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1446 bemächtigen. Und dies haben sie auch gethan, haben es gethan wie noch keine vor und neben ihnen! Sic haben den Strömungen des Herzens Stillstand geboten, die Schwingen des Gedankens angenagelt und das ganze Volksleben zu einem Buche gemacht, in das sic alle ihre Verord nungen hineingcschriebcn. Da« Bann- und Excommunicationsrecht ist ih nen in den civilisirten Staaten genommen worden, aber Lie Gcistcstyrannci ist ihnen überall geblieben! Auch in Deutschland, und namentlich im preu ßischen Staate, trägt noch der größte Theil des Volks ihr eisernes Joch, und er trägt cS willig, wie von der Natur dazu bestimmt!" Nachdem nun der Vers, die Bestrebungen der neuern Rabbinen mit glei cher Schärfe beleuchtet und nachwcist, „daß alle ihre Reformen eben nur Re formen, neue Formen des alten Orientalismus und Rabbinismuö sind, daß sie aber keine neuen Lcbcnskcimc, keine frische Befruchtung oder tiefere Erweckung und Empfänglichkeit in das Judcnthum gebracht", setzt er die mehrfachen Gründe aus einander, die das in unserer Zeit bedeutungslos gewordene Cere- monialgesctz zugleich höchst verwerflich machen. Sehr beherzigenswerth er scheint uns folgende Stelle: „Wir müssen aber noch jenen Punkt hcrvorhcben, bei dessen Berührung ein falsches Gefühl der miSvcrstandcncn Gewissens freiheit sich aufbläht: wir meinen die Emancipation, der das Ccremonien- wcsen so hinderlich ist. Ja, Diejenigen, für die dies noch religiöse Be deutung hat, dürfen nichts davon der Emancipation opfern; aber alle Jene, die es als bedeutungs- und nutzlos erkannt haben und behandeln, und es dennoch nicht für, ja, gerade nicht für die Emancipation hingcben wol len, die entwürdigen die Gewissensfreiheit, die haben keinen Sinn für Bürgerthum und höhere menschliche Entwickelung, die opfern die heilig sten Interessen, die tiefsten und lebendigsten Empfindungen, nicht einer Idee, nicht dem geistigen Gute des Judenthums, sondern einer geckischcn Eitelkeit, einer wahndcfangencn Versessenheit! Die Freiheit ist nicht in ihr Herz gedrungen, sie führen sic nur im Munde und vertauschen sic daher gegen leere Worte und Buchstaben. Der Staat hat freilich kein Recht, sich in unsere Privatvcrhältnisse zu mischen, oder davon Notiz zu nehmen; wir haben aber auch kein Recht, darüber zu klagen, daß uns unsere christlichen Brüder als Sonderlinge betrachten und nicht alle die Sympathien für uns hegen, die nur durch ein inniges sociales Zusam menleben erzeugt werden können. Die deutschen Slaatsrcgierungen zei gen sich einmal nicht geneigt, uns zu emancipircn, sei es aus Rücksicht auf eine ungünstige Volksstimmung, oder aus andern Gründen, jedenfalls haben wir unsere Gleichstellung nur von einer Befreundung des Volks zu erwarten, und wir müssen daher alles Unwesentliche und Abstoßende aufgeben, das leincr innigem bürgerlichen Verschmelzung hinderlich ist. Das ist kein leichtsinniger Handel, sondern die Erlangung des schönsten Kleinods, nachdem man sich den Schmuz von den Händen wcggeschafft hatte. Die Wahrheiten des Judenthums, den ganzen geistigen Gehalt desselben wollen wir fcsthalten und um keinen Preis aufgebcn, und darin wollen wir auch Trost und Erheburm für die Unbill der religiösen Un duldsamkeit finden; aber den todtcn Götzen wollen wir nicht länger opfern, die göttliche Gewissensfreiheit wollen wir nicht mehr zur Beschönigung der Trägheit misbrauchen!" Preußen. (-1-) Berlin, 31. Mai. Nach Allem, was wir jetzt vernehmen, wird sich der Staat durchaus indifferent gegen die deutsch-katholische Be wegung verhalten, er wird den Deutsch-Katholiken nicht die Rechte einer besondern Kirche geben, aber er wird sie als eine Sekte tolerircn. Ihr Verhältniß zu ihm wird ganz in der Art und Weise sein wie das der Altlutherancr. Eö wird ihnen nicht gestattet sein, ihren Gottesdienst in Kirchen abzuhaltcn, sic werden sich vielmehr auf Betsäle beschränken, das Recht, besondere Geistliche zu haben, bleibt ihnen unbenommen, aber aus Staatsmitteln wird für die Besoldung derselben nichts gethan werden, sie bleiben vielmehr von den Beiträgen ihrer Gemeinden abhängig. Dies scheinen die Grundlinien für die vorläufige Ordnung der deutsch-katholischen Angelegenheiten in Preußen zu sein, und wenn man alle Verhältnisse be rücksichtigt, so wird man mit einem solchen Resultat immerhin zufrieden sein können. Hat nun der Deutsch-KatholiciSmus wahrhafte schöpferische Lebenskraft und wird er seinen Grundgedanken nicht über kleinen und for mellen Differenzen verlieren, so wird er auf dem Boden, welchen man ihm in Preußen zugesteht, bestehen und wirken können. Unter Verhältnissen, weit gedrückter und begrenzter als die, unter welche man die Deutsch- Katholiken stellen wird, sind sonst schon religiöse Umgestaltungen vor sich gegangen. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt man hier die Anstrengungen, welche die ultramontan-rheinische Partei auf die rheinische Presse macht, und den eigentlichen Charakter verschiedener Aufsätze in der augSbur- ger Allgemeinen Zeitung über diesen Punkt hat man trotz ihrer frommen Miene recht wohl herausgefundcn. Das ist also gewiß, der Kölnischen Zeitung steht eine Krisis bevor. Der Borromäusvcrcin scheint seine Wirk samkeit ganz besonders auch auf dieses große ZcitungSinstitut ausdehncn und es für die uktramontanen Interessen gewinnen zu wollen. Gelingt es ihm, so sehen wir voraus, finkt die Kölnische Zeitung allmälig zu der Stellung eines Provinzialblatts zurück. Der Kampf, den man am Rhein übrigens gegen das preußische Regierungßprincip führt, die Art und Weise, wie sich dort Ultramontanismuö und Liberalismus, ja sogar Radi kalismus gegen dieses Princip verbinden und wie sich das eben erst deut lich in dem 'Artikel des Frhrn. Max v. LoL in der augsburgcr Allgemei nen Zeitung ausgesprochen Hal, ist durchaus nur geeignet, die Negierung zu stärken und cinc Rcaction des „aufgeklärten Preußcnthums" hervorzurufen. . Der Dr. Stern chat seine Vorlesungen über die Reform des Ju- dcnthums nun wirklich im Druck erscheinen lassen, sie verfallen damit also der Kritik. Gesprochen machte sich ihr Inhalt weit besser als gedruckt. Jetzt treten alle Schwächen und eine große Haltlosigkeit diesig Stand punkts hervor. Man findet mehr Pathos als wissenschaftliche Begrün dung, und es kann kaum noch gcläugnct werden, daß sich einer solchen unverarbeiteten Reformbcwegung gegenüber daS talmudische Judcnthum in feinem Rechte befindet. Wir können, wenn kein anderes Material auf geboten wird, eben kein allzu großes Vertrauen in die Zukunft dieser jü dischen Reformbcwegung sehen. Minister Eichhorn ist wieder in Berlin eingetroffcn und hat sich wieder an die Spitze seiner Geschäfte gestellt. Seine Kränklichkeit war keineswegs so bedeutend, wie sie von verschiedenen Journalen gemacht worden. — Die neueste Nummer der Gesetzsammlung enthält die Bestä- tigungsordre der Statuten des Actienvcreins des zoologischen Gar tens und der damit verbundenen zoologischen Gesellschaft sowie eine De claration, betreffend die Berechnung der Laudemien von Grundstücken, bei welchen Rcallasten abgelöst worden sind. — Heute wird von den hier an wesenden Schlesiern im Kroll'schcn Etablissement ein Schlesierfest ge feiert, die Rheinländer waren ihnen bereits vorangegangen, und wie wir vernehmen, wollen ihnen selbst die „guten treuen Westfalen" und die Pom mern folgen. Es ist wol nicht zu erwarten, daß diese Feier provinzieller Lcbcnselemcnte sich allgemeiner» Bestrebungen und Gesichtspunkten feind lich gegenüberstellcn wird. — Jetzt hat sich auch die Speculation der Jtz- stein'schen Angelegenheit bemächtigt, daS Portrait dieses badischen Volksabgeordneten wird hier jetzt reißend verkauft. — Die Freunde des Hutaufbehaltens verfolgen ihre Angelegenheit mit einem fast rühren den oder komischen Ernst und haben bereits eine neue Versammlung gehalten. * Posen, zo. Mai. Bei der großen Procession des diesjährigen FrohnlcichnamsfesteS war eine Pracht entfaltet, wie wir sie hier seit langen Jahren nicht gesehen haben; der katholische Klerus bietet Alles auf, um die Kirchenfeste auf das glänzendste auszustatten und dadurch das religiöse Bewußtsein in den Bekennern der römischen Kirche immer frisch zu erhalten. Ein Theil des Adels schließt sich solchem Schaugepränge wol nur aus Politik an, nachdem man sich darüber verständigt hat, daß die Religion als das letzte große Bindemittel betrachtet werden müsse, die Einheit der Nation aufrecht zu erhalten. Während daher in srühernJah- ren der große Zug zumeist aus Gliedern der nieder» Stände bestand, sah man diesmal eine Menge den höchsten Gesellschaften angehörige Indivi duen neben Bauern und Täglöhnern andächtig durch die Straßen ziehen, und die vornehmsten Damen bei der Erhebung der Monstranz auf das Straßcnpflaster nicderknien. Auch pontificirte unser Erzbischof, der erst Tags zuvor von Berlin hier cingctroffen war, in eigner Person an den prächtigen, auf dem alten Markte errichteten Altären. Die herbeige strömte Volksmenge war diesmal so groß, daß wol an 10,000 Perso nen an der Procession Theil nahmen, die eine ungeheure Längcnausdeh- nung hatte. Bei dieser Gelegenheit muß des mangelhaften Berichts über die diesjährige Frohnleichnamsproccssion in der berliner Vossischcn Zeitung erwähnt werden. Dort wird nämlich besagt, die Frohnleichnamsfcicr sei, weil der. neue Erzbischof erst am 24. Mai hier wieder cingctroffen, von dem 22. Mai als dem eigentlichen Frohnleichnamstage auf den nächsten Sonn tag den 25. Mai verlegt worden. Nun aber weiß hier jedes Kind, daß die Frohnleichnamsprocesfioncn bei uns eine volle Woche dauern, und im mer eine Kirche nach der andern die ihrige hält. Die große Hauptpro- ccssion für die eigentliche Stadtgemeinde, deren Gotteshaus die ^roßc Pfarrkirche (die ehemalige Jcsuitcnkirche) ist, findet immer erst am Sonn tage nach dem FrohnlcichnamstM statt, weil an diesem Tage die bezüg liche Feier im erzbischöflichen Dom abgchalten wird. Auch spricht die Vossische Zeitung immer von unserer Jcsuitenkirche, während doch die Pfarrkirche diesen Namen seit langer Zeit nicht mehr führt. Eine impli- cirtc Hinweisung auf die Jesuiten ist bei dieser Gelegenheit wenigstens am unrechten Orte. — Eine Caricatur, die am Morgen des genannten Tages an unsern Stkgßenecken gefunden sein soll und die Czerski'ö Apo theose auf römische Art versinnlichte, ist zeitig genug beseitigt worden, um nicht ein öffentliches Acrgerrsiß zu geben; übrigens kann man sich einer Regung tiefen Unwillens nicht erwehren, daß gerade an einem solchen Tage eine solche Demonstration versucht wurde. Der Urheber dieses Fre vels kann jedoch nur der Niedrigsten Sphäre angehören. Der Hirtenbrief unsers Erzbischofs enthält eben nichts Hervortre- tcndes, sondern bewegt sich in allgemeinen Acußcrungen, die nach herkömm licher Weise mit Bibelsprüchen reich gespickt sind, und empfiehlt Eintracht und Frieden nach allen Seiten hin. Wir müssen dies cncyklische Schrei ben deshalb loben, aber nichtsdestoweniger ist cs manchem harten Tadel hier nicht entgangen. Die Zeloten unter den Katholiken sind nicht zu frieden damit, daß er nicht ärger gegen die ketzerischen Rongianer losge- donncrt, und die katholischen Deutschen fühlen sich unangenehm dadurch berührt, daß der Herr Erzbischof den Polen vorzugsweise das Kompli ment macht, als sei er nur der Oberhirt der polnischen Katholiken, und nicht im gleichen Grade der zahlreichen Deutschen. Es heißt nämlich gleich zu Anfänge des Hirtenbriefs: „Die ersten Worte, mit denen wir beiUeber- nahme der Verwaltung der verwaisten beiden ältesten Bisthümer unserer Nation" rc. Wir sollten meinen, der Ausdruck passe nicht recht, denn die Kirche hat eS mit der Confessio» und nicht mit der Nation zu thun. In dem Gruß an das Mctropolitancapitel heißt es: „Eure Hülfleistung ist be sonders in jetziger Zeit nöthia, wo ein gewaltiger Sturm das Schiff des heiligen Petrus in den Abgrund zu schleudern und zu zertrümmern droht. Zwar werden die Pforten der Hölle diese Kirche nicht überwälti gen" rc., und weiterhin: „Die Heiligkeit unserer Werke möge den Be weis liefern für die Wahrheit unsere Glaubens und eine Widerlegung sein der gräßlichen Schmähungen, denen gegenwärtig die Einheit der Kirche, ihre Dogmen und ihre Disciplin.ausgesetzt ist". Zu den Priestern sagt