unbe zwingliche Ruhe ihres Glücks und die der Verleumdung unzugäng liche Höhe ihrer Geringschätzung so edel aussprach, daß die Fürstin von Saint-Dizier, verstört und wirr, mit einer vor Zorn bebenden Stimme einige kaum vernehmliche Worte hervorstammelte und dann vollständig den Kopf verlierend schnell nach der Thür hineilte. In diesem Augenblicke wechselte der Knirps, die irgend einen Hinterhalt, irgend ein Complot oder irgend eine heimtückische Aus horcherei besorgte, einen Blick mit Adrienne und beschloß, der Für stin bis an den Wagen zu folgen. Der Aerger und Zorn der Fürstin von Saint-Dizier, wie sie sich auf diese Weise vom Knirps begleitet und überwacht sah, er schien dem Fräulein vvn Cardoville so drollig, daß sie sich eines lau ten Auflachens nicht erwehren konnte. Bei dem Schalle dieser ge ringschätzigen Lustigkeit verließ demnach die Frömmlerin, vor Wuth und Verzweiflung außer sich, das Haus, wo sie Verwirrung und Elend zu stiften gehofft hatte. Adrienne und Djalma blieben allein. Bevor wir den Auftritt, der zwischen ihnen stattfand, weiter schildern, werden einige Rückblicke erfoderlich. Man wird sich leicht denken können, daß von dem Augenblick an, als das Fräulein von Cardoville und der Hindu einander nach so manchem MiSgeschick näher getreten waren, die Tage in unbe schreiblicher Wonne verflossen. Adrienne bemühte sich insbesondere, die Gelegenheit herbeizuführen, alle die hochherzigen Eigenschaften Djalma's, von denen sie in den Reisebeschreibungen so glänzende Schilderungen gelesen hatte, ins Licht zu stellen und gleichsam nach einander hervortreten zu lassen. Dieses zärtliche und geduldige Studium von Djalma's Charak ter hatte das junge Mädchen sich nicht blos zur Rechtfertigung der heftigen Liebe, die sie empfand, sondern auch deshalb zur Pflicht gemacht, weil diese Probezeit, für die sie eine Grenze bestimmt hatte, ihr den Ungestüm von Djalma's Liebe mildern und mäßigen half... ein bei Adrienne um so verdienstlicheres Streben, da sie die selbe berauschende Sehnsucht, dieselbe leidenschaftliche Glut empfand. ... Bei diesen beiden vom Schöpfer so vollständig begabten Wesen gewährten die glühenden Triebe der Sinne und die erhabensten Flüge des Geistes bei ihrem gegenseitigen Aufschwung einander wundersam Gleichgewicht und Unterstützung, denn Gott hatte diesen beiden Lie benden die seltenste Schönheit des Körpers und die himmlischste Schönheit der Seele verliehen, um den unwiderstehlichen Trieb, der sie zu einander hinzqg, zu rechtfertigen. Wann soll diese peinliche Probezeit, die Adrienne Djalma und sich selbst auferlegt hatte, ein Ende nehmen? Das beabsichtigt das Fräulein von Cardoville Djalma in der Unterredung, die sie nach dem plötzlichen Weggehen der Fürstin von Saint-Dizier mit ihm halten wird, bekannt zu machen. (Fortsetzung folgt.)