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Montag E ' Nr. IW. —— 7, Julius 184S. WM Deutsch- Allgemeine Zeittmg. WM «Wahrheit und Recht, Freiheit und Tefthl» V»ulL«HIa«d. 4tVon der Elbe. Die evangelisch-lutherische Kirche. — Die bairischen Conflstorien. — Der protestantische Pfarrer zu Hngot- etadt. — Die bairischen Rabbiner. -Dresden- Die Explosion- xLeip- ng. Die jüdische Gemeinde. — Pfarrer Würmle. — Erklärung v. Ltz- stein'S und Hecker «. — Die Deutsch-Katholiken in Darmstadt. — Rund schreiben de« Bischofs Kaiser. — Die oldenburgischen MäßigkeitS- vereine. ' > 4>re«»H«n. (^)Lerlin. Die Schutzzöllner. Die jüdischen Reformer. Hr- v- Canitz. Hr. Müller. —Äresla». Die jüdischen Reformer. — Hr. Wander. —Die breslauer Erklärung. — Deutsch-Katholiken in Dortmund. Spanien. Die Königin. Circular in Betreff der Carlisten. Die Limes über die spanischen Zustände. Verhaftung von Offizieren. Börsengeschäfte. <Se»8drttanni«n. Parlament. Die irischen Prälaten. Das Uebungs- geschwaber- Die Abschaffung der Duelle- Sir W- Follet. Nachrichten vom Cap und aus Ostindien- Krankreieh. Parlament. Die Wahlen. Die pariser Nationalgarde. Die Zimmerleute. Die Lheuerung. Marokko. ** Paris-Die Verhandlungen mit Rom. Schweiz. Die Depesche de« Fürsten v. Metternich. — vr. Steiger. — GlaruS. Luzern. Aargau. Matten. -Rom. Amati. Schweben unv vroewege«. * Stockholm- Der Reichstagsabschied. Marokko. Handel und Lndnfkrie. * Frankfurt a. M. Börsenbericht. -Han nover. Eisenbahn. — Die Friedrich-WilhelmS-Nordbahn. — Frequenz der Magdeburg-Leipziger und -HalberstädterEisenbahn. -Leipzig. Oel- handel. — Berlin. «nküabignngen. D««tfchls«r. 4k- von der Elbe, 2. Jul. Mehre in neuester Zeit öffentlich ge äußerte Ansichten über das Wese« der Kirche und die Freiheit der Be wegung in ihr scheinen, auch wenn man sich vor der Hand nicht in eine specielle Beleuchtung ihrer BrröeiSführuna üffd der in ihren Motiven lie genden Behauptungen oder Zugeständnisse einlassen mag, doch in ihren Hauptresultaten zu einer nähern MqutcruUg und Feststellung gewisser hier iinschlggender Punkte aufzufodern. Eß,. handelt sich zuvorderst um die Ansicht, daß die evangelisch-lutherische Kirche gar keine eigentliche, feste, bestimmte Kirche, oder, wie der «Herold» es ausdrückt, „der Begriff: Kirche im Bereiche der protestantischen Weltansicht durchaus ein so klarer, so be stimmter, so feststehender nicht sei". Die römisch-katholische Kirche mit ihrem sichtbaren Oberhaupt und ihrer fortdauernden Inspiration habe ei nen solchen, nicht aber die protestantische, welche eine wahre Kirche, d. h. eine wahre Gemeinschaft urch Einheit aller ihrer Mitglieder im Glauben nicht sei, nie gewesen sei und nie fein könne. In Betreff dieser Behaup tung bemerken wir Folgendes. Wenn zu dem Begriff einer wahren Kirche eine wahre Gemeinschaft und Einheit aller ihrer Mitglieder im Glauben gehört, so ist auch die römisch-katholische Kirche keine wahre Kirche, fo hat es allerdings nie eine Kirche gegeben, gibt keine und kann vielleicht reine geben. Selbst die ersten Jünger des Herrn faßten Manches verschie den auf. Aber in Dem, was sie zu Christen machte, waren sie eins. Spätere Kirchen sind zwar auch nicht in „wahrer Gemeinschaft und Ein heit im Glauben aller ihrer Genossen", wohl aber in der organischen Ge meinschaft bestimmter Anstalten zur Gottesverehrung, bestimmter Verfas sung, hauptsächlich bestimmter, von der Kirche verkündigter Glaubenssätze allerdings verbunden gewesen, sind eS noch und werden immer in diesen Momenten und vor Allem in ihren Bekenntnissen ihr chatakteristischeö Merkmal, ihr wesentliches äußeres Band und ihre rechtliche Grundlage finden. Auch die evangelisch-lutherische Kirche ist eine wahre und leben dige Gemeinschaft der auf den Grund der Bekenntnißschriften derselben verbundenen Glaubensgenossen. Aus dieser Grundlage beruht die völker- und staatsrechtliche Anerkennung dieser Confessio», wie sie ihr vornehm lich im Religionsfricden und im Westfälischen Frieden zu Theil gewor den. Die auf diesen Grundlagen ruhende Kirche ist eS, welche daö posi tive Recht, von dessen Heiligkeit, so lange es nicht auf rechtlichem Wege geändert ist, alle Ordnung, aller Bestand der Gesellschaft abhängt, ein zig als solche anerkennt, welche Gesetze und Staatsverträge meinen, wenn sie von der evangelisch-lutherischen Kirche handeln. Allerdings nun ent behrt diese Kirche emer die Gesammtheit derselben umfassenden uttd ver bindenden äußern korporativen Organisation. Aus geschichtlichen Ur sachen ist eine solche nur den einzelnen Gliedern derselben, den verschie denen Landeskirchen — nicht Staatskirchen — zu Theil geworden. Den noch fand bis zur Auflösung des Deutschen Reichs für die protestanti schen Landeskirchen Deutschlands ein gemeinsamer Mittelpunkt in dem Oorpus Lvqoßvlivorum statt, der, wenn auch dessen Zweck mehr ein äu ßerer als ein innerer war, doch fortwährend eine gewisse Gemeinschaft unter ihnen vermittelte. Auch in der Verfassung, den innern Einrichtun gen rc. blieb, bis auf die Organisationen neuerer Zeiten, große und cha rakteristische Verwandtschaft, deren Unterbrechung weniger von der Kirche als vom Staat ausging. Mit der Anerkennung der Unentbehrlichkeit jener Grundlage, sowol nach außen als im- Innern der Kirche, wird natürlich die jenseits beson ders hervorgehobene Rathsamkeit einer Fortbildung keineswegs ausgeschlos sen. Auch nicht so weit sie sich auf das Gcmeinbckcnntmß und die ge meinsamen Einrichtungen der allgemeinen cvangefisch-lutherischen Kirche erstreckt. Es haben auch in einzelnen Punkten wirklich schon derartige Veränderungen stattgtfunden, noch abgesehen von der großen Veränderung in Geist und Auffassung. Allerdings ist cs nicht zu verkennen, daß das Bedürfniß der Gemeinschaftlichkeit auf der einen, der Particularismus der Landeskirchen auf der andern Seite diese Fortbildung wesentlich erschwert. Indessen ist es völlig unaegründet, daß zur Aut von irgend einer Lan deskirche bereits ein die Aushebung jener Gemeinschaft bewirkender Schritt geschehen sei. Die Union der evangelisch-lutherischen und der reformirten Kirche in Preußen beruht, abgesehen davon, daß eine Verbindung zweier gleich berechtigten Kirchen zu einer Gemeinschaft das Völker- und staats rechtliche Verhältniß derselben nicht ändern würde, nicht auf einer Auf-' Hebung oder Fusion der Bekenntnißschriften, sondern nur auf einer Einheit deS Kirchenregiments und der Verwaltung. Die Absonderung der Alt- lutheraner in Preußen ist daher auch nicht durch Antastung ihrer Bekennt- nißschriften hervorgerufen, sondern lediglich gegen da« beide Confesfioncn umfassende Kirchrnregiment gerichtet, welches sie verwerfen. Kein prote stantischer Staat hat zur Zeit das Recht in Anspruch genommen, über das kirchliche Bekenntniß seiner Angehörigen zu entscheiden, vielmehr ha ben nur die Kirchenbehörden, und -war ebcnsowol die deö Territorial- als die des Loüegialsystems, das von der Kirche Angenommene gegen An griffe vertheidigt. . Die Fortbildung, so weit, sie nicht eine sich, auf den Geist und Sinn beschränkende, sondern auch die Bekenntnisse, die Verfassung, die Einrich tungen, also die äußer» Merkmale und Mittel treffende sein soll, Mn nur in Uebereinstimmung mit der Verfassung der Kirche erfolgen, wie alle Reform, die nicht Revolution sein will, und das Neue erlangt erst ein Recht, wenn es in der organischen Kirche durchgedrungen ist. Was im mer für ein Theil der Kirchenglicder nicht mehr zu ihren Bekenntnissen < oder Einrichtungen halten will, der kann zwar, vermöge der Gewissens freiheit, seine Absonderung von der Kirche erklären, nicht aber verlangen, daß seine Meinung für dir der Kirche gelte. Gewiß, daß es wünschens- werth ist, auch die Verfassung der Kirche für eine besonnene und wahr hafte Fortbildung derselben, mit steter, maßgebender Rücksicht auf ihre positiven, geoffenbarten Grundlagen, auf ihre Abhängigkeit von dem Worte Gottes zweckmäßig eingerichtet zu sehen. Gewiß auch, daß der lebendige Antheil an der Kirche nicht auf Zwang beruht, sondern auf freiem Wil- sttn. Aber aus beide» Gründen ist es -nicht zu erwarten, daß irgend eine Gesetzgebung einer, zumal der Mehrzahl nach aus Laien zusammengesetz ten Versammlung, von der jede Bürgschaft ermangelt, daß sie mit Geist rind Gemüth wahrhaft der Kirche angehöre und zu deren Reform inner lich berufen sei, das Recht einräumen werde, über Sähe göttlicher Cr- kenntniß und unsterblicher Wahrheit nach Stimmenmehrheit zu entscheiden und dadurch die Minorität — welche vielleicht die Majorität deS Völks bildet —zu zwingen, sich einer Kirche zu unterwerfen, deren Bekenntniß ihrem Gewissen widerstreitet. Sollte dennoch eine Gesetzgebung dieö thun, ö würde sie doch niemals einer von der allgemeinen evangelisch - lutheri- cken Kirche abfallenden Partei, wie stark oder schwach an Zahl diese auch ein möge, die völkerrechtlichen Befugnisse der Verwandten dieser Confes- lon im.Auslande zu verbürgen vermögen. lieber die wirkliche Absicht mancher neuern Bewegung fehlt es frei lich zunächst noch an einer deutlichen Erklärung. Diejenigen jedoch, deren Absicht wirklich dahin gehen fällte, nicht nur die Bekenntnißschriften der evangelisch-lutherischen Kirche entschieden zu verwerfen, sondern auch daS Wort GotteS, auf welches diese lediglich gegründet sind, nicht mehr alö höchste Richtschnur deS Glaubens und Lebens anzuerkennen, würden aller dings eben dadurch faktisch schon aus der evangelisch - lutherischen Kirche ausgetreten sein. Geistliche insbesondere aber, welche diese Ansichten thcil- ten, handelten pflichtwidrig, dafern sie, ihres Abfalls von der Kirche un geachtet, das von dieser ihnen anvertraute Lehramt beibehielten. Jede pro testantische Kirche des IS.Jahrhunderts und so auch die evangelisch-luthe rische läßt einen sehr weiten Spielraum der Meinung und Auffassung; aber auch hier sind Grenzen, deren Uebcrschrcitung unvermeidlich von dem Bereich und Rechte der Kirche trennt und jedenfalls mit dem amtlichen Dienste der Kirche unvereinbar ist.