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Nr. 188 Sonnabend 6 Julius 1844. IZM Deutsche Allgemeine Zeitnng. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» U e b e r b l i ck. Deutschland, Vom Neckar. Der gräflich Bcntinck'sche Erbfolgcrcchts- streit. — Die dänische Propaganda im nördlichen Schleswig. — Äic- ler Verein zur Unterstützung protestantischer Gemeinden. Preußen. 2t Berlin. Die Großfürstin Alexandra. Graf Ncfselrodc. Baron Stockhausen. Die französische Gesandtschaft. Die Portendicsache. Der Eisenzoll. Das Notificationsschreiben des Herzogs von Bordeaux Oesterreich. * Presburg. Der Landtag. Die Besteuerung des Adels. Spanien. Die Plane für Umgestaltung der Verfassung und die Vermäh lung der Königin. Großbritannien. Die Times über die Verhältnisse zwischen Frankreich und Marokko. Der Proccß des Barons v. Bode. Frankreich. Amtliche Darstellung der Dotationsfrage, (Paris Die Geldaristokratie. Die Sklavenemancipation. Belgien. Die Unterzeichnungen zur Anleihe. Griechenland. Grivas hat sich ergeben. Türkei. Die italienischen Flüchtlinge. Personalnachrichten. Handel und Industrie. Aus den Verhandlungen der Generalversamm lung der Sächsisch-Baierschen Eisenbahn- — Berlin. Leipzig. Neueste Nachrichten. London. Die Tejasfrage. Paris. Die Dotation. Ankündigungen. Deutschland. cX ^om Heckar, 30. Jun. Der sowol in rechtlicher als in politi scher Beziehung bedeutende, eine nicht kleine Zahl der bewährtesten deut schen PublicisteN beschäftigende gräflich Bcntinck'sche Erb folge re chts streit ist schon so oft der Gegenstand öffentlicher Besprechung ge wesen, daß eine Mittheilung über den dermaligcn Stand der Sache nicht unwillkommen sein wird. Begonnen im April 1837, gelangte der Rechts streit zum Ende seines, ersten Stadiums durch ein von der Juristenfacul- tät zu Jena Namens des -großherzogl. Oberappellationsgerichts zu Ol denburg gefälltes und am 2». April 1842 von demselben publicirtcs Ur tel. Cs fiel zu Gunsten der Beklagten aus. Bekanntlich war die zu entscheidende Rechtsfrage die: ob die Söhne des am 22. Oct. 1835 ver storbenen Reichsgrafen W. G. F. v. Bentinck, deren Mutter von bür gerlicher Abkunft ist, fähig seien, in die vormals oldenburgischen, jetzt Bcntinck'schcn, Fidcicommißgütcr zu succcdircn. Im Verncinungsfalle würden diese Güter den Klagern, als nächsten Agnaten, d. h. den Nef fen des >835 verstorbenen Reichsgrafen, zufallen. Die Succcssionsfähig- keit der Erstern hängt von der Entscheidung mehrer Fragen ab, unter welchen die: ob ihres Vaters Ehe mit ihrer Mutter eine Miöheiralh im Sinne des deutschen Staatsrechts gewesen sei? bciweitem die wichtigste ist. Wird diese Frage, wie die Kläger verlangen, bejaht, so steht den Beklagten, weil sie dem Stand ihres Vaters nicht folgen, kein Erbrecht auf die Familiengüter zu. Nun gehörte von je her die Lehre von den MiSheirathen zu den schwierigsten des deutschen Staatsrcchts und hängt auf das genaueste mit der sehr bestrittenen Frage über den Begriff des deutschen hohen Adels zusammen; man begreift also die Verschiedenheit der Ansichten der deutschen Staatsrechtsgelehrten, welche in dem gegen wärtigen Rechtsstreit ihre Meinungen ausgefprochen haben. In den Entscheidungsgründen des von der jenaer Juristcnfacultät ge fällten Urtels wird diese den Erbfolgestreit vor Allem beherrschende Frage mit einer bewundernswürdigen Klarheit beleuchtet und gelöst. Es wird gezeigt, daß nach dem Staatsrechte des deutschen Reichs wahre Mis heirathen nur bei reichsständischcn Fürsten und Grafen (den Erlauch ten) Vorkommen. Da nun weder die Reichsgrafen v. Aldenburg, für welche das Fidcicommiß ursprünglich gestiftet worden war, noch die durch Frauen von ihnen abstammenden Reichsgrafen v. Bentinck früher Neichsstände gewesen sind, so mußte das Urtel, zumal auch die übrigen Rechtsfragen für die Beklagten entschieden wurden, gegen die Kläger ausfallcn. Um diesem Resultate vorzubcugen, haben diese im Jahr 1840 «inen außerordentlichen Ausweg ergriffen, den sie seit etwa zehn Mona ten mit größtem Eifer verfolgen. Sie wollen eine Eigenschaft, welche ihnen durch Urtel und Recht abgcsprochcn wird, durch einen Machtspruch des Deutschen Bundes sich verschaffen. Es gelang der Betriebsamkeit ihrer Agenten, ein oder das andere Cabinet zu bestimmen, bei dem Großhcr- zoge von Oldenburg sich dahin zu verwenden, cs möge dieser den hohen Adelstand der Bcntinck'schcn Familie anerkennen und die Legalisirung die ser Anerkennung mittels Anträgen bei der Bundesversammlung bewir ken. Sie wurden aber am 11. Mai 1843 von dem Großhcrzog abgc- wiesen, der schon früher erklärt hatte: „cs solle und müsse die gräflich Bcntinck'sche Erbfolgcsachc lediglich richterlicher Entscheidung anheimgcstcllt bleiben". Indessen hatten die klägerischen Reichsgrafen schon eine Vorstcl- jung bei der Bundesversammlung eingereicht, dahin gerichtet, es möge dieselbe erklären: „daß ihnen die Rechte des hohen Adels in Deutschland im Sinne der Bundesacte (Art. 14) gebühren". Wie cs heißt, hat sich auch diese hohe Versammlung in mehren Sitzungen mit dieser Sache be schäftigt und wird nächstens darüber einen Beschluß fassen. Wenn cs ausnahmslos keine Negierung in Deutschland gibt, welche nicht die Unabhängigkeit und Integrität der Gcrechtigkcitspflegc als daS Palladium der deutschen Freiheit, ja als die Grundlage >edes rechtli chen Zustandes heilig hält, so darf man mit Gewißheit von den verein ten deutschen Eabincten erwarten, daß sie auf keine Weise das kühne Ansinnen einer schon durch ein Urtel abgewiesenen und mit gleicher Zu- muthung von der zunächst berechtigten Regierung zurückgewiesenen Partei günstig aufnchmen und durch ihr Dazwischentreten die weitere gesetz mäßige Entwickelung des Rechtsstreits hemmen oder denselben noch ver wickelter und schwieriger machen werden, als er schon ist. Denn zu den schwebenden Rechtsfragen käme dann eine sehr delicate neue hinzu, näm lich die über die rückwirkende und verbindende Kraft der von der Bun desversammlung ausgcgangenen Erklärung und ihren Einfluß auf den an hängigen Rechtsstreit, ja, die Frage über die Nichtigkeit jeder Art von Entscheidung der Bundesversammlung in dieser Sache, weil der Bund (dürch die Üebcrnahmc der Garantie des von Oesterreich, Rußland und Preußen ausgcgangenen sogenannten Berliner Abkommens vom 8. Jun. 1825, d. h. des völkerrechtlichen Vertrags, der die rechtliche Stellung der gräflich Benlinck'schen Familie und ihrer Herrschaften im Großherzogthum Oldenburg auf eine unabänderliche Weise fcstsetztc) ausdrücklich anerkannt hat, daß alle diese Verhältnisse betreffenden Rcchtsstrcitigkeitcn durch daS großherzogl. Obcrappellationsgericht in Oldenburg, welches hierin die Stelle der ehemaligen höchsten deutschen Reichsgerichte vertritt, entschie den werden sollen. Zur völligen Unparteilichkeit dieses Gerichts werden dessen Mitglieder in solchen Fällen von ihrem Huldigungscid entbunden und lediglich auf den Ricktcreid verwiesen. Der Art. > I lit. ck und A des Abkommens macht dasselbe Gericht zur allein entscheidenden Behörde aller Bentinck'- schen Familicnstrcitigkeitcn. Das Obcrappellationsgericht in Oldenburg ist also das compctcnte Gericht, um über die Rechtsfrage, ob der gräflich Bentinck'schen Familie der hohe Adel mit dem Rechte der Ebenbürtigkeit zustche, unter den jetzt streitenden Theilen zu entscheiden, und in der That ist darauf auch von beiden die Strciteseinlassung gerichtet, von bei den in Beziehung auf diesen Streitpunkt die Zuständigkeit des großherzogl. Oberappellationsgerichts ausdrücklich anerkannt worden. Gegenwärtig ist daher die Competenz der Bundesversammlung lediglich darauf beschrankt, den Großhcrzog, wenn derselbe den Rcclamantcn den Weg Rechtens ab- gcschnittcn hatte, oder sich weigerte, eine in dieser Sache denselben gün stige Entscheidung jenes Gerichts anzuerkcnncn, auf cingcwcndeten Rccurs zu veranlassen, daß er die Streitigkeiten auf dem vereinbarten Wege zur Entscheidung resp. die erfolgten Erkenntnisse zur Vollziehung kommen lasse. Wie die Sache jetzt steht, hat also die Bundesversammlung die Recla- manten lediglich an das oldenburgische Oberappellationsgericht zu verwei sen. So viel über die Competenzfrage. Prüft man aber das von den klägerischen Reichsgrafen an die Bun desversammlung gestellte Begehren selbst, so muß man sich wundern, wie sie glauben mögen, der Deutsche Bund könne, den von ihm anerkannten Principien zuwider, einer Familie das Recht der Ebenbürtigkeit zuerken nen, die eS nie gehabt hat. Wie sehr man nämlich über den Begriff des hohen Adels streiten mag, so ist eS doch nach dem Art. XlV der deutschen Bundesacte gewiß, daß das Recht der Ebenbürtigkeit in dem bisher damit verbundenen Begriffe nur den ehemals reichsständischcn Fa milien verbleiben soll. Diesem gemäß behandelte der König von Preußen bei den Huldigungsfeicrlichkeitcn im Jahr 1840 nur die Mitglieder des ehemaligen reichsständischen Adels als seine Standcsgenossen, die keinen Eid zu leisten hatten, sondern durch den einfachen Handschlag ihre Hul digung darbrachten. Desgleichen sind auch im Königreiche Württemberg nach der Verfassungsurkunde vom 25. Sept. 1819 und im Königreiche Baiern nach einem am I. Jan. 1841 erlassenen Reglement nur reichö- ständischc Familien als hochadclig anerkannt. Auch wäre kein Ende der Prätcnsionen und Reclamationen abzusc- hcn, wenn jemals diese bundcsrcchtlichc Norm über die Ebenbürtigkeit und den hohen Adel verlassen würde, und zu einer reichen Saat von Suc- ccssionsrechtsstrcitigkeiten in den souveraincn Fürstenhäusern wäre dadurch ein fruchtbarer Keim gelegt worden. Wenn man nun weiß, daß die Herr schäft Kniphauscn, die einzige einst rcichsunmittclbare Besitzung der blo ßen Titular-Reichsgrafen von Aldenburg und der bloßen Titular-Reichs- grafen v. Bentinck, ungeachtet ihrer früher» hohen Familicnverbindungcn und der Bemühungen der Grafen v. Aldenburg, notorisch niemals die Reichsstandschaft erlangt hat, so begreift man nicht, wie die Kläger von den Beschlüssen der Bundesversammlung ein anderes Ergcbniß zu erhal ten sich schmeicheln können, als das durch das Urtel des Oberappel-