Zwei lebende Tonkünstler Scheinpflugs „Shakespeare-Ouvertüre“ • Böhmes „Frühlingssinfonie“ Das ziveite dieswintrige Konzert der Dresdener Philharmoniker läßt im ersten Teil zwei uns besonders nahestehende und dadurch erhöht interessierende Kompo nisten zu uns sprechen: den neuen Leiter der Dresdener Künstler, Paul Scheinpflug, und den mitten im Chemnitzer Musikleben stehenden, erprobten Musikpädagogen Otto Böhme. * Die ragende Bedeutung Sdieinpflugs als Dirigenten ist uns persönlich in seinen letz ten Konzerten und schon vorher in weitesten, selbst internationalen Kreisen allgemein unter Beweis gestellt worden. Daß er aber nicht nur als Meister des Taktstockes re produzierender Künstler, sondern auch selbstschaffender, und zwar sehr ernst zu nehmender Künstler ist, ist nicht so all gemein bekannt. Schon bei seinem Antritt des Erbes Mörikes wurde hier auf sein kompositorisches Schaffen hingewiesen. Es wurde auch an das Urteil Walter Nie manns über ihn erinnert: „Er ging durch den brausenden Sturm und Drang seines Kampfes- und Lebens-Liedes „Frühling“ — eines echten Straußschen „Don-Juan“-Spätlings — durch die in flimmernden Sonnenbrand getauchte stimmungsschwere, nieder deutsche Naturschilderung „Worpswede“ (für Gesang, Violine, Englisch Horn und Klavier) — in einem Kammermusik konzert hörten wir sie vor einigen Jahren auch hier — und die Dissonanzenseligkeit seiner Lyrik und Kammermusik zur ro busten Heiterkeit einer „Shakespeare- Lustspielouvertüre“ hindurch.“ — Dies letztgenannte Werk (es ist eben falls bereits vor Jahren in den städtischen Sinfoniekonzerten geboten worden) inter pretiert uns der Komponist nun selbst. Die Konzert-Ouvertürenform (als erster hat sie—abgesehen von der titanischen „Drit ten Leonore“ — vielleicht Mendelssohn an gestrebt) ist für die Programmusik von je her beliebt. Der „Shakespeare“ Schein pflugs ist allerdings Programmusik in weitestem Sinne: es ist ein geistig-musi kalischer Niederschlag der gesamten Lust spiele des genialen Briten — nicht das in Musik ausgedrückte Programm einer ein zelnen Komödie. Das 1. Thema bringt kapriziös das Fagott, der Komiker der In strumente, das 2. Thema lyrisch, zart und blond die Klarinette, die Sentimentale des Ordiester-Enseinbles. Mitten im Werke taucht dann als 3. Thema eine altenglische Melodie aus dem 16. Jahrhundert auf. Man sang sie zu Shakespeares Zeiten in den Gassen Londons (Scheinpflug fand sie in Fitzwilliams „Virginal book“). ln der Coda des Werkes wird sie mit den ersten Themen kontrapunktistisch verwebt und zu einem in strahlender Lebensfreude aus klingenden Schluß geführt. Scheinpflug schreibt modern, aber doch melodiös. Sein Orchester ist farbenreich und klangschön. Bisweilen glaubt man Anklänge an Richard Strauß zu hören, doch nidit so stark be tont, daß die Originalität irgendwie be rührt schiene. Das Werk (opus 15) — Nikisch hat es oft und gern gespielt — spricht für sich selbst. Es in authentischster Auffassung vom Komponisten selbst hören zu können, ist ein besonderer Vorzug. Scheinpflug hat übrigens auch als Opern komponist Erfolg. Seine heitere Oper „Das Ilofkonzert“ (Textbuch von Heinrich Ilgen- stein nach dessen vielgegebenem Lustspiel „Kammermusik“) hatte an mehreren Bühnen — darunter auch an der Berliner Städtischen Oper — Aufsehen erregenden Erfolg: Die Kritik sah darin das „Werk eines fein organisierten Musikers“, einer „Musik von wirklicher Lustspielstimmung, von munterster Laune und jener Leicht flüssigkeit, die für dieses Genre erstes Ge setz ist“. Vielleicht erinnert sich die Chem nitzer Bühne bei ihrer Sudie nach moder ner deutscher f.ustspieloper audi einmal dieses Werkes?! — * Auch der zweite Komponist, Otto Böhme, ist uns kein Unbekannter mehr. Vor zehn Jahren trat er uns in Chemnitz zum ersten Male mit einem größeren Eigenwerk gegenüber: mit seiner komischen Oper „Die heilige Katharina.“ Man hörte da mals dem Stück, dessen Wirkung unter einem für die Lustspieloper etwas zu lang geratenen 5. Akt litt, mit Behagen zu. Denn die Musik von gewisser Originalität und frei von moderner Nervosität war von sinn fälliger Melodik erfüllt und zeigte sehr be achtliches Können und den sicheren Blick für die Gestaltung des Opernhumors — zumal Böhme dabei durchaus eigene Wege ging.