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L«8S Der Unglückliche sagte die Wahrheit. Seine Augen standen voll Thränen, so schmerzlich waren die Erinnerungen für ihn, die der Jesuit wieder wach gerufen hatte. Sein Sie ganz ruhig, lieber Sohn... ich werde Ihnen die theure Hand führen... dictiren Sie nur.... Herr Abbe, ich bitte Sie... schreiben Sie selbst... ich will unterzeichnen. Nein, lieber Sohn ... aus vielen Gründen nicht.... Das Ganze muß eigenhändig von Ihnen geschrieben sein. Einige Zeilen genügen. Aber, Herr Abbe... Nur zu... es muß sein, sonst lasse ich den Arbeiter herein — sagte trocken der Abbe von Aigrigny, da er an Herrn Hardy's im mer mehr hervortretender Schwäche sah, daß er in diesem wichtigen Falle Festigkeit versuchen könne, wenn er nur nachher wieder zu sanfter» Mitteln greife. Und seine großen grauen, runden Augen, funkelnd wie die Augen eines Raubvogels, sixirten Herrn Hardy mit ernster Miene. Der Unglückliche erbebte unter diesem brennenden Blick und antwor tete seufzend: Ich werde schreiben ... Herr Abbe! ... schreiben werde ich ... aber ich bitte Sie inständig... dictiren Sie mir... mein Kopf ist zu schwach... —sagte Herr Hardy und wischte sich mit seiner glü henden, fieberisch zitternden Hand die Thränen auS den Augen. Der Abbe von Aigrigny dictirte folgende Zeilen: „Lieber Agricola, ich habe mir überlegt, daß eine Besprechung rnit Ihnen unnöthig wäre. Sie würde nur dazu dienen, peinlichen Kummer zu erneuern, den ich mit Gottes Hülfe und durch die sü ßen Tröstungen, welche die Religion mir gewährt, zu überwinden vermocht habe." Der Jesuit hielt einen Augenblick inne, Herr Hardy wurde noch bleicher, und seine matte Hand vermochte kaum die Feder zu halten. Ein kalter Schweiß bedeckte ihm die Stirn. Der Abbe von Aigrigny nahm ein Taschentuch, trocknete seinem Schlachtopfer das Gesicht ab und sagte mit Wiedererheuchelung liebevoller Be kümmerniß zu ihm: Nun, guter, lieber Sohn ... nur Muth.... Ich habe Sie nicht aufgefodert, diese Unterredung zu verweigern... nicht wahr?... Im Gegentheil!... Da Sie aber Ihrer Ruhe wegen sie zu vertagen wünschen ... so suchen Sie diesen Brief zu Ende zu bringen.... Denn was ist mein Wunsch dabei? Sie endlich nach so vielen pein lichen Lebensmühen einer frommen Ruhe genießen zu sehen. Ja ... Herr Abbe... ich weiß es ... Sie sind so. gut ... — antwortete Herr Hardy dankbar. — Verzeihen Sie meiner Schwäche..'. Können Sie den Brief jetzt fortsetzen ... lieber Sohn? Ja, Herr Abbe. So schreiben Sie! Und der Jesuit dictirte weiter: „Ich genieße einer tiefen Ruhe, werde mit Sorgfalt gepflegt und hoffe durch Gottes Barmherzigkeit ein christliches Ende zu ha ben , fern von der Welt, deren Eitelkeit ich erkenne.... Ich sage Ihnen nicht Lebewohl, sondern auf Wiedersehen, lieber Agricola... denn ich möchte gern Ihnen selbst sagen, daß ich Ihnen und Ihren würdigen Kameraden alles Glück wünsche. Sprechen Sie es Ihnen in meinem Namen aus. Sobald ich es angemessen erachte, Ihren Besuch anzunehmen, werde ich es Ihnen schreiben. Bis dahin be trachten Sie mich stets als Ihren wohlgeneigten..." Hier fragte der Jesuit Herrn Hardy: Finden Sie diesen Brief angemessen, lieber Sohn? Ja, Herr Abbe. ... Da haben Sie die Güte, ihn zu unterzeichnen. Ja, Herr Abbe!... Und nachdem der Unglückliche unterzeichnet hatte, sank er, seine Kräfte völlig erschöpft fühlend, ermattet in den Lehnstuhl zurück. Das ist noch nicht Alles, lieber Sohn, hob der Abbe von Aigrigny wieder an und zog ein Papier aus der Tasche. — Sie müssen auch noch die Güte haben, diese neue Vollmacht von Ihnen für unsern Rechnungsführer zur Abmachung der bewußten Angele genheit mit Ihrer Unterschrift zu versehen. O mein Gott, mein Gott!... Noch etwas! — rief Herr Hardy mit einer krampfhaften, fieberischen Ungeduld.— Sie sehen ja doch, Herr Abbö, daß meinp Kräfte völlig erschöpft sind.... Es handelt sich blos um eine Unterzeichnung, nachdem Sie ge lesen haben. Und der Abbe von Aigrigny hielt Herrn Hardy ein großes Document auf Stempelpapier von einer beinahe unleserlichen Hand schrift hin. Herr Abbe... heute... kann ich das nicht lesen. Es ist aber durchaus nöthig, lieber Sohn.... Verzeihen Sie mir diese Dringlichkeit.... Aber wir sind sehr arm... und ... Ich will es unterzeichnen, Herr Abbe'. Aber Sie müssen lesen, was Sie unterzeichnen, lieber Sohn. Wozu?... Geben Sie nur her — sagte Herr Hardy, beinahe zur Verzweiflung gebracht durch die unbeugsame Hartnäckigkeit des Abbe von Aigrigny. Da Sie es denn durchaus so wollen, lieber Sohn... — sagte dieser und hielt Herrn Hardy das Document hin. Herr Hardy unterschrieb es und versank wieder in sein dumpfes Hinbrüten. In diesem Augenblick klopfte ein Diener an die Thür, trat dann ein und sagte zum Abbe von Aigrigny: Herr Agricola Baudoin wünscht Herrn Hardy zu sprechen. Er ist herbcschieden, sagt er. Gut... er möge warten — antwortete der Abbe von Aigrigny eben so ärgerlich wie überrascht, winkte dem Diener, sich zu ent fernen, suchte dann den lebhaften Verdruß, den er empfand, zu ver bergen und sagte zu Herrn Hardy: Der brave Handwerker eilt sehr, Sie zu sehen, denn er kommt zwei Stunden vor dem ihm bestimmten Augenblicke.... Wohlan: noch ist es Zeit.... Wollen Sie ihn vorlassen?... Aber, Herr Abbe — antwortete Herr Hardy in einer Art pein licher Aufregung— Sie sehen ja, wie schwach ich bin.... So ha ben Sie doch Mitleid mit mir.... Ich bitte Sie flehentlich um Ruhe ... ja wäre es, ich wiederhole es Ihnen, die Ruhe des Grabes.... Aber um Gottes willen: Ruhe.... Sie werden dereinst den ewigen Frieden der Auserwählten des Herrn genießen — sagte liebevoll der Abbe von Aigrigny — denn Ihre Thränen und Ihre Leiden sind Gott wohlgefällig. Bei diesen Worten ging er hinaus. Als Herr Hardy allein war, faltete er verzweiflungsvoll die Hände, brach in Thränen aus, ließ sich von seinem Stuhl auf die Knie hinabgleiten und rief: O Gott! ... o Gott! ... Nimm mich von dieser Welt ... ich bin gar zu unglücklich! Dann lehnte er die Stirn gegen den Sitz seines Lehnstuhls, bedeckte sich das Gesicht mit den Händen und weinte bitterlich. Plötzlich hörte man einen Lärm von Stimmen, der immer lau ter wurde, hierauf eine Art Ringen. Gleich darauf flog durch ein Anprallen des Abbe von Aigrigny die Thür auf, und dieser fuhr rück wärts schwankend mehre Schritt ins Zimmer hinein. Agricola hatte ihn mit kräftigem Arm fortgestoßen. Herr... Sie wagen Gewalt zu brauchen?—rief der Abbe von Aigrigny fahl vor Wuth. Ich wage Alles, um Herrn Hardy zu sprechen — antwortete der Schmied. , . Und er eilte auf seinen frühem Brotherrn zu, den er mitten im Zimmer knien sah. (Fortsetzung folgt.) Die Wiener Tonferenzbefchlüsfe. Die Erklärungen in der württembergischen zweiten Kammer über die Wiener Conferenzbeschlüsse (Nr. 171) lauten nach dem Schwäbischen Merkur vollständiger also: Am Ende der Sitzung ergreift Abg. Römer das Wort: Er erlaube sich einen Gegenstand zur Sprache zu bringen, den er schon bei der Debatte über die Eensurkosten habe vorbringen wolle», einen Gegenstand, der theils in deut schen Ständekammern, theils in öffentlichen Blättern die Aufmerksamkeit mehr oder weniger in Anspruch genommen habe, er meine die Beschlüsse der Wiener Confcrenz vom 12. Jun. 183-1. Die Wichtigkeit des Gegenstan des sei unverkennbar, er betreffe unsere öffentlich-rechtlichen Verhältnisse. Der Politische Zustand, in welchem die Deutschen seit einer Reihe von Jahren sich befunden, sei kein glücklicher; namentlich unter der französischen Herrschaft sei dieser Zustand bis zur Trostlosigkeit herabgcsunkcn; ein öffentliches Recht habe gar nicht mehr existirt, selbst die Sprache sei so corrupt gewesen, daß man in einer Gesellschaft nicht gewußt habe, ob man in Paris sei oder an einem deutschen Orte. Dieser unerträgliche Zustand habe beseitigt werden müssen, und er sei beseitigt worden durch Enthusiasmirung des deutschen Volks- Man wisse, aus welcher Quelle diese Enthusiasmirung gestossen sei. Edle Männer haben den Samen des Gefühls für Freiheit, deutsches Recht und deutsche Sitte ausgestreut, und die Folge sei gewesen, daß Deutschland tpje Ein Mann sich erhoben und daß die Franzosen, die aus Rußland sehr ge schwächt zurückgekehrt waren, aus Deutschland gejagt wurden- Der Lohn deutscher Hingebung habe in der Versicherung bestanden: man wolle ferner hin dem deutschen Geiste volle Anerkennung schenken, man wolle jede geistige und materielle Kraft auf deutschem Boden sich entwickeln lassen, wie in der früher» schönern Zeit Deutschlands diese Entwickelung nach den damaligen Verhältnissen der Cultür und selbständigen politischen Stellung hätte statt- sinden können- Er wolle gern.zugebcn, daß man das Versprechen in der besten Ueberzeugung, es halten zu wollen, gegeben habe, und cs sei möglich, daß die Ausführung sich als schwieriger darstellte, als man gedacht hatte. Kurz, daß Versprochene sei nur unvollständig gegeben. Hierauf seien nun die