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Eleganz und Leichtigkeit erwünscht sind. Es sind — wie bereits angedeutet — ver kappte Sinfonien. Und so tief ihr Gehalt auch ist, so sind sie doch für die Solisten undankbar. Das gilt besonders für das Doppelkonzert, das an die Technik zweier Solisten Virtuosenansprüche stellt und da bei dodi kaum ahnen läßt, wie schwer es ist. Ihre schönsten Passagen und Doppel griffgänge kommen auf dem dunkeln Hintergrund des sinfonisch behandelten Orchesters kaum zur Geltung. Anderer seits steckt auch in ihren Kadenzen etwas von dem dramatischen Ringen der nord deutschen Musikerseele: es ist der Brahms, der nicht die Sterne am Firmament sucht, sondern der sich allzutief in sich selbst versenkt. Und trotzdem — das Werk wird dem Hörer, der es hören will, mit seinem ausladenden Schwung und seine Melodie schöne weit entgegenkommen. IIT. Sinfonie Sfr. 7 in A«dur Von Ludwig van Beethoven. Wer je einen unmittelbaren, tiefen musikalischen Eindruck empfangen hat, weiß, wie wenig man diesen Eindruck mit Worten genauer bezeichnen kann. Das ist ja eben das „Unsagbare“ eines solchen Erlebens. — Und so könnte man auch die mannigfache „poetische“ Ausdeutung die ses Beethovensdhen Wunderwerks getrost übereifrig nennen. Die meisten „Ausleger“ erblicken in dieser „Siebenten“ des Mei sters die Schilderung eines Hochzeitsfestes mit Kirchgang, Ansprache an das Braut paar, Tanz, Ausgelassenheit zum Schluß usw. (auch Schumann vertrat diese An schauung). Einige andere sahen in dem Werk die Regungen eines ritterlichen, kräftigen, lebensfrohen Volkes in seiner ganzen Variabilität. Wenn man aber all die bekannt gewordenen Auslegungen mit einander vergleicht, so ergeben sich nicht nur vollkommene Gegensätze, sondern man überzeugt sidi auch davon, wie „un musikalisch“ (möchte man fast sagen), wie ergebnislos ein derartiges „Ueber- setzen“ sein muß. Der Versuch, das zu Musik Gewordene, Unaussprechliche in Worten einzufnngen, anzudeuten, poetisch zu erklären, beweist noch keineswegs, daß man ein Kunstwerk im Innersten er lebt hat. Richard AVagner nennt die siebente Sinfonie bekanntlich die „Apotheose des Tanzes“. Er schreibt: „Alles Ungestüm, alles Sehnen und Toben ctes Herzens wird hier zum won nigen Uebermut der Freude, die mit bacchantischer Allmacht uns durch alle Räume der Natur, durch alle Ströme und Meere des Lebens hinreißt, jauch zend, selbstbewußt überall, wohin wir im kühnen Takte dieses menschlichen Sphärentanzes treten.“ Richard Wagner hat damit eine wohl ziemlich allgemein gültige Bezeichnung jenes musikalischen Eindrucks zu geben versucht, den Beethovens „Siebente“ in jedem andächtigen Hörer hervorzurufen vermag. Denn jeder wohl empfindet die Kraft und Wonne, die bacchantische Lust, das Uebermaß der Freude, die in diesem herrlichen Werke des größten aller Musik genies aufjauchzt. Unterbrochen wird der von dionysischem Geiste durchpulste le bendige Strom allein durch das ganz aus dem Stimmungsrahmen fallende, seltsam elegische, stockencic Marschthema des zwei ten Satzes, von der unsagbar ausdrucks vollen Gegenmelodie (von den Celli zuerst angestimmt; umrankt und durch ein ge- sancrvolles Mittelstück tiefster Innigkeit gegliedert. Dieser Satz ist eine der sdiön- sten Aeußeru ngen Beethovenschen Geistes. Im dritten, dem Scherzosatz, ist die für die damalige Zeit ungewöhnliche Tonart wahl (F-dur innerhalb des A-dur-Gesamt- bildes) bemerkenswert; ebenso das breite feierliche Trio — es soll ein altösterreidii- scnes Bittprozessionslied sein — mit seiner pompösen Steigerung mitten in dem hüp fenden, trippelnden. lebensprühenden Satze. — Der letzte, Finalsatz, machte der zeitgenössischen bezopften Kritik viel Un behagen. Sie behauptete: „Beethoven könne diesen Exzeß wohl nur in der Trunkenheit konzipiert haben.“ — Aller dings vor Beethoven wurde so etwas rück- siditslos Ungebundenes nicht geschrieben. Das ist es aber gerade: Nur ein Tonheros wie dieser konnte sich in soldier „Aufge- knöpftheit“ zeigen und der Welt mit ber- serkerhafter Wut trotzen — es ist Geist aus Genieland. * Mit der „Siebenten“ haben wir in den Sinfoniekonzerten der Volksbühne das sinfonische Sdiaffen Beethovens nunmehr in fünf Werken gewürdigt: durch die dritte (Eroica), die fünfte (C-moll), die secnste (Pastorale), die neunte (An die Freude) und nun die siebente. Im Laufe dieses Winters werden wir nodi die achte (F-dur) zu hören bekommen. In der Folgezeit würden dann noch die ersten Sinfonien (1, 2 und 4) zu interpretieren sein, womit diese Idealschöpfungen in ihrer Gänze uns nähergebracht wären. Constantin Krebs.