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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonnabend, 31. März 1962, 19.30 Uhr Sonntag, 1. April 1962, 19.30 Uhr 9. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solisten: Prof. Egon Morbitzer, Berlin Prof. Bernhard Günther, Berlin Günter Kochan (geboren 1930) Sinfonietta 1960 Ballade - moderato Capriccio - vivace Elegie (attacca) Finale, allegro molto Johannes Brahms Konzert für Violine und Violoncello mit Orchester (1833-1897 a-Moll, op. 102 Allegro Andante Vivace non troppo PAUSE Max Reger Variationen und Fuge über ein Thema von Hiller, (18-3-1916) op> 10 Q ZUR EINFÜHRUN G Günter Kochan wurde 1930 in Luckau in der Niederlausitz geboren. Er studierte Kompo sition bei Noetel, Wunsch und Blacher (1946-1950), bei Hanns Eisler an der Deutschen Akademie der Künste (1950-1953) und ist heute Dozent seines Faches an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin. 1959 wurde er mit dem Nationalpreis ausgezeichnet. Er schrieb ein vielbeachte tes Violinkonzert (1952), ein 1958 erfolgreich uraufgeführtes Klavierkonzert, Kammermusik, Volksliedersätze, Jugend- und Massenlieder und Filmmusiken. Die Sinfonietta 1960 ist der Dresdner Philharmonie und Prof. Heinz Bongartz gewidmet. Wie der Name Sinfonietta (d. h. kleine Sinfonie) schon sagt, ist das Werk gemäß seinem formalen Vorbild klassisch-viersätzig. Die Sätze haben neben den Tempobezeichnungen noch je einen Satztitel: Der erste Satz (Moderato = mäßig im Tempo) hat als Hinweis auf den erzählenden Charakter des Ganzen die Bezeichnung Ballade. Das Vivace (= lebhaft) des zweiten Menuett oder Scherzosatzes trägt die Überschrift Capriccio, das bedeutet in der italienischen Sprache Laune, Grille oder Einfall. Elegie lautet der Titel des langsamen und dritten Satzes ob seines klagenden, lyrischen Inhalts. Und Finale (= zum Ende gehörig) ist der Titel des attacca subito ( = plötzlich anschließenden) und abschließenden Schlußsatzes. Die Volkstümlichkeit im Melo dischen und Rhythmischen, die Eingänglichkcit des musikalischen Einfalls überzeugen bei diesem Werk immer wieder, trotz des modernen großen Orchesters von Streichern, doppelten und dreifachen Holzbläsern, von vier Hörnern, zwei Trompeten, drei Posaunen und Tuba, von Klavier, Xylophon, Glockenspiel, drei Pauken, Triangel, Tamtam, Trommel und Becken. In Thun (am Thuner See in der Schweiz) entstand eines der letzten großen Werke von Johannes Brahms: Das Doppelkonzcrt für Violine, Violoncello und Orchester, op. 102. Brahms machte seinen Freund, den Geiger Joseph Joachim, auf das Werk aufmerksam: „Mache Dich auf einen kleinen Schreck gefaßt! Ich konnte nämlich derzeit den Einfällen zu einem Konzert für Violine und Violoncello nicht widerstehen, so sehr ich es mir immer wieder auszureden versuchte . . . Vor allem aber bitte ich Dich in aller Herzlichkeit und Freundschaft, daß Du Dich nicht im geringsten genierst. Wenn Du mir eine Karte schickst, auf der einfach steht ,ich ver zichte*, so weiß ich mir selbst alles weitere!“ Joachim schrieb alles andere als „ich verzichte“. In Baden-Baden fand 1887 das erste Durchspielen der neuen Komposition statt, Joachim am Geigenpult, wahrscheinlich der berühmte Cellist Robert Hausmann am anderen Pult und Brahms oder Klara Wieck als Betreuer des Klavierorchesters. Denn Brahms schrieb im Herbst 1887 dankbar an Joachim: „Wie sehr wert und lieb mir unser Zusammensein in Baden war und wie sehr dankbar ich Dir für alles Mögliche bin, das glaubst und denkst Du hoffentlich, ohne daß ich’s mit vielen Worten sage!“ In Köln war die Uraufführung, noch im Jahre 1887. Das Werk gefiel zunächst nicht sonderlich. Eduard Hanslick, der brahmsfreundliche Wiener Kritiker, meinte, die Gattung eines Doppelkonzertes für Violine und Violoncello habe „von Haus aus etwas Bedenkliches wie ein Drama, das statt eines Helden deren zwei hat, die sich dann gegenseitig im Wege stehen“. Und Tschaikowski, der in Leipzig das c-Moll-Trio und das Dop- pclkonzert hörte, schrieb damals: „Wie alle meine musikalischen Freunde in Rußland schätzte ich Brahms als ehrlichen, überzeugungstreuen und energischen Musiker, aber trotz allen guten iWillens kann ich seine Musik nicht lieben ... Von unserem Standpunkt aus fehlt Brahms jede melodische Erfindung!“ Wir lieben heute den „melodischen“ Brahms. Der erste Satz (Allegro — schnell) mit den dreifach geteilten Orchestergeigen, die wie feurige Schlangen durch die Luft sausen, ist vielleicht rhythmisch der kunstreichste von allen drei Sätzen. Das Andante (= langsam schreitend) mit seinem magyarischen Anflug beginnt so einhellig im Unisono (= Glcichklang) von Violine und Violoncello, wie die in diesem Jahre 1887 wiedererstandene Freundschaft zwischen Brahms und Joachim! Und das Vivace non troppo (— nicht zu lebhaft) des letzten Satzes spricht lebhaft von der Freude der Versöhnung: Das Cello macht der Violine die schwierigsten Passagen getreulich nach, beide Instrumente sind an der schönen Musik gleichmäßig beteiligt. Max Reger, der typische Vertreter seiner fränkischen Heimat, zeigte sich in jungen Jahren eigentlich als musikalischer Erzieher. Dieses pädagogische Wollen geschah vor allem im Namen Johann Sebastian Bachs. „Ich strebe danach, immer lapidarer (= in Stein gehauen, kurz und bün-