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Herbart nicht begründen. Denn nicht nur, daß der Mann, den man gern, die mathematische Psychologie als Schrcckhorn aufzeigend, als kabbalistischen Grübler aus dem Sprachsaale der Philosophie, die die jugendlichen Gemüther beflügeln soll, ganz hinausgcdrängt chatte, daß dieser Mann hier in einem großen Lhcilc der drei Bände die wichtigsten Gegenstände der Philosophie und des praktischen Lebens in einer auch für den nicht Geschulten durchsichti gen Darstellung auf die vielseitigste, jede Art des Interesses ansprechende und aufklärende Weise abhandelt; nicht nur, daß, indem wir hier in die stille Wcrkstätte jenes rastlos forschenden und schaffenden Geistes treten, wir einen Commcntar zum Vcrständniß des Menschen und Denkers vorfinden, derglei chen kein anderer der philosophischen Heroen nachgelassen hat ; so reißen auch diese Abhandlungen gar manche alte Wunde wieder auf, welche Herbart, als er noch bei den Zeitgenossen philosophisches Interesse voraussetztc, den von ihm rüstig bekämpften Wortführern und Richtungen schlug. Käme hier et was darauf an, so könnten wir die Abhandlung „lieber die Unangreifbarkeit der Schelling'schen Lehre" (Bd. >), die „lieber die gute Sache; gegen Hrn Prof. Steffens" (Bd. 2), hauptsächlich aber mehre Recensionen im dritten Bande, <cin wenig vorführen. Allein wir wollen lieber in aller Geduld, die schwer lich lange zu warten braucht, die Wirkungen heranrcifcn sehen, welche grade jene Samnilung für die Kenntniß und Anerkennung der Herbart'schcn Denk weise haben muß; und wir glauben uns nicht zu irren, wenn wir die sicht bare Unbehaglichkeit, von welcher jener Artikel in der augsburger Allgemei nen Zeitung erfüllt ist, auch mit zu den erwarteten Wirkungen rechnen- Wenden wir uns also lieber noch einen Augenblick zu der gefederten Be flügelung jugendlicher Gemüther. Es ist wahr, den Flug der jugendlichen Gemüther, den Herbart zu seiner Zeit als die von ihm sogenannte Mode- Philosophie versand, den wollte er in ein besonnenes Festhalten der von ihm als die wahren Aufgaben der Philosophie bezeichneten Objecte des Denkens verwandeln; und es ist eben so wahr, daß ihm diese seine Bemühung größtcn- theils, wenigstens der Extension nach, mißlungen ist. Allein wenn demnach die Modephilosophie das Wort behielt, wenn es ihr gelang, d;e warnende Stimme des einsamen Denkers zu überschreien und sich breit über fast alle Gebiete der Wissenschaft hinzulagern: wie kam cs, fragen wir, daß aus die ser Allcingcltcndmachung, einer von uns unbestrittenen Thatsache, eine so tödtliche Ermattung alles philosophischen Geistes in ganz Deutschland hervor ging, eine Ermattung, über welche schon Herbart selbst in den beiden Vor reden zur größern Psychologie in den ergreifendsten Worten klagt? Doch nicht, weil die in jener so schwunghaften Periode kaum von Einigen beachtete Herbart'sche Philosophie die Flügel lähmte? Und wie kommt es, daß die jetzigen Träger der deutschen Naturwissenschaft, Iohannes Müller und Liebig «n der Spitze, wenn sie die auf philosophische Studien verwendete Zeit als eine rein verlorene beklagen, Schelling und Hegel als Diejenigen nennen, die ahnen beinahe den Blick auf das Bcdürfniß und daß Erfassen der rechten Methode ihrer Wissenschaft verdorben hätten? Wie kommt cs, daß dieHegel- sche Philosophie, die „so viel Theil an den staatlichen Fragen des deutschen Lebens genommen", von allen, von den entgegengesetztesten Parteien als völ- bg unfähig, „Wahrheit aus dem Kampfe der Gegensätze zu fördern" aufge geben worden ist, während auf einem andern Gebiete, eben dem der Natur wissenschaften, eben so wenig Jemand mit ihr etwas anzufangen unternahm, als sie selbst hier maßgebend aufzutreten sich beigehen ließ, eingedenk der äu ßersten Perhorrescenz, die sie gleich bei ihren ersten derartigen Versuchen er weckt hatte? Wenn nun bei allen jenen Bestrebungen Herbart wirklich auf Lie Seite gedrängt wurde, wenn ihn Niemand für verlorene Mühe in An spruch nimmt: wie will man, um uns nun zu dem letzten Ausfall des Cor- respondenten zu wenden, wie will man andererseits in Herbart's Philosophie „die Fortsetzung jener steifen, altbackenen Doetrin" finden, welche in der Theil- mahmloflgkeit den Inbegriff der Weisheit sieht? Der Verfasser jenes Artikels läßt uns nicht ungewiß, welche steife, altbackene Doctrin er meint; er bezeich net sic später als die des Krugs, welcher so lange zu Wasser gegangen, bis «r gebrochen. Wir wissen nicht, ob der Gegner mit Krug Wasser schöpfen gegangen; aber wir wissen und haben cs durch alle Stadien erlebt und vor Äugen gehabt, daß der verstorbene Krug, dem wir übrigens als Menschen das Zeugniß ehrlicher Ueberzcugung eben so willig zugestehen, als wir cs dem Gegner entschieden verweigern müssen, daß Krug gerade mit seiner unver langten aber unverdrossenen Einmischung'in staatliche Fragen und mit der Beflügelung jugendlicher Gemüther, die er freilich wieder nicht durch seine 'Philosophie, sondern durch die Lheilnahme an „staatlichen Dingen" und zu letzt an den trivialsten Erscheinungen der jedesmaligen „deutschen Gegenwart" bewerkstelligte, das Wasser nicht einmal schöpfte, sondern im Siebe trug. Es ist bekannt, daß Krug von seiner Schrift gegen Stourdza an bis zu der Zeit, wo er die leipziger akademische Jugend in der Theilnahme an den constitutionellen Gc- Lurtswehen Sachsens anführts und noch späterhin keine Gelegenheit versäumt hat, um die Philosophie, so weit sie durch ihn repräsentirt wurde, ihre Symbol«, vft nur einen Obolus, zu den Fragen des Tages beitragen zu lassen; es ist bekannt, welche unerhörte Popularität er als akademischer Lehrer und als Schriftsteller dadurch gewann; aber man weiß auch, wie diese Verwässerung der Philosophie, grade durch die vielgerühmte Theilnahme an staatlichen und andern Dingen allmälig immer höher angeschwellt, ihrerseits die Abspan nung der philosophischen Receptivität und die gänzliche Verödung philosophi scher Spontaneität vollendete, die der Flug der Schelling'schen und Hegcl'- schen Schule bereits lange eingeleitet und sehr weit gefördert hatte. An alle Dem ist, wie cs jedem Unbefangenen, der auch nur auf die in den letzten Jahrzehendcn in die Welt hinaus gerufenen philosophischen Namen und Schlag worte gehorcht hat, einleuchten muß, die Herbart'sche Philosophie ganz un schuldig, und unglücklicher konnten Erinnerungen nicht angebracht werden, als bie an Schelling, Hegel und Krug, welche, Jene durch ihren Flug, Dieser durch seinen Erguß, die echte Gemüthsverfassung für Philosophie in Jungen und Alten schon längst dermaßen ausgctilgt hatten, daß ein AuLtrocknungs- systcm von Seiten der Herbart'schcn Lehre, gesetzt es gäbe ein solches, viel zu spät gekommen sein würde. — Uebrigens wundern wir uns höchlich, daß der Gegner, grade auf dem von ihm eingenommenen philosophisch-politischen Standpunkte, dermalen die Beflügelung jugendlicher Gemüther in der Lheil nahme an staatlichen Dingen vermißt; ganz einverstanden dagegen würden wir mit ihm sein, wenn er finden sollte, daß es dieser beflügelten Theilnahme, wie sie aus keinerlei Philosophie entsprungen, so auch an aller und jeder Phi losophie gebreche. Und nunmehr lassen wir den Correspondenten mit seinen Behauptungen stehen, in dem Blatte, das sich für seine anerkannte Neutralität in der Po litik (die freilich Leuten von dem Schlage des Gegners, undankbar genug, für politischen Nihilismus gilt und auch von ihnen als solcher verhöhnt wird) durch allerhand anderweite Parteinahme entschädigt und bis auf diesen Lag einer mehr und mehr antiquirten philosophischen Partei die letzte Zufluchts stätte dargeboten hat- Es wäre wol hier die Veranlassung gewesen, auch über die Zukunft der Herbart'schcn Philosophie, die einst Professor Drobisch von den Bearbeitern der Naturwissenschaft hisste und die bereits angebrochen ist, ein paar Bemerkungen anzuschlicßen; wir kommen vielleicht ein anderes Mal, hier oder wo anders, darauf zu sprechen. * Zürich, 10. Scpt. Ich habe bisher noch nichts über die Berufung des ultraorthodoxen l)r. Ebrard, Privatdoccnten in Erlangen, an die Stelle des zum Pfarrberuf übergetretenen Alex. Schweizer an der Universität in Zü rich geschrieben, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich das für einen eitlen Versuch der eben so ultraorthodoxen ersten Section des Erzichungs- raths hielt. Allein der gesammtc Erzichungsrath (in p!«»«) hat nun diesen Antrag der ersten Section genehmigt, und heute hat ihn der Rcgierungsrath bestätigt; die Minorität im Erzichungsrathc (2 Mitglieder von 13) und der einzige Opponent im Regierungsrathe, vr. Zehnder, haben die Gründe ihrer Opposition zu Protokoll gegeben- Es ist offenbar, die ganze Partei war über diese Wahl einig, und die Behandlung derselben von den verschie denen Behörden ist eine bloße Form. Man kann sich im Auslände kaum einen richtigen Begriff über die Sensation denken, welche dieser Act der Staatsbehörden, aus welchem eine systematische Begünstigung der starrestcn und einseitigsten Orthodoxie hervorgeht, auf das ganze gebildete Publi cum gemacht hat. Gegenwärtig hegt der einsichtsvollere Theil der zürich- schen Bevölkerung einen wahren Abscheu vor allen theologischen Extremen, insbesondere aber vor der extremen Orthodoxie. Die einsichtsvollsten Mit glieder des Kirchenraths (dem verfaffungszemäß - eine Begutachtung zustcht), an ihrer Spitze Alex. Schweizer, und ebenso bie theologische Facultät hat ten von dieser Berufung abgerathcn; allein die Herren Antistcs Fueßli, vr. Bluntschli und die andern Häupter der Partei haben, seitdem sie mit den Ultramontancn in Verbindung getreten sind, ihr theologisches Schema kürzer und einfacher gemacht als früher. So lange diese Herren den vr. Strauß bekämpften, d. h. vor dem 6. Sept. 1839, also ehe sie zur Herr schaft gelangten, sprachen sie, und namentlich vr. Bluntschli, von einer drei fachen Richtung der Theologie — dem Unglauben, wohin vr. Strauß ver wiesen wurde, dem lebendigen Glauben, den sie in Schutz nahmen gegen Strauß, und dem erstarrten Buchstabenglauben, den sie auch Aberglauben nannten und gleichfalls verdammten. Jetzt ist ihnen der letztere der alleinselig machende Glaube, und alles Andere Unglaube; sie treffen damit ziemlich mit dem ultramontanen Absolutismus zusammen. Allein damit schlagen sie das ganze gebildete Publicum des Cantons vor die Stirn, wie ich schon be merkt habe ; ein Orthodox des 17. Jahrhunderts und nichts Anderes ist vr. Ebrard nach seiner „Evangelienkritik", er findet im Canton Zürich nirgend einen günstigen Boden; ja Die, welche ihn berufen haben, sind blos durch po litische Gründe geleitet worden, vr. Ebrard wird in seinem Hörsaal leeren Bänken dociren, wie dies bereits bei seinem Geistesverwandten, Prof. Lang, der Fall ist Sobald Ebrard's Berufung bekannt wurde, haben' die Studen ten dem Prof. Hitzig, der nicht ein Straußianer, wie da und dort irrig be hauptet wurde, aber der Repräsentant des geläuterten wissenschaftlichen Pro testantismus ist, ein Ständchen gebracht. Dieselbe Reaction, welche der Erzichungsrath, in dem sich alle reactio- nairen Septembertcndcnzcn concentrirt haben, gegen das wissenschaftliche Ele ment der Hochschule richtet, setzt er auch beharrlich gegen den Organismus der Volksschule, wie er aus der Reformperiode von <830 -39 hervorgegan- qen war, fort. Die Folge davon ist eine compacte Opposition aller Volks- schullchrer und Schulfreunde gegen dieses Streben, das um so verwerflicher ist, .da es durch kein Gesetz gerechtfertigt wird. Eine der vorzüglichsten Sei ten des Organismus der Volksschule war die Einheit der obligatorischen Lehr mittel, wodurch eine tüchtige gleichmäßige Bildung über alle Theile des Cantons verbreitet wurde. Diese Einheit der obligatorischen Lehrmittel hat der Erzichungsrath allmälig, aus Haß gegen eine gleichmäßige Volksbildung, aufgehoben, wodurch die Volksschule, deren Schöpfung so viel Aufwand von geistiger Kraft und Geldmitteln crfoderte, nach und nach ihrem Verfall cnt- gegengeht. Daher hat die diesjährige Schulsynode — die verfassungsmäßige Versammlung aller Volksschullehrer, welcher das Recht zusteht, sich über alle Angelegenheiten des Volksschulwescns bei den Behörden auszusprechcn— am 26. Aug. beschlossen, in einem Memorial an den großen Rath aufs neue die verderbliche Wirksamkeit des Erziehungsraths in der bezeichneten Hinsicht dar zustellen. Dieses Memorial wird freilich eben so wenig wie die Schulpetition im verflossenen Frühjahre, die gewünschte Wirkung haben. Eine gründliche Aenderung in der Verwaltung des gesammten öffentlichen Erziehungswesens und eine Rückkehr zu dem System der Reformpcriode kann erst erfolgen, wenn, was man allgemein hofft, durch die Jntegralerneuerung des großen Raths im Jahr 1846 die Majorität dieser obersten Landcßbehörde wieder liberal wird- Zum Schluffe muß ich noch ein eigenthümliches Curiosum mifthcilen- Eine Kritik in den tübinger „Jahrbüchern der Gegenwart" über das bekannte Buch vonvr. Bluntschli: „Psychologische Studien", hat einen solchen Beifall im Canton Zürich und andern Cantonen gefunden, daß sie besonders abgedruckt wurde und bereits mehre Auflagen davon erschienen sind, während von dem Buche selbst kaum hundert Exemplare abgesetzt wurden. Der Erlös dieser Kritik, die ein wahrer Vernichtungsproceß der Bluntschli-Rohmer'schen Weis heit ist, wurde zur Unterstützung der Untcrwalliser bestimmt: eine zweite Iro nie des Schicksals, da vr. Bluntschli der heftigste Gegner derselben ist. Verantwortliche Redaction: Professor Büka«. Druck und Verlag von F. St. Brockhaus in Leipzig.