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Donnerstag Nr. I4S. 29. Mai 1845. BW Deutsche Avgemeiue Zeitung. UM AuSUmve« «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» «--erblick. Deutschland. — München. Witterung. Rinderpest. Die Schneiderprin zessin. Die Schweiz. Griechenland- ch Nürnberg. Das FrohnlcichnamSfcst. Der Judenhaß. — Die Kniebeugung. — Die württembergische zweite Kammer. — Die barmherzigen Schwestern. * Kassel- Hr. Henkel über kirchliche Reform. Auswanderung. — Die Preß- und die Spielfrage. AreuHen. "Bertin. Provinzialstände, Reichsstände und der Gesanunt- wille. "Stettin. Der Oberbürgermeister. chNon der Elbe. Die Volks versammlungen. Pastor Uhlich.— Die Bürgergesellschaft zu Königsberg. Spanien. Concordat. Mro-britannien. Unterhaus. Die Königin. Das Durchsuchungsrecht. Nachrichten aus Ostindien. Frankreich. Pairskammer. Deputirtenkammer. Die Bank von Frankreich. > Bittgebete. Marokko. ** Paris. Marokko. Die Sesamfrage. Hr-Cunin- Gridaine- Die Kammern. Schweiz, vr. Steiger. Aargau. Zug- Storbamerika. "Boston. Brasilien. Frankreich. Lejas. Handel und Industrie. "Berlin. DasHandclsschiedsgericht. "Leip zig. Börsenbericht. — Berlin. Stnkündigungen. Deutschland. -- München, 24. Mai. Das freundliche Wetter, durch welches das vorgestrige Fest begünstigt worden ist, hat leider nicht lange gewährt, und ein abermaliges Steigen der Preise auf dem heutigen Getreidemarkt haben wir als Ergcbniß dieser Ungunst der Witterung hinzunehmen. Gleichwol sind viele Bewohner der Ludwigsvorstadt soeben wieder damit beschäftigt, ihre Häuser festlich zu schmücken, da die Gemeinde der neuen Ludwigskirche mor gen ihre erste große Proccssion hält. Eben so feiert die volkreiche Vorstadt Au morgen ihr Frohnleichnamsfest. Aendert sich das Wetter nicht, so wer den sich von der nächsten Woche an diesen regelmäßigen Kirchcnfahrtcn noch außerordentliche Bittgänge, Wallfahrten und Proccssionen behufs der Erstehung günstigerer Witterung anschlicßen. Ucbrigens wird mit Unrecht behauptet, die Aernte sei bereits aufs äußerste gefährdet, indem sie durch die so lange anhaltende Kälte und Nässe wol nur um einige Wochen verzögert werden wird. Es ist etwas Bekanntes, daß das große Publi cum in dergleichen Fällen sich gern übertriebenen Besorgnissen hingibt, und dazu thun die Speculationen und Umtriebe der Kvrnwucherer das Uebrige. — Mehren Blättern ist von hier aus die Mittheilung gemacht worden, daß die Rinderpest auS Oesterreich in das Oberbairische eingeschleppt worden sei. Dieses aller Begründung entbehrende Gerücht kann nur aus dem bedauerlichen Umstand erklärt werden, daß in dem nahe bei München liegenden, auch historisch bekannten Dorfe Sendling unter dem Rindvieh Lie Klauenseuche ausgcbrochen und deshalb eine zeitweilige Absperrung der Communication angeordnct worden ist. — Man wird sich erinnern, daß vor einiger Zeit in verschiedenen Blättern die Rede von einer hier entdeckten Schneiderprinzessin gewesen ist, d. h. von einer an einen hiesigen wohlhabenden Bürger dieses Gewerbes verhciratheten Frau, die, als Jüdin erzogen und später getauft, als rechtmäßige Tochter eines italieni schen Fürsten erkannt und von dem Vater auch als Kind anerkannt wor den sei. Die Geschichte war nichts weniger als neu, wurde aber, zuerst im Nürnberger Korrespondenten, wieder mit verschiedener Verzierung ver- sekcn und so wo möglich noch romanhafter gemacht, als sie es in der That schon an sich ist. Zur Vervollständigung möge dienen, daß die er wähnte Dame seitdem nach Italien gereist und dem Vater vorgestellt worden, jetzt aber im Begriff sein soll, in den Besitz eines vcrhältnßmä- ßig immensen Abfindungsvermögens zu treten. So lautet von hundert Sa gen wenigstens die mindest unwahrscheinliche. Bei der innigen Theilnahme, mit welcher man hier vom ersten Au genblicke an den bcdauernswerthen Vorgängen in der Schweiz gefolgt ist, mußte die Spannung bezüglich des Looses, welches vr. Steiger treffen werde, von Tag zu Tag wachsen, obschon fast mit jeder Post neben den Übeln Nachrichten auch solche Mittheilungcn eintrafen, die zu leidlichen Hoffnungen berechtigten. Die Gefahr für Dr. Steiger wuchs eine Zeit lang durch die Unbilden, welche luzernische Bürger im Aargauischen und sonst in der Nachbarschaft hatten erdulden müssen, wodurch die Gewalt- träger in Luzern sich selbst neu herausgefodert sahen. Die neuesten Briefe stellen eine Begnadigung vr. Stcigcr's unter der Bedingung in Aus sicht, daß derselbe entweder auf eine österreichische Festung gebracht oder sür seine Nichtrückkehr aus irgend einem außereuropäischen Exil förmlich gebürgt werde. Eine Herstellung des vollen Friedens im Innern der EidSgenossenschaft hofft nach wie vor von allen Denjenigen, welche die Motive der jetzigen Aufregung genau kennen, Niemand. Nur eine wesent liche Verfassungsreform konnte zu diesem von allen Schweizern zwar ge wünschten, aber immer wieder von den Einen allen Ucbrigcn hartnäckig verwehrten Ziele führen, und in der That lassen neuerdings manche An zeichen hoffen, daß diese Ansicht jetzt auch in Wien beherzigt zu wer den anfangc. Die wenigen Briefe aus Athen, welche die Post vom 6. Mai mit- gcbracht hat (die Post vom 27. April scheint für München verloren ge gangen zu sein, und seit vorgestern warten wir auch wieder vergeblich auf >ene vom lv. Mai), bringen in das über den Gang der dortigen Ereig nisse verbreitete Dunkel ein nur sehr schwaches Licht. Offenbar kämpft die Negierung einen je länger desto schwierigem Kampf gegen die diplo matischen Jntrigucn, gegen die Umtriebe der Parteien im Innern und gegen die von der Grenze her drohende Katastrophe, aber sic hat ihn bis letzt mit Umsicht und auch nicht ohne wesentliche Vorthcile bestanden. AuS den letzter» jedoch auf einen glücklichen Ausgang schließen zu wollen, wäre gegen jede Lehre, die uns unsere Erinnerung an die griechischen Ucblich- keitcn darbietet. Mavrokordatos ist ein zu kluger und verschlagener Mann, um Alles oder auch nur Viel an Nichts zu setzen! -f Nürnberg, 25. Mai. Der Beschluß, am verflossenen Donnerstag als am Frohnleichnamstage des katholischen Festes wegen den Wochen markt einzustellen und die Läden in der Nähe derKirchc zu schließen (Nr. 14 l), ist nicht zur Ausführung gekommen. Man hatte denselben anfangs dahin abgeändcrt, daß der Markt auf den Mittwoch verlegt werden sollte, spä ter aber ihn ganz zurückgenommcn und den Verkehr nach hergebrachter Observanz ungehindert gelassen. Dies war gewiß die klügste Partie, die man ergreifen konnte. Nicht als ob dem katholischen ReligionStheil eine angemessene Feier seines Cultus und die Beseitigung aller etwanigc» Stö rungen desselben mißgönnt werden wollte; im Gegentheil können alle Ein sichtsvollen darüber nur Einer Meinung sein, daß gegenseitige Achtung und Schonung der beiden Confessionen das wünschbarste und einzig rich tige Verhältniß zwischen ihnen ist. Daran aber, ob der gegenwärtige Au genblick zur Einführung auffallender Neuerungen der bcstqcwählte, konnte und mußte mit Recht gezweifelt werden.—In Thalmessingen, eincük mittelfränkischen Dorfs, hat sich dieser Tage ein Fall ereignet, welcher lebhaft an die berüchtigte Geschichte von dem Morde des Pater Thomas in Damaskus erinnert und den nicht eben erfreulichen Beweis liefert, daß auch in unsern civilisirten Ländern Vorurtheile, deren Haltlosigkeit eine gründliche Forschung und die Aufklärung des Jahrhunderts längst darge- than hat, noch nicht ganz erloschen sind. Eine Lumpenhändlerin hatte ihr Kind verloren; sofort erklärte sie, die Juden hätten dasselbe bei Seile ge schafft und in einen Schweinstall gesperrt, damit cs von den Schnieinen gefressen werde und sie bann (!) dessen Blut bekämen. Auf die Frage, woher sie dies wisse, gab sie zur Antwort: der heilige Geist habe es ihr gesagt. Die Aufregung in dem Ocrtchen war groß; glücklicherweise aber fand sich daß Kind, noch ehe die drohenden Excesse zum Ausbruche kamen, in dem Hause der Mutter selbst unversehrt und wohlbehalten wieder. Als man der Lumpensammlerin die Nachricht brachte, erklärte sie: sie wisse es sckon, auch dies habe ihr der heilige Geist gesagt. Gegen die Lumpen händlerin wird nun criminell verfahren, und bic Juden dringen auf Ver öffentlichung des Proceßergebnisses. Dieser Vorfall mag zugleich als Be leg gelten von dem inhumanen Beginnen gewisser Leute, die, einer ge lehrten Grille zu Liebe, aus vermoderten Scharteken bogenreiche Schriften zusammentragcn, nm das Vorurthcil von dem Gebrauche des Christen- blutS bei den Juden wieder in Aufnahme zu bringen — ein Vorurtheil, das, so oft ein Ereigniß es zu bestätigen scheint, durch genaue Erforschung des Thatbestandcs um so schlagender widerlegt wird. — Die neue Verfügung in Betreff der Kniebeugung, wird dem Rhei nischen Beobachter aus München vom 17. Mai geschrieben, welche von der augsburgcr Allgemeinen Zeitung vor einiger Zeit angckündigt wurde, ist noch nicht amtlich bekannt gemacht, auch der protestantischen Geistlichkeit noch nicht mitgetheilt; die Existenz derselben dürfte jedoch keinem Zweifel un-- tcrliegcn. Ihre Bedeutung hcstcht darin, daß in Zukunft nicht blos die dienstpflichtigen, sondern auch die freiwillig dienenden Protestanten von der Knicbcugung bei Proccssionen befreit find. Diese mildernde Verfügung ist zwar allerdings dankbar anzuerkcnncn, ist aber immer doch nur eine halbe Maßregel, welche die Beschwerden der Protestanten in dieser Be ziehung keineswegs vollkommen erledigt. Denn außer den Proccssionen kommen, wie das „Zweite offene Bedenken" des Grafen Gicch deutlich auscinandersetzt, noch drei Falle vor, in welchen die Kniebeugung auch von Protestanten fortwährend geleistet werden muß: 1) Wenn von einer Wache eine Escortc verlangt wird, um das Hochwürdigstc zu begleiten; 2) wenn das Hochwürdigstc vor einer Wache vorbcigetragcn wird, und 3) wenn eine im Marsche befindliche Truppcnabthcilung dem Hochwürdig-