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11SINFONIEKONZERTDER DRESDNER PHILHARMONIE I. „Don Juan“ Klassisch-romantische Phantasmagorie von Walter Braunfels. Die romantische Auffassung des Don Juan-Stoffes und der klassischen Mozart oper — in der schon E. Th. A. Hoffmann leibhaftige Teufel und Dämonen herum geistern sah, in die schon der Däne Kierkegaard allerlei Fein-Psychologisches hineingeheimniste! Und so stellt auch Walter Braunfels sich die Aufgabe — wie vor ihm Richard Strauß — in einer Art Programm-Musik, die sich der Reger- schen Musizier-Variation bediente, suiten mäßig das Wesen Don Juans darzustellen. Das Thema ist ihm dabei die berühmte „Champagner-Arie“ (im Urtext ist aller dings nur einmal kurz vom Wein [vino] die Rede), jenes reißende Prestissimo mit den kecken Terzsprüngen. Die Einleitung mit den unheimlichen Läufen der Komthurszene verheißt aller dings etwas ganz anderes, was die Variationenreihe nachher bringt. Sie stellt die Gestalt Don Juans in magisch dekora tive Beleuchtung. Sein tragischer Konflikt mit der Umwelt ist nur in wenigen Re miniszenzen (die Elvira-Motive, die be rühmte dämonische D-moll-Tonleiter der Ouvertüre u. a.) betont. Sonst sprüht und züngelt das Brio des Themas — wenn audi manchmal umdüstert — keck bejahend dahin in Phantasmen, traumhaft auf steigenden Gebilden. Es sind Variationen voll guter Musik und voller Einfälle. Sie behandeln das Thema so geistreich, ge winnen ihm so neue Seiten ab, daß sie dem Hörer Anregung und Genuß werden. Braunfels betonte anläßlidi der Erst aufführung seines Werkes durch Furt- wängler, daß er damit keinerlei program matische Ziele verfolgt habe (wie etwa Richard Strauß), sondern „beherrsdiendes Prinzip einzig der Spieltrieb gewesen“ sei. Ihn habe „die Phantasie zum Mitschaffen in ganz bestimmte Richtung angeregt (Don Juans Wiederauf tauchen aus der Hölle)“. Es scheint fast, daß dieses Vor wort Braunfels’ diktiert ist aus der Angst vor dem Makel, der offen eingestandener Programm-Musik so oft angehängt wird — also aus einer Verbeugung vor dem domi nierenden neuesten Kurs, der jenseits aller Tonsymbolik stehen will. Denn in sein Werk haben tatsächlich sehr viel pro grammatische und psvdiologisdie Momente ihren Einzug gehalten und sidi mit den absoluten Elementen stark vermisdit — alle gespeist von den vitalen Kräften Mo- zartsdier Melodik. Und letzten Endes liegt gerade darin der Reiz dieses unterhalt samen, geistreichen Werkes, das einen siche ren Könner und regen Geist verrät. Bei der Spärlidikeit wertvoller neuer Werke ist uns Braunfels’ Schöpfung doppelt will kommen. Der Komponist hat übrigens in seinen Variationen über ein Berlioz-Thema (das „Flohlied“ aus Fausts Verdammung) ein Gegenstück geschrieben, das ebenfalls als eine innerlich groß geschaute und äußerlich meisterhaft gearbeitete Schöp fung anzuspredien ist. Walter Braunfels ist ein Schüler Ludwig Thuilles und Max v. Schillings, der rührigsten Anwälte jun- A ger Kompositionstalente. Mehrere seiner Opern sind über die deutsche Bühne ge gangen: vor allem „Die Vögel“ und „Don Gil von den grünen Hosen“. Sein großes „Te deum“ machte bei der Frankfurter Erstaufführung (Braunfels ist gebürtiger Frankfurter) einen fast epodialen Ein druck. II. DoppeliKonzert von Brahms für Violine und Cello Verhältnismäßig selten begegnet man diesem Brahmssdien Werke im Konzertsaale. Wie alle Orchesterkonzerte des Meisters scheint es mehr konzertante Sinfonie als ein Paradestück für Virtuosenkünste. Aus dem Jahre 1888 stammend, ist es für die letzte Periode in des Meisters Schaffen typisch, von wuchtiger Polyphonie, jedoch trüber, melancholischer Stimmung. Nur das Andante (D-dur %-Takt) unterbricht das vorherrschende Grau in Grau. Hier wird die typische Brahmssche Herbheit durch eine fast romantisdie, von Schumann abhängige Lyrik unterbrochen. Hört man diesen zweiten Satz in empfänglicher Stimmung, so wird man des innigsten Eindrucks teilhaftig, den Musik überhaupt im Menschen hervorrufen kann. Sein Hauptgedanke nimmt von uns Besitz; er führt uns mit sich in die romantische Empfindungswelt des Komponisten; er sagt uns, was wir gerne hören, er tröstet, bereichert, läutert uns. Dieses Andante hat — wenn man will — etwas vom Volks lied, aber es ist doch ganz das Produkt einer persönlichen Phantasie. Nach diesem balladesk-volkstümlichen Satz mit seiner edlen Wärme setzt wieder der unjugendlidie Grübelsinn Brahmsens ein. Dieser hat sidi nirgends stärker offen bart als in seinen Konzerten — also gerade in der Form, für die sonst eine gewisse