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1298 bungen auf daS nachdrücklichste unterstützen. Eine Adresse in diesem Sinn, aufmunternd und zustimmend, ist soeben von dem Kerne, der hiesigen jü dischen Bevölkerung unterzeichnet worden, und ein Aehnlicheß geschieht in allen jüdischen Gemeinden der Rhcingcgcnd. Die Negierungen begrüßen dieses neu erwachte Streben auf das freudigste und erkennen in ihm den Anfang zur längst gewünschten und gefederten Selbst-Emancipation der Juden. — Dem Frankfurter Journal wird aus Dffenbach vom 16. Mai ge schrieben, daß der am 18. Mai abzuhaltende erste Gottesdienst der deutsch- katholischen Gemeinde zwar nicht in der dcutsch-refvrmirten Kirche vollzogen werden könne, glcichwol aber am nämlichen Tag in einem eigens dazu hergerichtetcn Locale feierlich begangen werde. Nur Diejenigen, welche Karten empfingen, erhalten Zutritt. *ÄöthkN, >5. Mai. Oie protestantischen Freunde hielten heute ihre Hauptversammlung hier, bestimmt zur Besprechung kirchlicher und religiöser Angelegenheiten und Mr gegenseitigen Kräftigung für Werke der Wahrheit und Liebe, um das Reich Gottes auf Erden näher herbci- zuführcn. Hatte man bei der unsern Tagen eigenthümlichen Erregbarkeit für dergleichen Angelegenheiten und namentlich in Folge der Bewegung, welche die katholische Gemeinde Deutschlands ergriffen, erst mit hoher Erwartung von mancher Seite dieser Versammlung cntgcgengcschen: so war doch in nicht wenigen Gcmüthern diese Erwartung wieder sehr hcrab- gestimmt worden durch einige den protestantischen Freunden nicht eben gün stige Erscheinungen. Die unevangclische Kirchcnzcitung Berlins — denn auf diese Benennung hat sie sich durch ihr liebloses langjähriges Treiben das traurige Recht erworben —, hatte ihre Schmähungen und Verdächti gungen der protestantischen Freunde mit steigender Erbitterung fortgesetzt und unter den Augen der höchsten Behörden Preußens immer lauter über die kirchliche Demagogie geschrien mit kühner Hcrausfoderung der Staats macht gegen sie als gegen eine in der Kirche nicht mehr berechtigte Be wegung. Wislicenus, der Pfarrer in Halle, daS Hauptziel ihrer feind lichen Angriffe geworden, mußte, wol meist in Folge einer erlogenen Dc- nunciation, daß er ein Kind seiner Gemeinde nicht mehr auf Christus, sondern auf den Geist getauft habe, zur Untersuchung erscheinen erst vor seinem Consistorio oder vielmehr vor einer Deputation desselben, dann noch vor einer Commission in Wittenberg, und einen unfreiwilligen Ur laub auf vier Wochen nehmen. Dazu kam, daß ein Ausschreibcn dcS Ge- So viel ergab sich unzweifelhaft, daß man in der Ucbcrzcugung sich einig fühlte, die Kirche sei eben die lebendige Gemeinde, man habe aber diesen Urbegriff derselben verdrängt und unter dem Namen der heiligen Kirche etwas hingestcllt, was die freie Entwickelung des Christenthums gebunden, die frische Bewegung der Geister gehemmt habe und heute noch als Einschüchterungsmittel diene. Doch ich werde diesen Gegenstand wol späterhin genauer bezeichnen können. An die Sätze, welche Pastor Uh lich hinstellte, knüpfte sich die Angelegenheit des Pastors Wislicenus, der, eben von Wittenberg kommend, berichtend und berichtigend sich öffentlich aussprach und von den Versammelten mit einem herzlichen Willkommen be grüßt wurde. In Bezug auf seine Sache wurden mehre Fragen vorgelegt, einzeln der Erwägung und Besprechung anhcimgegcben und dann um Ant wort gebeten. Sie waren darauf gerichtet, ob ihn die protestantischen Freunde nach dem Vorgcfallcncn noch als den Ihrigen anerkennten; ob sie mcin- sammlung auf dem belebten köthcncr Bahnhofe möglich sei, wo so viele Dampfwagenzügc täglich ankommcn und abgchcn, so viele Menschen aus- und cinsteigcn? Dennoch solche Ruhe, solche Achtung gegen die würde volle, ernste Versammlung, daß nicht die geringste Störung eintrat! So Manches war vorhanden, was die Leidenschaften erregen konnte, und doch überall Anstand und Besonnenheit! Die Theilnahmc war für Alle mit Anstrengung und Opfern verbunden, und doch wuchs die Aufmerksamkeit und lebendige Bctheiligung eher, als daß sie sich minderte! So manche Besorgniß und Zurückhaltung wäre unter den gegebenen Verhältnissen er klärbar und verzeihlich gewesen, aber noch nie haben so viele Preußen sich eingesunken, noch nie hat sich so frischer Glaubcnsmuth in den Versamm lungen, ein so fröhliches Vertrauen auf die Macht des heiligen Geistes der Wahrheit offenbart als heute. Kein Gesetz, keine Verbindlichkeit, keine äußere Gewalt, und — der Wink und das Wort eines schlichten Land- pfarrerS leitete mild bittend so viele Menschen, die einander meist sremd waren, sich nicht einmal dem Namen nach kannten, den verschiedensten Ständen, selbst verschiedenen Geschlechtern angchörtcn! Meinungen, die einander scharf gcgcnübcrstanden, sprachen sich aus, aber nur Gründe ent schieden, und ihnen, der Macht der Wahrheit, beugte sich Jeder willig. Hätten die bedenklichen Gemüthcr, die gern daheim bleiben und ruhig zu- sehcn, wie Andere für die Sache der Wahrheit arbeiten, gesehen, wie bis in die untersten Stände herab Alle den lebhaftesten Antheil nahmen, hät ten sie gehört, wie hier ein nicht eben reicher Bürger von Halle sich er bot, dem Pfarrer Wislicenus, falls er sein Amt aufgeben müsse, ein Stockwerk seines Hauses cinzuräumcn oder ihm den jährlichen Ertrag des selben zu geben, wie dort ein Müller versprach, ihn in jenem Falle mit dem noihigcn Brote zu versehen, wahrhaftig! sie würden sich tief beschämt gefühlt haben. Die kirchlichen Behörden aber, können sie bei ihrer Liebe zu Dem, was ihnen anvertraut ist, anders als sich freuen des erwachten guten Geistes, der solchen Werth auf das Christcnthum legt und solche Hingebung an das Höhere und Heilige beweist? Erbaut und gestärkt wurden die meisten der Anwesenden in langen Zügen von dem Dampfe dahingcführt nach Nord und Süd, während sich die Bleibenden zu traulicherer Besprechung sammelten, bald aber ihren Kreis sich immer wieder erweitern sahen. Todt, nein, tobt ist der Ratio nalismus nicht, der innerhalb vier Jahren unter den wachsenden Befein dungen erbitterter Gegner den kleinen Verein von 16 Geistlichen bis zum Zusammcntreten mehrer Tausende ausdchnen kann. , ob man ihm seine Theilnahmc an den Unannehmlichkeiten, die ihm begeg net seien, bezeige; ob man gemeint sei, fort und fort daö Recht freier > Entwickelung des Christcnthums in Anspruch zu nehmen. Auch diese > Fragen werde ich in treuerer Form später berichten können. So viel ist l gewiß, daß auf daS sorgfältigste Alles vermieden war, was einen Schat- l ten auf die Maßregeln der Behörden hätte werfen können, daß die Er klärung nur als Entgegnung auf die schmachvollen Angriffe der uncvan- aclischen Kirchcnzcitung dienen soll, und daß mit der allgemeinsten Zu stimmung die Fragen bejaht wurden. Außerdem wurde eine für eine Kir- chenzcitung bestimmte Erklärung für Geistliche vorgelcscn, welche sich mit Wislicenus im Wesentlichen einverstanden fühlen könnten, und zur Un terzeichnung auSgelcgt, welche bald 50 Unterschriften trug. Es wäre sehr zu wünschen, daß zu dieser Erklärung sich auch anderwärts die freisinnigen Geist lichen öffentlich bekennten, wie cs von dcn Gegnern mit der Excommuni- cationserklärung Wislicenus' geschehen ist, obgleich zuzugcstehcn ist, daß das Zeugen für Wislicenus einen festern Glauben an die Wahrheit erfo- dcrn möge in unsern Tagen, als das Zeugen gegen ihn. Die anwesen den Nichtgeistlichcn baten dringend darum, auch diese Erklärung in einer Abschrift unterzeichnen zu dürfen. Noch ein dritter Schritt wurde von einem preußischen JustizcomEar versucht, nämlich eine vom Standpunkte des Landrechts aus verfaßte Verwahrung gegen ein Verfahren wie daS gegen Wislicenus beliebte, wurde vorgestscn und mit lautem Bcifalle be grüßt, jedoch aus dem Grunde, daß eine so gemischte Versammlung sich nicht füglich auf diesen Standpunkt mit stellen könne, und daß die Sache auch eine noch schwebende Untersuchung sei, deren Ende man erst abibar- tcn müsse, dem Verfasser überlassen. Außerdem stellte noch Superinten dent Schmutter aus Sonnenburg dcn Antrag, bci der Behörde mit der Bitte einzukommen, die noch bestehenden Pastoralimmunitäten aufzuheben und die durch Besteuerung der bessern Pfarrstcllcn zu gewinnenden Gel der zur Verbesserung ärmlicher Schulämter zu verwenden. Diesem An träge folgte noch die Empfehlung der von den protestantischen Freunden herausgeqebcnen „Blätter für christliche Erbauung" und mehrer anderer kleiner Schriften, namentlich eines Katechismus von Uhlich. Eine Be grüßung der deutsch-katholischen Gemeinden und ein dankendes Lebehoch für den Ordner und seinen Stellvertreter schloß die fast sechsstündigen Verhandlungen, an welche sich ein einfaches Mahl knüpfte für etwa -100 Per sonen, zwischen deren Sitzen fröhlich die Scharen der Uebrigen hin - und herwogtcn, Theil an ihren Gesängen nahmen und herzlich in die wenigen Toasts cinstimmten, unter denen das Lebehoch für die treue, glaubcnsfeste Gattin Wislicenus', die als Mutter von sechs Kindern und ohne Vermö gen, noch nicht mit einem Blicke ihren Gatten seine Ueberzeugungötreuc erschwert habe, den meisten Anklang fand. So hatte denn zum ersten Mal eine Versammlung unter freiem Himmel vor Tausenden statt. Willig fügte sich Alles in die unerwartete Nothwendigkcit; die Sprecher kürzten ihre Reden ab, sic erhöhten ihre Stimmen, die Uebrigen standen und verhüteten sorgfältig jedes Geräusch, )er Himmel milderte die rauhen Luftströmc, und Gottes Sonne schien reundlich herab. Wer hätte sich denken können, daß eine solche Vcr- neralsupcrintendentcn zu Magdeburg dcn Geistlichen die Abmahnung von der Theilnahmc an der ziemlich deutlich bezeichneten köthener Versamm lung in erneuerter Dringlichkeit verlegte, von der man eine Einschüchterung manches geistlichen Gcmuths fürchtete, wie denn auch wirklich einige Pfarrer ihr Ausbleiben in Köthen vor ihren Freunden damit entschuldigt haben, daß nicht eine Veränderung ihrer Gesinnung, wohl aber die Rücksicht auf eine endliche Erlösung aus ihren ärmlich dotirtcn Stellen sic abhaltc. Alle diese Dinge hatten hier und da die Erwartungen herabgestimmt. Allein schon der Vorabend der Versammlung, an welchem gewöhnlich 10—20 Freunde schon eingctroffen waren und sich in vertraulichen Mittheilungen aus ihren Lcbcnskrciscn unterhalten hatten, führte weit über ISO Theil nehmer zusammen, die dann über die Tagesordnung vorbcrictkcN und über einige formelle Gegenstände. Das Ergebniß war das Zusammcntreten eines Ausschusses, der früh 6 Uhr schon noch schärfer die Fassung der Fragen bestimmen möchte, welche in Bezug auf die Wislicenus'schc Sache öffentlich vorzulegcn sein dürften. Nach 8 Uhr aber füllten sich die Räume des großen Restaurationsgebäudcs auf dem Bahnhofe so mit Theilnchmern, daß der Saal zum Erdrücken voll war, als ctwa der vierte Theil der Anwesenden sich in denselben begeben hatte. Cs blieb keine Wahl, man mußte dcn Versuch machen, unter freiem Himmel die Besprechung zu halten. Zwischen den eisernen Schienen und dem Re- staurationsgcbäudc wurde mit einigen Tischen die Rcdncrbühne gebildet, die Tausende scharten sich im Kreis um dieselbe, und Archidiakonus vr. Fischer aus Leipzig eröffnete mit allverständlicher Stimme und mit von lau tem Bravo aufgenommcnen Worten die Versammlung. Der Landpfarrcr Uhlich aus Pömmelte, dem als Ordner in der Person des Buchhändlers vr. Schwetschke aus Halle ein Stellvertreter beigegcbcn war, begann so dann mit Vorlegung mehrer cingegangenen Adressen aus Vorpommern, Hintcrpommern, Mecklenburg-Streich und Königsberg, welche letztere ein von dort gesendeter Abgeordneter ablaS, worauf eine ungefähre Bezeich nung der Theile Deutschlands folgte, aus welchen Zeichen der Theilnahmc oder eigne Vertreter gekommen waren. Dcn Hauptgegenstand der Ver handlungen machte die Kirche aus, sodaß Pastor Uhlich in einzelnen kur zen Sätzen seine Ansicht aussprach und an jeden einzelnen Satz sofort die lebhafteste Discussion sich anreihte. nach dem Voracfallcnen noch als dcn Ihrigen anerkennten; ob sie mein- — In Betreff der Nachricht (Nr. I3ä), daß Hr. Wislicenus eine ten, er habe, so weit man mit seinen Worten und Schritten bekannt sei, Einladung nach Bremen erhalten habe, sagt die Bremer Zeitung: „Ob in feinem guten Recht als Christ und protestantischer Geistlicher gehandelt; von dem Einen oder Andern unter der Hand eine solche Auffoderung von