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IE Frankreich. Paris, 15. Jun. Die Aufmerksamkeit des Publikums wurde neulich so seltsamerweise auf den Zustand der französischen Seemacht gelenkt, daß eine Prü fung des Budgets für das Marincministcrium auf das nächste Jahr nicht ohne Interesse ist. Die französische Flotte ist während eines Zeitraums von 14 Jahren ununterbrochenen Friedens in einem Umfang und mit ei nem Aufwande vermehrt worden, den kein anderes Volk je freiwillig ge macht hat, ohne durch einen Krieg oder die besonder» Pflichten, welche mit einem großen Colonialreiche, wie Spanien oder Frankreich im vorigen Jahrhunderte besaß und England jetzt besitzt, verbunden sind, dazu ge zwungen zu sein. Vergleicht man aber diesen raschen Fortschritt der fran zösischen Flotte mit dem unbeweglichen Stillstehen der Kauffahrteischiff fahrt jenes Landes und erinnert man sich, daß die gewöhnlichen Dienst leistungen der französischen Kriegsschiffe im Frieden auf Cercmonie- oder Entdeckungsreisen oder die Führung von Truppen nach und aus Algerien beschränkt sind, so bildet dieses Budget ein wahrhaft überraschendes Phä nomen. Im Jahr 1830 betrug das Marinebudgct 65 Mill. Fr., die An zahl der Matrosen war 12,926, es befanden sich 128 Schiffe in See, und darunter war nur ein Linienschiff. Im Jahr 1843 betrug das Ma rinebudgct 107 Mill. Fr., die Anzahl der Matrosen war 26,926 und die Schiffe in See waren in dem Grade vermehrt worden, daß man die An zahl der dienstbereiten Kanonen amtlich auf das Zehnfache ihrer Zahl im Jahr 1830 angcbcn konnte. Für das Äahr 1845 sind wieder 107 Mill. Fr. beantragt, wozu noch 5'^ Mill. Fr. für Hafcnbautcn kommen. Die Zahl der Matrosen betragt 29,073, wovon 23,704 zur Sce dienen sollen. Man will eine Uebungsflotte von 8 Linienschiffen, 1 Fregatte und 2 Dampfschiffen bil den und außerdem 149 Kriegsschiffe in See halten. Außerdem beabsichtigt man 30 Kriegsschiffe, worunter 8 Linienschiffe, 8 Fregatten und 6 Dampf schiffe, in Hafcnbercitschaft zu haben, sodaß der Marineminister im Gan zen 140 Windschiffe und 50 Dampfschiffe zur Verfügung hat. Der Uc- berrest der Flotte enthält freilich kaum noch 100 Schiffe. Zwar sind 23 Linienschiffe und 19 Fregatten im Bau, aber dieser schreitet nur langsam nand'S VII. mit jenem Manne gehalten, woraus sich denn der Schluß ziehen lassen dürfte, daß die Königin Christine sich gänzlich von dem politischen Schauplätze zurückzuziehen beabsichtigt, auf welchem sic als anerkannte Gemahlin des Hrn. Munoz eine allzu schwierige Rolle haben würde. Die barceloneser Blätter versichern, daß, trotz der Anwesenheit der Königin die Wirkungen dks Belagerungszustandes in der Hauptstadt von Katalonien noch immer fortdauern , indem die bürgerlichen'Behörden »ach wie vor, zum Vorthcile der militairischcn Gewalt, eines Theiles ihrer gesetzmäßigen Befugniß beraubt sind. Auch in andern Provinzen des Landes dauert ein unregelmäßiger, um nicht zu sagen anarchischer Zu stand dieser Art fort. In Granada ist das militairischc Willkürrrgi- ment so weit gediehen, daß dir Justizbehörden sich veranlaßt gesehen ha ben, eine förmliche und starke Protestation gegen dasselbe einzulcgen. Die madrider Blätter veröffentlichen eine von den Staatsanwalten von Gra nada ausgegangcne Vorstellung an den dortigen ober» Gerichtshof, in welcher jene Beamten sich mit der größten Entrüstung über die Eingriffe in die persönlichen Frcihcitsrechte aussprechcn, deren sich die Militairge- walt schuldig gemacht hat. Mehr als dreißig Personen, heißt cs in jener Vorstellung, befinden sich zum Theil seit dem Monat Januar im Gcfäng- niß, ohne daß ihre Verhaftung von einer kompetenten Behörde verordnet oder gutgeheißen wäre, ohne daß man einen regelmäßigen Proccß gegen sie eingcleitet, ja ohne daß man sie in manchen Fällen auch nur ein ein ziges Mal verhört hätte. Der Gerichtshof von Granada hat sein voll ständiges Einverständniß mit dem Inhalte dieser Eingabe der Staats- anwalte durch einstimmigen Beschluß an den Tag gelegt. Großbritannien. London, 14. Jun. Wie ernstlich die Regierung jetzt der Nepealbcwcgung cntgegcn- zutreten gesonnen ist, zeigt unter Anderm ein Befehl, daß die Schild wachen Keinen, der Repcalknöpfe trägt, durch den Schloßhof in Dublin gehen lassen dürfen. — Nach einem Schreiben des Dr. Wolff vom 24. März aus Mesched lebt in dieser Stadt ein Mann, Namens Mohammed-Ali-Seraf, der als ein Haupturheber aller falschen Angaben über das Schicksal des Obersten Stoddart und des Capitains Conolly zu betrachten ist. Er diente diesen nämlich als Vermittler, hat 2000 Pf. St. an Werth für sie in Besitz, erbrach und unterschlug Briefe, die Sir Moses Montefiore in London des Obersten Stoddart wegen an den in Bokhara lebenden Theil seines Volks geschrieben hatte rc. Da vr. Wolff Empfehlungsschreiben vom Sultan, vom Schah, von England und von Rußland mit sich führt, so wird er als „von vier Souverainen empfohlen" selbst unter den wilden Turko- mancn mit großer Achtung behandelt. ^LonÄon, 13. Jun. Der Kaiser von Rußland reiste einen Tag früher ab, als erwartet wurde. In der letzten Zeit fand noch eine ziemlich merkwürdige Episode statt, die Verhaftnahme des polnischen Gra fen Ostrowsky. Die Umstände würden fast räthsclhast erscheinen, wenn nicht andere Dinge im Hintergründe wären, von denen sogleich Näheres. Montags geht Graf Ostrowsky, Sohn des in Paris lebenden ehemaligen Befehlshabers der Holnischen Nationalgardc, in das Haus seines Schnei ders, und dort ein Paar auffallend gemachte Beinkleider erblickend, fragt er, wem sie gehören, und als man ihm antwortet: „Dem Kaiser von Ruß land", erwidert er: „Ich möchte wol, daß ich sic ihm anzupassen hätte". Am Donnerstag wird er verhaftet rind alle seine Papiere m Beschlag ge nommen und cr selbst angeklagt, das Leben des Kaisers bedroht zu haben. Die Räthsel sind nun folgende: 1) Warum wartete man von Montag bis Donnerstag? 2) Warum nahm man die Papiere in Beschlag? 3) Da diese Papiere als einem Polen angchörcnd wahrscheinlich in polnischer Sprache geschrieben waren, wer las sie? Ich will nun auch die gewöhn liche Erklärung geben. Es wird gesagt, unter den Polen hätten sich 50 verschworen, den Wagen des Kaisers in der Straße aufzuhalten und ihn zu tödten. Diese 50 Polen sollten unter Anführung eines Offiziers, von Portsmouth kommen. Da der Kaiser erst am Sonnabend Abend hier ankam und Sonntags keine Post geht, so muß man annehmcn, daß die russische Gesandtschaft — denn die englische Polizei kann die polnischen Flüchtlinge wegen Unkcnntniß ihrer Sprache nicht beobachten — von diesem Factum erst Kenntniß in der Zwischenzeit von Montag bis Donnerstag erhalten. Ebenso ist anzunehmcn, daß der Schneider die obige Convcrsation zuerst der Person hintcrbrachte, welche die Bestel lung gemacht und zu welcher die bereits am Montage fertigen Bein kleider getragen wurden. Ebenso wahrscheinlich ist, daß der Schneider alsdann von der Gesandtschaft, der indessen wol auch die Nachricht von der angeblichen Verschwörung hinterbracht wurde, angewiesen ward, zu klagen. Da dies indessen dem gesetzlichen Gange gemäß der Polizei durchaus keine Befugniß verliehen hätte, auch die Papiere in Beschlag zu nehmen, so entstand vermuthlich noch eine weitere Verzögerung durch Ein holung besonderer Vollmachten bei Sir I. Graham. Die Verschwörung der 50 Polen, welche bewaffnet von Portsmouth kommen sollten, klingt etwas romanhaft, allein sollte die Sache, was nicht wahrscheinlich ist, einigen Grund haben, so ist es durchaus unwahrscheinlich, daß, da die in Portsmouth liegenden polnischen Soldaten der ultradcmokratischcn Partei Crempowiecki's angchörcn, der erst vor kurzem hier angckommene Graf Ostrowsky, welcher der dieser durchaus feindlichen aristokratischen Partei anhangl, von dcm Plane das Geringste gewußt haben sollte. Es wird darum so gesagt, der Vater desselben gälte für das Haupt der sogenann ten kirchlichen katholischen Partei, und cs hätte sich vermuthen lassen, daß man unter seinen Papieren wichtige Aufschlüsse über die Umtriebe der Polen finden würde. Ich wiederhole blos, was ich von in dieser Ange legenheit unterrichteten Personen gehört. Folgende Lhatsachen stchen im merhin fest: der russische Konsul war anwesend -bei dcm Verhör, ckaö -im Geheimen vorgenommen wurde — sollte man etwa zum voraus gewußt haben, daß nichts an der Sache war? Das Verhör wurde absichtlich verzögert — etwa um mehr Zeit zur Untersuchung der Papiere zu gewin nen? und das Gerücht von der angeblichen Verschwörung wurde wirklich im Publicum verbreitet. Mag man von Rußland denken wie mau will, seine diplomatische Fein heit und merkwürdige Benutzung der kleinsten Umstände sind immerhin zu bewundern. Ein anderes Cabinct hätte vielleicht die Sache als lächerlich betrachtet, um so mehr, als die Ausführung so gut wie unmöglich war, allein die russische Gesandtschaft benutzt ein solches unverbürgtes Gerücht, um den englischen Ministern Angst zu machen und sich so die Erlaubniß zu erwerben, Papiere zu untersuchen, aus denen man mit gutem Grunde wichtige Aufschlüsse über die Plane der polnischen Emigration überhaupt und ihre Verbindungen in Polen zu erhalten hoffen konnte. Der Triumph war um so vollständiger, als die Beschlagnahme der Papiere nicht gesetz lich war, sowie denn auch Graf Ostrowsky eine gerichtliche Klage des wegen eingelegt hat. Der Kaiser hat einen äußerst vortheilhaften Ein druck hier gemacht; seine Freigebigkeit enthielt aber in einem von der Times erzählten Fall eine ziemlich bittere Satire auf den englischen Pa triotismus. Als er mit dcm Prinzen Albert über den Trasalgarplatz fuhr, wo die Säule mit der Statue Nelson's aufgestellt ist, fragte er, warum denn das Gerüst am Fuße nicht weggenommen würde; worauf er zur Antwort erhielt, cs gcbrächc an Fonds, um die Sache zu vollenden. Der Kaiser unterzeichnete sogleich die zu diesem Behuf erfoderlichc Summe. Seine Mithülfe war also erfodcrlich, um das Monument des englischen Nationalhelden zu vollenden! Kein Zweifel, daß diese Freigebigkeit und Gerechtigkeit für einen großen Mann den Kaiser sehr ehrt; sollten die Engländer aber nicht erröthen über diese Lection, welche sic von einem fremden Fürsten empfangen? Die Diskussion der Motion Lord I. Russell's über den Notenwech sel zwischen dcm preußischen und englischen Cabinet ist bekanntlich vertagt worden. Die Acußcrungen der leitenden Morgenblätter über diese Ange legenheit verdienen aber doch einige Beachtung wegen des Geistes, wel cher sich in ihnen über Deutschland kund gibt. Die Times enthielt einen höchst ungezogenen Artikel, worin die Beschuldigung der „Falsch heit" mit Bitterkeit wiederholt und sogar der König von Preußen stän diger in--iooerit^, Unaufrichtigkeit angeklagt wurde. Der ministerielle He- rald meinte, die liberalen Versicherungen Preußens wären „nur ein Man tel, um den festen Entschluß Deutschlands zu verbergen, für sich selbst zu fabriciren" (u merv eloulc Io kick« tkv «etermineck polic^ of Oer- mun^ to mumikseture kor itselk). Welch ein Verbrechen! Wir Deutsche haben die Buchdruckcrkunst und das Pulver erfunden, können wir deswe gen andern Nationen den Gebrauch derselben untersagen? England hat nicht einmal alle seine Maschinen selbst erfunden, mit welchem Rechte kann cs unabhängigen Staaten zumuthen, sich aller Fabrikation zu ent halten? Das Deutschland noch am freundlichsten Morning Chronicle führt aus, daß unser Handelsvertrag mit den Vereinigten Staaten uns nichts nützen könne, und schließt alsdann so: „Und so werden die Hoffnungen verschwinden, einen directen Handel zwischen Deutschland und einem Lande, welches Colonialerzeugnisse hervorbringt, zu erhalten, ohne sich der Ver mittelung dieses verhaßten (oclious) Englands zu bedienen." Wo haben die deutschen Blätter England je „verhaßt" genannt? Woher weiß das Morning Chronicle, daß England uns „verhaßt" wäre?