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Landes emigriren dürfe, und wir haben sie unablässig beschworen, die Stel lung einzunchmen, welche wir im Vertrauen auf den Vertrag von I8:w mit Ehren unter Ihnen einnehmen zu können glaubten. Und da« ist noch nicht Alles. Wenn in der Welt durch Zwang und Gewalt Ereignisse vorgegangen sind, so ist ganz natürlich, daß die Besiegten daran denken, dieselben Mittel anzuwcnden. Ehemals war die Berufung an die Stärke fast immer die ra- rio der Welt. Wir leben in einer Zeit, in einem Lande, das nach der An strengung so vieler Revolutionen begriffen hat, cs gebe noch Anderes als den Kampf der Waffen, und ein Kampf der Intelligenz könne ein Land zu gu tem, zuverlässigem und würdigem Ziele führen. Es ist nicht leicht, einen Franzosen zu bereden, daß er sich nicht auf den Degen verlassen solle. Wir haben indessen mit Ausdauer daran gearbeitet, jeden Gedanken, die Gewalt zu Hülfe zu nehmen, auszurotten- (Lachen.) Lachen Sie nicht, meine Herren, lachen Sic nicht über etwas, was ehemals das Land so sehr betrübt hat. Rufen Sic nicht durch Verachtung ein Unglück hervor, das wieder entstehen könnte. Ehren Sic Diejenigen, welche sich bestrebt haben, dergleichen Leiden in ihrem Vaterland ein Ende zu machen, die sich freuten, als einer der glor reichsten Namen aus der Zeit, wo Frankreich leider unter den Waffen war, sich hier cintragcn ließ. Wir waren befriedigt, und daß war keine leere Rolle, die wir spielten, keine Maske, hinter der wir vielleicht strafbare Plane verbergen gewollt. Nein, wir waren aufrichtig, ausdauernd; wir werden cs bleibcn- Und mit diesen Gesinnungen, welche die unserigen waren, sind und sein werden, sind wir nach England gereist, wie wir sonst, seit t4 Jahren, nach Schottland, nach Prag, nach Görz oder sonst wohin reisten- Weshalb erscheint die Reise nach England Ihnen anders als die Reisen, welche früher zu verbannten Fürsten stattsandcn? Weil die Anzahl der dorthin reisenden Per sonen größer war- Zwei Gründe hatte diese größere Zahl. Zunächst fühlte sich Jeder leicht überzeugt, daß er in jenem Lande großer Freiheit und Ocs- fentlichkeit keiner geheimen Umtriebe, keiner im Dunkeln schleichender Plane beschuldigt werden könne. Dann scheint ja auch jenes Land sich wol in ganz Europa am planmäßigsten mit der Politik der neuen Regierung in Frank reich verbunden zu haben, und wer nach England reiste, war wenigstens vor dem alten unsinnigen Verdachte sicher, daß er mit dem Ausländer im Einvcrständniß, im Bündniß sei und mit ihm zurückkchrcn werde. Und nun ersuche ich Sie, uns die Ehre zu erzeigen, uns so viel Einsicht zu zutrauen, daß wir die Vorgänge in Frankreich und was hier thunlich ist, hinreichend würdigen, um nicht nöthig zu haben, auf die Beschuldigung zu antworten, wir seien in England gewesen, um dort in einem Zimmer an einem Platz in London eine Art Thronbesteigung zu feiern- Soll ich noch der Sage erwähnen, daß verständige Männer eine Pairskammer, eine Dcputir- tenkammer vorgestellt hätten? Das ist nicht in London vorgefallen, dort fiel Folgendes vor: Wir waren in London mit einer Gesinnung, der wir fest treu bleiben werden, zunächst um dem Erben jener langen Reihe von Köni gen... (Im Centrum: «Erben!») Abkömmling, wenn Sic lieber wollen..., die so lange Frankreichs Schicksal geleitet und unter denen Frankreich das erste Volk der Welt geworden, in der Civilisation am weitesten vorgeschritten ist und die übrige Erde mehr noch durch Ucbcrlegcnhcit der Einsicht als durch Ucberlegcnheit der Macht überragt... (St.-MarcGirardin: «Es ist seit l^8v auch nicht gesunken!>>)... Frankreich ist fortgeschritten, aber bedenken Sic, welche Achtung mit dem Andenken an all die ehemalige Größe und an den Ungeheuern Vorzug der Stellung, welche die Vergangenheit der Gegenwart überliefert, verbunden ist. Verschmähen Sie nicht das Erbe Ihrer Väter, berauben Sie sich nicht des Andenkens an Frankreichs Größe! Frankreich wird stets seine Rolle spielen, allein Frankreich darf auch nicht vergessen, was für seine Größe geschehen ist. (Hr-Dupin: «Heute haben wir MoUerc'sDenkmal eingeweiht, also vergessen wir die Vergangenheit nicht!» Gelächter.) Wahrlich, meine Herren! nach dein"Lachen, was in der Versammlung herrscht, scheint es fast, daß Sic dcn Worten, deren Sie sich bedienen, sehr wenig Wichtig keit beilegen. Ich sollte erklären, daß ich wegen dieser Gesinnung, welche die Majorität vor mir zu beherrschen scheint, nichts zu beantworten hätte, daß ich sic rcden, beschließen lasse, daß ihre Worte mich nicht beleidigen, daß sie mir gleichgültig sind. (Zur Linken: «Sehr gut!») Ja, da die Stellung eines unserer Collcgen, an die Sie dergleichen Worte richten, Ihnen so gleich gültig ist, ist es uns sehr gleichgültig, daß von Ihnen dergleichen Worte an uns gerichtet werden, und wir haben nichts zu beantworten, nichts zu be kämpfen... (Zur Rechten und zur Linken: «Sehr gut!») Ich will nichts weiter sagen, ich schweige." (Hr, Berryer begibt sich auf seinen Platz. Hef tige Aufregung. Hr- Guizot fodert ihn auf, fortzurcdcn. Das Lachen habe durchaus keinen.Bezug gehabt auf ihn, auf seine Aeußcrungcn, auf seine Stellung. Hr. Berryer kehrt wieder auf die Rcdncrbühnc zurück.) „Ich habe Ihnen gesagt, wie ich seit >83» für die Männer meiner Ansicht die Möglichkeit, das Recht begriffen, mit Ehren an dcn bcrathendcn Versamm lungen Theil zu nehmen- Ich habe Ihnen gesagt, was unser beständiger Gedanke war, und daß wir mit dieser Gesinnung, mit dieser Ucbcrzcugung, mit die sen Gedanken nach London gereist. Mit dieser Gesinnung haben wir unsere Huldigung dargebracht, haben wir die ganze Wahrheit gesagt, die Wahrheit über die Lage des Landes; die Wahrheit über dcn gänzlichen Untergang von Allem aus der Vergangenheit, was nur noch Staub ist und nicht wieder ins Leben gerufen werden kann; die Wahrheit über die Rothwcndigkcit, nunmehr in Frankreich nichts zu gestatten, nichts zu unternehmen, als durch dcn Na- tionalwillcn (Zur Linken: «Sehr gut!»); die Wahrheit über das Recht, wel ches Jedem, der in Frankreich lebt und Einsicht und Muth besitzt, zusteht, die Angelegenheiten seines Vaterlandes zu leiten und dessen Interessen zu ver- thcidigcn. (Zur Linken: «Sehr gut!») Das haben wir Alle gesagt und ge hört. Ja, wir haben einen jungen Prinzen gefunden, fähig, vorbereitet, die Wahrheit zu hören. Vor diesem Prinzen und unter allen Franzosen, die in London waren, ist kein Wort, keine Sylbe gesprochen, die nicht unter Al len, die dort waren, um jener jungen und edlen Intelligenz, jener erhabenen, von jedem Grolle freien, weil den Vorfällen der Vergangenheit fremden Seele ihre Huldigung darzubringcn: kein Wort, sage ich, was nicht die Gesinnung der Einigkeit besiegelt, was nicht aus der Ucbcrzcugung geflossen, das größte Unglück für eine Partei würde darin bestehen, Veranlassung zu einer Ruhe störung zu werden. Vor Allem muß man Frankreich dienen, seine Rechte edel und kühn benutzen, sich den Interessen dcS Landes eng «»schließen, jeden Gedanken an Bürgerkrieg, an auswärtigen Krieg zurückweisen, sämmtlich aufrichtig, muthvoll zusammcntrcten, wenn je das Gebiet bedroht würde- Das ist gesagt worden! Das ist die-ganze londoner Verschwörung!" Nach dieser Darlegung der Art und Weise, wie die Legitimisten ihre Stellung im jetzigen Frankreich auffassen, erinnerte Hr. Berryer daran, daß die Kammer keine Gerichtsbarkeit über das auswärtige Verhalten ih rer Mitglieder besitze, wies die Behauptung zurück, daß die Vorgänge in London zu Gewaltthatigkeiten gegen die Regierung anrcgen könnten, da ja fast förmliche Ausfvderungen einiger Journale in Paris nicht einmal Ge- waltthäligkeit gegen die Legitimisten zu veranlassen vermocht hätten, und erklärte, nach dieser Aufschließung seines Herzens im Angesichte der Kam mer und des Landes finde er nicht für nöthig, auf eine Abänderung des Adreßentwurfs anzutragen, da ihn nun das „Brandmarken" nicht mehr treffen könne. Endlich erinnerte ec an die Wandelbarkeit der Regierungen in Frankreich, deutete auf die gleiche Wandelbarkeit der Treueide hin, behauptete, daß der von ihm geleistete Eid nach den Grundsätzen der Juli- rcvolution Alles, waS geschehen sei, erlaube^ und schloß mit den Wor ten: „Machen Sie neue Gesetze; schließen Sic uns aus von dcn Bürg schaften der Grundsätze des Vertrags von I83U: dann werden wir wei ter sehen!" Nach Hrn. Berryer ergriff Hr. Guizot das Wort und machte zu nächst dcn Grundsatz gellend, daß er und seine Meinungsgenosscn eben dasjelbc Recht hätten, ihre Gesinnungen zu äußern und in ihrem Sinne zu wirken, was Hr. Berryer für sich und die Legitimisten in Anspruch genommen habe. Daraus leitete er auch für die Kammermajorität eine Äcsügniß her, die Vorgänge in London mit den Ausdrücken des Adreß- entwucfs zu bezeichnen, stellte dann die einige Hundert Besucher bei dem „Könige der Zukunft" in London, der Majorität der Kammern, der Wäh Icr re. neben dem König der Gegenwart gegenüber, und verglich hierauf die Grundsätze, woraus, wie er sagte, die Ansprüche Ludwig Philipp'ö und des Herzogs von Bordeaux beruhten. Dabei schilderte er „die soge nannte Legitimität" auf folgende Weise: „Man berief sich in London aus ein Recht, das sich für höher als alle andern Rechte ausgibt, auf ein Recht, das vollständig, unvcrjährbar, unverletzlich zu bleiben verlangt, wenn auch alle andern Rechte verletzt worden sind, auf eine Gewalt, die keine Grenze, keine vollständige und schließliche Beaufsichtigung gestattet, die sich nicht zu Grunde richten kann, wie sinnlos und unfähig sie auch sei, von der die Völker Alles ertragen muffen." Nachdem er diese Grundsätze, kraft deren alle Angriffe gegen die Julimonarchic selbst geschehen, ausgestellt hatte, beeilte er sich jedoch, sic wieder zurückzunehmen, indem er hinzu- fugtc: „Ich bin tief monarchisch, ich bin überzeugt, daß das Heil unscrs Vaterlandes auf der Monarchie beruht und baß die Monarchie an und für sich eine vortreffliche Regicrungsform ist. Auch weiß ich wohl, daß die Monarchie in einer durch die Zeit geheiligten Erblichkeit des Thrones besteht. Diese Legitimität billige ich, will ich, wollen wir Alle, beab sichtigen wir zu begründen. Allein alle Königshäuser haben einen Anfang genommen, haben einmal begonnen. Es gibt deren, die auch ein Ende nahmen. Unser Königshaus beginnt, euer Königshaus nimmt ein Ende." Endlich behauptete Hr. Guizot noch, die Reife des Herzogs von Bor deaux habe nur den Zweck gehabt, dem Herzoge von Nemours einen Prätendenten entgcgenzustellen, womit er dann wieder ein Gemälde von der Festigkeit der jetzigen Zustände in Frankreich und der Ohnmacht der Le gitimisten verband. Hr. Berryer ergriff darauf abermals das Wort, er klärte, nur das Recht einer selbständigen Verfolgung der Grundsätze, in deren Befolgung er das Heil des Landes sehe, für sich und seine Partei in Anspruch zu nehmen „Wem gehört denn die Zukunft? Ihr sorgt für sic, wir auch; wir sorgen auch dafür, denn wir sind dabei betheiligt wie ihr. Wir gehören demselben Lande, demselben Volk an" re. Nun erhob sich Hr. Dupin und verletzte, wie gewöhnlich, Freund und Feind. So nannte er seine Genossen die Sieger von Valmy, und von den Legitimisten sagte er: „Diese Partei hat den Sieg bei Wa terloo benutzt, ist im Gefolge des Auslandes über ein mit den Leichen unserer tapfer» Krieger bedecktes Schlachtfeld nach Frankreich gekommen: Das ist ihre Lichmach!" Da Hr. Guizot sich im letztem Kalle befindet, während der Herzog v. Valmy den Legitimisten angchört, so erregte diese ungeschickte Leidenschaftlichkeit vielen Lärm. Der Herzog v. Valmy erklärte, er sei dem Liege des NationalsinncS bei Valmy treu geblieben, denn er wolle keine Rückkehr des Herzogs von Bordeaux als mittels des NalionalwillenS. Hr. Dupin habe sich dagegen früher einen „Liebhaber" der Legitimität ge nannt und erlaube sich jetzt Schmähungen gegen deren Anhänger. Dies be antwortete Hr. Dupin durch dicJntcrprctation: „Legitimität stammt u lvAv." Der Herzog v. Valmy hob ferner hervor, baß die Ausdruckswcise in der Adresse doppelsinnig sei, und man durch die Erklärung, sic beziehe sich nur auf eine politische Parteidcmonstration, Stimmen gewinnen wolle, wahrend man sic nachher als ein Urtel für und gegen die bethciligtcn Personen zu behandeln gedenke. Dies veranlaßte ein Mitglied der Adrcß- commission zu der Erklärung, daß er allerdings verlangt habe, die Volks- souvcrainctät solle dabei genannt und anerkannt werden, sodaß nur ein Urthcil der Majorität über die Minorität darin liege, nicht aber eine Be vorzugung der einen oder der andern Dynastie. Hierüber entstand eine lebhafte Erörterung unter den Mitgliedern der Commission selbst, und nachdem dann noch der Marguis de" Laroche-Jacquelin die Ungerechtigkeit nachgewiesen, mit der man dcn Vertretern seiner Partei die gehässigen Maßregeln der Restauration schuld gegeben, und z. B. daran erinnert hatte, daß der General Labedoyere sein Onkel gewesen sei, daß sein Vater in der Vcndcc für die Bourbons gefallen und daß das Blut des Vaters dennoch nicht den Onkel zu retten vermocht re., wurde endlich die Ver handlung über Hrn. Berrycr'ö „persönliche Angelegenheit" für beendigt erklärt und die Erörterung des Adreßentwurfs selbst begonnen.