Volltext Seite (XML)
Sonnabend — 167. —— 15. Junius 1844. Deutsche Allgemeine Zeitung. -Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» «ebe-blick. Deutschland. »Aus dem nicht-preussischen Westfalen. Die freien Friedensvereine. ----Leimig- Die Reise des Advocaten Braun. — Der Kaiser von Rußland. Karlsruhe. Geheimrath Schaaff. * Hamburg. Das Krankenhaus- Die Zunftrechte. Preußen. KÄerlin. Die Allgemeine Preußische Zeitung. Der Corre- spondent. Die schlesischen Vorgänge. Der Schwanenorden. Prinzessin Karl. Der Actienschwindel- Hr. v- Nesselrode. Der Lustgarten- Neander- Die berliner Kirchen. Hr. Pistor. Cornelius- Die bairischen Eisenbahn- Actien. Der Kaiser von Rußland. * Königsberg- Das UnivcrfitätSju- biläum- Der Gustav-Adolf-Verein.— Die Unruhen in Schlesien- Deflerreich. Statistisches von Wien. Spanien. * Paris. Die Königinnen. Strenge Maßregeln in Saragossa. Altes Befugniß. Großbritannien. Der Kohlcnzoll. Die Kauffahrteischiffahrt und der stader Zoll- Der Nepealverein- Die Beschäftigung der Kauffahrtei dampfschiffe. Die Limes über Englands Stellung zum Auslände. Das Meeting in Betreff des Kaisers von Rußland. * London. Der Besuch des Kaisers von Rußland. Frankreich. Mistrauen gegen die Beamten. Polizeiliche Verbote, s- Pa ris. Das Fest in Versailles. Die Reise des Kaisers von Rußland. Niederlande. Der Kaiser von Rußland. Schweiz. Schultheißenwahl in Lern. Italien. »Aus öicilien. Die Rundreise um die Insel. Die Sicherungs maßregeln. Rußland und Polen. Staatsrath von Gretsch. Türkei. fÄonstantinopel. Abreise des Sultans. * Konstantinopel- Sieg Omar-Pascha'S über die Albanesen. Derwisch Zari. Daß Verbot der Ge treideausfuhr. Haiti. Der Bürgerkrieg. Personalnachrichten. Wissenschaft und sinnst. »Äerlin. Das Feuilleton der Allgemeinen i Preußischen Zeitung. Handel und Industrie. * Samberg. Die Eisenbahn. Der Kanal- * Presburg- Die ungarische Ccntraleiscnbahn. »Dresden. Wollmarkt.— Berlin. Leipzig. Neueste Nachrichten. London. Verhaftung eines Polen. Paris. Was serschaden- HtnRßudtGUNgen. ' Deutschland. *Rus dem nicht-preussischen Westfalen, st. Jun. Wenn wir früher einmal in dieser Zeitung (Nr. 53) uns über das zunehmende Streben nach Oeffcntlichkeit und Münd lichkeit in bürgerlichen Streitigkeiten weniger zustimmend aussprachcn, so geschah dies, weil es uns schien, als dringe man meistens aus sehr unwesentlichen Gründen auf diese Einrichtung, und als knüpfe man viel zu große Hoffnungen an ihr endliches Erscheinen; dagegen verkennen wir nicht, daß hier ein Be- dürfniß in der Tiefe liegt, welches leider nicht genugsam gewürdigt wird. Es ist dies die kräftig erwachte Unbehaglichkeit an einem Rechte, das nicht ganz auf eignem Boden erwachsen und deshalb niemals eine wahr haft volksthümlichc Erscheinung geworden ist. Das Hereinziehen eines fremden Rechts in unsere heimatlichen Verhältnisse, das Verdunkeln der vaterländischen Rechtsverhältnisse durch dieses Rechnen mit durchaus frem den Rcchtsbegriffcn hat lange Zeit den Gedanken erhalten, als sei das Recht lediglich die Geheimschrift eines gelehrten Standes, als sei cs et was, an dessen weiterer Fortbildung das Volk im Allgemeinen durchaus keinen Theil nehme, als würde es nur von oben her über uns verhängt. Diese dürre Ansicht stirbt aber allmälig dahin. Daß man über den Ur sprung und die Fortbildung des Rechts heutiges Tages freier denkt und freier, denken darf, scheint uns eine der schönsten Errungenschaften der «orschreitenden Zeit zu sein. Die Unbehaglichkeit an den vielen fremden Zusätzen unsers Civilrechtsftstems, das dunkle Gefühl, daß nicht in nere Nothwendigkeit die Wagschalc halte, hat eine Erscheinung ins Le ben gerufen, auf deren Wichtigkeit wir hier aufmerksam machen möch ten: eS sind dies die in unserer Gegend, z. B. im Osnabrückischcn und im Fürstenthum Lippe, entstehenden freien Friedensvereine, deren innerer Entstehungsgrund neben der Bestrebung, Rcchtsstrcitigkeiten abzu schneiden, eben zene Unbehaglichkeit an einem Rcchtssystemc sein mag, was auf unsere heimatlichen Verhältnisse nie völlig gepaßt hat, nie völ lig passen wird. Die Wirksamkeit der in manchen Staaten von der Re gierung eingeführtcn Friedensgerichte kann sich, wie sich das von vorn herein ergibt, den Friedenövereinen unmöglich gleich stellen; statistische Nachrichten bestätigen diese Annahme. Wol ohne Ausnahme sind die or- Lentlichen Gerichte in Deutschland ebenfalls zu Friedensvcrsuchen angc wiesen, aber wie verschieden gestalten sich da in ein und demselben Lande, bei ein und derselben Gesetzgebung, ja bei ein und derselben Eigenthüm- lichkeit der Bevölkerung die Ergebnisse? Wir haben hier eine Thätigkeit, wo die Persönlichkeit des Beamten unendlich schwerer wiegt als alle Ge setze und Vorschriften. Liebe zur Sache, maßlose Geduld, Kenntniß der häuslichen und persönlichen Verhältnisse, hier und da selbst eine leichte Beimischung von Grobheit und Scherz haben schon manche Streitigkeiten geschlichtet. Wir zweifeln aber sehr, daß bei der Anstellung von Frie densrichtern durch den Staat so tief in die Persönlichkeit hineingcsehen wird, daß dergleichen Fähigkeiten hervorgesucht werden. Das vom Staat ausgehende Fricdensrichtcramt ist wol im Ganzen nur eben ein Posten mehr, es wird nach allgemeinen dienstlichen Rücksichten verliehen, wen cs trifft, den trifft es, und mit bogenlangen Instructionen glaubt man den QualificatioNsstcmpel gegeben zu haben; ja wir glauben, Friedensrichter gekämmt zu haben, bei denen uns und manchen Ändern cinfiel: „auch wol zu nichts Äcsscrm zu gebrauchen!" Wahrlich, bei diesem Amt eine eben so schlimme Ansicht, als wenn man glaubt, zu Unterrichtern genügten die Talente Nr. 2, 3 re. Der Staat kann deshalb durchaus nicht dafür ver antwortlich gemacht werden, wenn seine Friedensrichter so gar wenig ih ren Platz ausfüllen, cs liegt die Mangelhaftigkeit vielmehr von vorn herein in der ganzen Einrichtung, es müßte denn mit großer Vorsicht die besondere Person hervorgesucht werden, eine Rücksicht, die leider in grö ßern Staaten nur in den obersten, nicht aber in den verhältnißmäßig eben so wichtigen untersten Staatsdienststellen beobachtet wird. Daher die ungünstigen Resultate der öffentlich angestellten Friedensrichter, daher die Klage, daß unserm genugsam langschweisigen Proccß in den Friedens gerichten noch eine Instanz mehr zuwächst. Gibt man gar dem Friedens richter einen besonder» pecuniairen Oelzwcig für einen gestifteten Frieden, so bringt man diejenigen halben und provisorischen Vergleiche hervor, welche die gesundesten Acltern fetter Proteste werden. Bei dieser Lage der Sache scheint cs uns immer am rathsamsten, das Amt der öffentlichen Friedensrichter zu verlassen und einstweilen de ren Thätigkeit den ordentlichen Gerichten zu überlassen, die bei ihren Friedens- und Güteversuchen noch den Vortheil haben, daß die Sache ihnen gewöhnlich genauer instruirt vorliegt, da sich bekanntlich der Güte- vcrsuch an die ersten beiden Hauptvorträgc der Parteien anschließt. Eine ganz andere Gestaltung gewinnen aber die oben von uns angeführten freien Friedensvereine, und wir wünschten sehr, daß sic immer allgemei ner angenommen (ja nicht eingeführt!) würden; wir können nicht umhin, sie für einen größern Segen zu halten als die Einführung von Oeffent- lichkcit und Mündlichkeit in unserm Civilproceffe. Das Charakteristische der mehrgedachten Vereine besteht darin, daß sich immer mehr Eingesessene kleinerer, meistens kirchlicher Bezirke bei Vermeidung einer Conventional- strafe durch Unterschrift verpflichten, sich weder eines Sachwalters noch der Hülfe der Gerichte bei ihren Streitigkeiten zu bedienen, ehe sie nicht die friedliche Vereinbarung vor dem Friedcnsgerichte versucht haben. Die Friedcnsgcrichte bestehen aus Personen, die entweder auf eine bestimmte Dauer im Allgemeinen oder für einen besondern Fall von den Parteien erwählt sind; ihr Amt ist im einen oder andern Falle jedoch nur ein rei nes Vertrauen- und Ehrenamt; Personen, die sich in ihrem Bezirk eines besondern Vertrauens zu erfreuen haben, sind auch wol ein für alle Mal Ehrenbeisitzcr, z. B. Prediger, Aerztc und Gemeindevorsteher. Gewisse Kategorien von Streitigkeiten, z. B. klare Schuldfoderungen, Sachen, in denen zur Sicherung der Rechte eilige richterliche Verfügung erfoderlich ist, sind von der Verpflichtung, die Friedcnsgerichte anzugehcn, ausae- nommcn. Nach Allem, was wir darüber erfahren, haben die Landesve- hördcn und die Gerichte die Vereine sehr gern begünstigt und ungestört wirken lassen, ihre Wirksamkeit aber soll im vollsten Maße zur Nach ahmung berechtigen. --keipsig, l4. Jun. Die Reift des Abgeordneten Advocaten Braun von Plauen, welche derselbe als Sendbote einer großen Anzahl von Be-. wohnern Sachsens nach einigen von den deutschen und fremden Landern unternimmt, wo öffentliche und mündliche Rechtspflege sowie, mit gering ster Ausnahme, Geschworenengerichte bestehen, wird plötzlich in der Mann heimer Abendzeitung und in der Weftrzeitung von einem dresdner Kor respondenten so gänzlich den Verhältnissen und thcilwcise der Wahrheit entgegen besprochen, daß Abweisung seiner Behauptungen erfoderlich scheint. Von vorn herein ist der Hrn. Braun gewordene uud von ihm übernom mene ehrenvolle Auftrag eine Vertrauenßsache. Das leipziger Fest in letzter Ostermesse erscheint gleichsam als eine Vollmachtserthcilung dabei, aber diese Vollmacht konnte natürlich nur eine allgemeine sein. Braun soll im Interesse des PrincipS, über welches keine Ungewißheit der Mei nung bei ihm besteht, dort beobachten, dort unbefangen sehen und hören, wo dasselbe verkörpert im öffentlichen Leben wirksam ist. Auch für ct- wanige noch unbekannte, seinem Blicke sich zeigende Mängel und Nach theile desselben soll er nicht blind sein, so wenig wie für die bekannten oder etwanigen neuen Vortheilc, welche er wayrnchmcn sollte. Dazu grade ward )hm Vertrauen geschenkt. Keinem Menschen kann vcrnünsti-