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Neben die Violinkonzerte von Beethoven und Brahms tritt, auf dergleichen Linie liegend, das Violinkonzert von Max Reger, das trotz seiner Bedeutung wenig gespielt wird — es liegt an seiner ungewöhnlichen Ausdehnung und an seinen eminenten Schwierigkeiten, die freilich jeden mittelmäßigen Geiger verzagen lassen müssen. S-eine Interpreten sind schnell aufgezählt: Henri Marteau, dem es gewidmet ist und der es am 15. Oktober 1908 bei der Uraufführung im Leipziger Gewandhaus spielte, Wendling, Felix Berber, Gustav Havemann und Kulenkampff. Reger hat das Werk in einem Brief an den Verleger treffend charakterisiert: „Mit dem Violinkonzert hoffe ich Ihnen zuversichtlich ein Werk geben zu können, das sozusagen ,klassischen 4 Anstrich für unsere Zeit hat, d. h. es ist nichts »Verrücktes* drinnen — tech nische »Firlefanzereien 4 bei der Solovioline gibt es nicht da drinnen, sondern ich lege vor allem Wert darauf, möglichst ,durchsichtig 4 zu instrumentieren, damit der Solist, der sehr viel mit Kantilene bedacht ist, wirklich ,singen 4 kann und nicht zu ,kratzen 4 braucht! Selbstverständlich ist die ganze Art und Weise des Stils ein durchaus sympho nischer ... und natürlich ist in der Solostimme auch das ,virtuose 4 Element bedacht, aber nicht überwuchernd, sondern das Hauptgewicht lege ich auf eindringliche Melo dik, auch in den beiden Allegrosätzen. Ich bin mit großer Begeisterung bei der Sache.“ Aus den Worten Regers ist schon hervorgegangen, daß der Solovioline in seinem Werk keine dominierende Stellung im Sinne der alten Virtuosität eingeräumt ist. Sie ist vielmehr ein Teil des Orchesters und mit diesem an der sinfonischen Gestaltung beteiligt. Sehr schön hat das Ferdinand Pfohl ausgedrückt: „Reger fügt das Soloinstrument sei nem Orchester wie eine sichtbar pulsierende Lebensader ein. Indessen der volle melo dische Strom rauscht doch fast überall unter ihr, nicht in ihr, fließt tief im Orchester, in dem auch das Herz der Melodie schlägt 44 . Die thematischen Hauptlinien herauszuheben, ist die wichtigste Aufgabe der Interpretation, sie herauszuhören die des Hörers. Daher muß bei diesem Werk mehr als bei einem andern von der Thematik die Rede sein. Soweit dies in Kürze möglich ist, seien die Grundlinien hier nachgezeichnet. Der erste Satz ist ein Sonatenhauptsatz von riesigen Dimensionen. Ein langes Vor spiel des Orchesters, das sofort mit dem ersten Thema einsetzt: Max Reger: Violinkonzert in A-Dur Man beachte die schön geschwungene melodische Linie, die von leiser Wehmut durch zitterte Harmonisierung! Sogleich sind wir im Banne des Meisters. Bevor die Solovioline das Thema bringt, präludiert sie in freier Weise, als wolle sie sich einstimmen zu dem seelenvollen Gesang; sie löst ihn dann bald spielerisch auf. Nach dem sie mit einer nach oben auslaufenden Figur zum Schweigen gekommen ist, setzen die Violinen im Orchester mit dem zweiten Thema ein: Bald greift die Solovioline dann den Gedanken auf. In der sich nach einem großen Orchesterzwischenspiel anschließenden und von der Solovioline „quasi Andante 44 ein-