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der Flöte, die solo das dritte Thema andeutet, eins luftige Brücke zur Wieder holung des gleichen Vorgangs, der im Detail aber verändert ist. Die Flöten figur leitet jetzt über zum Einsatz der Celli, die mit seelenvollem Ton dem zweiten Thema (ebenfalls in Umkehrung) für längere Zeit das Wort geben. Im weiteren Verlauf der Durchführung drängt sich das erste Thema in den Vordergrund. Immer wieder begegnen wir seinen weiten, die Höhe und Tiefe abmessenden Schritten. Aus der Wirrnis entlegener Tonarten findet Bruckner durch eine ebenso einfache wie kühne Halbtonrückung in die Haupttonart E-Dur zurück und tritt damit in die Reprise ein. Auch in dieser Sinfonie ist sie nicht eine einfache Wiederholung der Exposition. So erscheint zum Beispiel gleich das erste Thema in den Celli zusammen mit seiner Umkehrung in den ersten Violinen und in der Flöte. Eine sehr ausführliche Coda auf einem 53 Takte währenden Orgelpunkt E schließt mit dem Material des ersten Themas den Satz ab. Der zweite Satz wurde drei Wochen vor Wagners Tod entworfen. Bruckner sagte von ihm in einem Briefe an Felix Mottl: „Einmal kam ich nach Hause und war sehr traurig; ich dachte mir, lange kann der Meister unmöglich mehr leben, da fiel mir das cis-moll-Adagio ein.“ Dem Charakter des Themas, aber auch dem Ausspruch Bruckners entspricht die feierliche Instrumentierung mit den „Wagnertuben“, die Bruckner hier zum ersten Male verwendet. Künden sie von Tod und Bitternis, so sprechen die mit dem zweiten Teil des Themas einsetzenden Streicher Trost und Hoffnung aus. Der Stachel ist dem Tod ge nommen. Das will Bruckner sagen, wenn er hier sich selbst zitiert, die Stelle: „Non confundar in aeternum" (nicht werde ich zuschanden werden in Ewig keit) aus dem „Te Deum“, das gleichzeitig mit der Sinfonie entstanden ist. Auch das zweite Thema atmet den Geist des Friedens und der gelösten Be schaulichkeit. Bis dann in einem Anhang Trauer sich herabsenkt wie ein dunkelsamtner Vorhang. Soweit nämlich war Bruckner mit der Komposition gelangt, als die Trauerbotschaft vom Tod Wagners aus Venedig kam. „Und nun", so sagte er, „schrieb ich dem Meister die eigentliche Trauermusik." Im Scherzo, das in der Mitte ein idyllisch-pastorales Trio mit sich führt, also ganz nach dem klassischen Schema gebaut ist, kündet das Hauptthema (Trompete) eine kämpferische Haltung an. Es wird berichtet, daß Bruckner zu diesem Thema durch das Krähen eines Hahnes angeregt worden ist. Wenn dies der Wahrheit entspricht, so läßt sich ein solcher Hahnenruf, Weckruf des frühen Tages, durchaus mit unserer Deutung indentifizieren. Kämpferisch ist dann auch die Haltung des Finales, dessen Hauptthema in seiner weiten Schwingung, mit seinen ausgreifenden Schritten an das des ersten Satzes er innert, durch seine Rhythmisierung aber energischer, heldischer erscheint. Der Mann, der sich des Erfolges sicher ist, steht vor uns. Er schenkt uns einen seiner gewaltigsten, sinfonischen Sätze. Sehr treffend nannte eine zeitgenös sische Kritik (nach der Berliner Aufführung im Jahre 1887 unter Karl Klind- worth) das Werk einen „vom Kopf bis zum Fuße geharnischten Riesen". Zur Uraufführung gelangte die Sinfonie in Leipzig im Dezember 1884 unter Leitung von Artur Nikisch, der das Werk zu einem vollen Sieg führte. Das Leipziger Publikum und die Leipziger Kritik hatten die Bedeutung dieser denkwürdigen Aufführung begriffen. Mit ihr trat Anton Bruckner als ein Meister der Sinfonie in das Bewußtsein der Musikwelt ein. III/9/19 1/1400/53 C8 1053 1542