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Erläuterungen zum Programm des 1. PHILHARMONISCHEN KONZERTES Es hat die Musiker schon immer gereizt, die Gedanken, die Johann Sebastian Bach der Orgel oder dem Klavier anvertraut hat, auf das moderne Orchester zu übertragen, so, als bedürfe es seiner beredten Vielzüngigkeit, um sagen zu können, welcher Reichtum sich dort verbirgt. Arnold Schönbergs Orchesterauffassung der Es-dur-Fuge und des dazugehörigen Präludiums aus dem „Wohltemperierten Klavier” wurde vor 1933 viel gespielt und auch auf der Schallplatte zugänglich gemacht. Daneben steht, in der gleichen Tonart, die Übertragung eines Orgelwerkes, die Heinz Bongartz, der Leiter der Dresdner Philharmonie, mit orchesterkundiger Hand vorgenommen hat. Hat man schon im allgemeinen von der Zusammenstellung Präludium und Fuge als von „zweisätzigen Orgelsinfonien" gesprochen und damit den orchestralen Charakter der Bachschen Schöpfungen angedeutet, so rechtfertigen die festliche Großartigkeit gerade dieses Präludiums, das das Monumentalwerk des „Dritten Teiles der Klavierübung" einleitet, die nicht zu überbietende Kunstfertig keit der Tripelfuge (Fuge mit drei Themen), die am Schluß der „Klavierübung" (einer Sammlung von Choralvorspielen) steht, erst recht die Transskription. Die kunstvolle Entsprechung von Präludium und Fuge (beide sind dreifach gegliedert) kommt dabei besonders klar zur Geltung und zum Bewußtsein. Zu den Komponisten, die durch den Nationalsozialismus unterdrückt wurden, gehört auch Heinrich Kaminski. Nur wenige mutige Musiker bekannten sich zu ihm, führten seine Werke auf, nannten und schrieben seinen Namen. Seine Tragik ist es, daß er das Reich der Freiheit nur begrüßen, nicht aber mehr erleben durfte. Am 21. Juni 1946 starb er, unbeachtet fast; nur die Bauern von Beuern und Ried, unter denen er zurückgezogen gelebt hatte, gaben ihm das letzte Geleit. Er hat uns ein gewaltiges Erbe hinterlassen an Chorwerken und Opern (die mit der Dresdner Staatsoper aufs engste verknüpft sind) bis zu seiner letzten Schöpfung, dem gerade noch vollendeten „Spiel vom König Aphelius", das es zu hüten und zu pflegen gilt. Im Herbst 1939 hatte Kaminski ein schwerer Schlag getroffen: er verlor seine älteste Tochter Gabriele. Ihr zum Gedächtnis schrieb er die Trauermusik „In memoriam”, in deren ergreifende Totenklage, aufgebaut auf einem dunkelfarbigen, gequält sich aufreckenden Thema, das lichte Gold der Solovioline hellere Farben knüpft und der Solo-Alt die tröstlichen Worte flicht: „Ich bin nicht tot, ich bin nur wieder ausgesät von Gott zu neuem Leben, neuem lichterm Sein und Blühn in Ihm". Wie ein kostbares Instrument mehr ist die menschliche Stimme in das kostbare Gewirk des Klangteppichs eingelassen. Unter den neun Sinfonien Anton Bruckners war es die siebente, die sich am schnellsten durchsetzte, die nach der glanzvollen Uraufführung in Leipzig unter Arthur Nikisch die Bedeutung des Meisters auch den bisher Widerstrebenden klar machte. Der erste Satz beruht auf einem der großartigsten sinfonischen Gedanken, die je erfunden wurden (Bruckner selbst glaubte, er sei ihm im Traum diktier^ worden), dem sich bedeutungsvoll ein zweites und drittes Thema beigesellen. Das' Adagio ist ebenfalls ein Werk „In memoriam", Bruckners Totenklage für den von ihm über alles verehrten Richard Wagner. In Vorahnung von dessen Tod hatte er den Satz begonnen; als er ihn nahezu vollendet hatte, traf ihn die schmerzende Nachricht, und die Coda wurde dann, so äußerte er sich selbst, „die eigentliche Trauermusik". Das Scherzo zeigt das für Bruckner charakteristische Gegeneinander von grotesker Phantastik im Hauptteil (über dem geheimnisvollen dahinhuschenden Streichermotiv das Thema der Trompete, zu dem das Krähen eines Hahnes die Anregung gegeben haben soll) und gemütvoller Wärme im Trio, das an Schubert erinnert und zweifellos vom Ländler, dem heimatlichen Tanz, herkommt. Das Haupt thema des letzten Satzes knüpft an das des ersten an, doch ist sein Charakter energischer, geraffter und gespannter, ebenso geht das dritte auf jenes zurück, während das zweite Thema die für Bruckner so bezeichnende Choralfeierlichkeit trägt. Am Schluß des Finales ertönt dann noch einmal das Hauptthema des ersten Satzes, das Urthema, mit dem der ragende Bau strahlend gekrönt wird. Dr. Karl Laux