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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H YG I ENE - MUS EU M Dienstag, 26. Januar 1960, 19.30 Uhr Mittwoch, 27. Januar 1960, 19.30 Uhr 5. Außerordentliches Konzert DIRIGENT Prof. Heinz Bongartz SOLIST Igor Besrodni, Moskau (Violine) Dmitri Schostakowitsch geb. 1906 9. Sinfonie op. 70 Allegro Moderato Presto — Largo — Allegretto Wolfg. Amadeus Mozart 1756—1791 Konzert für Violine und Orchester D-Dur, K.V. 218 Allegro Andante cantabile Rondo: Andante grazioso — Allegro ma non troppo PAUSE Johannes Brahms 1833—1897 Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 Allegro non troppo Adagio Allegro giocoso, ma non troppo vivace Dmitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 9, op. 70 Mit elf sinfonischen Werken ist der heute 53jährige sowjetische Komponist bisher an die Öffentlichkeit getreten. Nicht allein diese erstaunlich große Zahl, sondern vielmehr die Genialität, mit der Schostakowitsch die sinfonische Form meistert und mit dem Geist unserer Zeit erfüllt, berechtigen zu der Behauptung, daß er einer der wenigen lebenden Komponisten ist, die man wirklich „geborene Sinfoniker“ nennen kann, ja, daß er wohl der größte lebende Sinfoniker überhaupt ist. Seine Erste Sinfonie, die sich schnell die Konzertsäle in aller Welt eroberte, vollendete Schostakowitsch im Alter von neunzehn Jahren, kurz nach Abschluß seines Studiums am Leningrader Konservatorium. Die Zweite Sinfonie entstand aus Anlaß des zehnjährigen Bestehens des sowjetischen Staates, die im Jahre 1930 geschriebene Dritte widmete der Komponist dem i.Mai. Während Schosta kowitsch seine Vierte Sinfonie nach einer Probe mit der Leningrader Philharmonie zurück zog, war der gewaltigen Fünften, die den Kampf um das „Werden der Persönlichkeit“ gestaltet, ein großartiger Erfolg beschieden. „Als er nach den Erfolgen seiner großen reifen Sinfonien—der pathetischen 5., der farbigen, instrumental so fesselnden 6., der erschütternd heroischen 7. ,Leningrader“ und der grüblerisch-problematischen 8. — eine 9. ankündigte, konnte man mit Recht gespannt sein“, schreibt Leo Spies, ein bekannter Komponist unserer Republik. „Denn seit Beethoven mit der 9. Sinfonie die monumentale Krönung seines Lebenswerkes vollbracht hatte, suchten und erreichten wohl auch spätere Sinfoniker (ich denke vor allem an Bruckner und Mahler) mit ihrer 9. die äußerste Steigerung ihrer patheti schen Aussage. Ganz anders überraschte uns Schostakowitsch. Mit seiner ,9. Sinfonie“ schuf er ein durchaus heiteres Werk, das in seiner Urwüchsigkeit und Formenknappheit fast auf das Vorbild Haydns zu deuten scheint.“ Der Vergleich mit Prokofjews „Klassischer Sinfonie“ ist naheliegend. Inhaltliche Bindungen sind in der Neunten Sinfonie nicht nachweisbar. Wohl kann man aber die Unbeschwertheit und herzerfrischende Fröhlichkeit dieser Musik mit ihrem Ent stehungsjahr 1945 in Zusammenhang bringen. Gleich das den ersten Satz eröffnende köstlich frische Hauptthema führt in eine in Schosta- kowitschs Sinfonik sonst ungewohnte Welt: Ein energischer Quartruf der Posaune fordert das zweite Thema, das die Pikkoloflöte sogleich ungemein lustig und übermütig anstimmt: Der marschartige Charakter dieser Melodie wird durch die Mitwirkung von Pauken, Triangel und kleine Trommel unterstrichen. Bei der motivischen Verarbeitung beider Themen in der Durchführung sind die Wirkungen stellenweise geradezu grotesk. Im For tissimo setzt der leicht veränderte Wiederholungsteil mit dem Hauptthema ein. Eine kurze Coda bringt zunächst das zweite Thema, dann klingt das Hauptthema noch einmal kurz an, und überraschend und in übermütigster Stimmung schließt der Satz. Eine weitausschwingende Klarinettenmelodie und eine chromatisch auf- und absteigende Linie in den Streichern bestimmen das musikalische Geschehen im zweiten Satz, über dem ein Schleier leichter Melancholie liegt. Das Klarinettenthema erinnert an die Romanze der Lady Macbeth aus Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Msensk“. Lebensfreude und Übermut erfüllen den dritten Satz, ein Scherzo. Er geht in ein kurzes Largo über, in dem pathetisch-wuchtige Klänge der Posaunen und Tuba mit einem Fagott- Rezitativ wechseln. Aus dem klagend in sich zusammensinkenden zweiten Rezitativ des Fagotts wächst überraschend das lustige Hauptthema des Schlußsatzes: Ausgelassene Fröhlichkeit herrscht in diesem Finale, das formal gesehen Sonatensatz und Rondo verbindet. Schostakowitsch lieferte mit seiner Neunten Sinfonie den Beweis, daß er nicht nur ernste Gefühle, Tragik und Pathos in großer Vollendung zu gestalten vermag, sondern daß er auch ein Meister des musikalischen Humors ist. Wolfgang Amadeus Mozart Violinkonzert D-Dur, K.V. 218 Schon im Alter von sechs Jahren erregte Mozart mit seinem Klavierspiel Aufsehen. Daneben hegte er aber bereits als Kind eine besondere Vorliebe für die Violine. Als Dreizehnjähriger wurde er vom Erzbischof zu Salzburg zum Konzertmeister der Hofkapelle ernannt — ein Gehalt wurde ihm freilich erst drei Jahre später gewährt! Mit wachsendem Eifer widmete sich Mozart dem Violinspiel und bildete sich auch hier zum Virtuosen aus. So kam es, daß er schon in jungen Jahren ein hervorragendes Verständnis für die Eigenart der Violine besaß und gern für dieses Instrument komponierte. Neben dem Streichquartett steht die Violinsonate im Mittelpunkt seines kammermusikali schen Schaffens. Mozart schrieb allein 42 Violinsonaten, ferner zwei Duos für Violine und Viola, ein Concertone für zwei Soloviolinen und Orchester, eine Sinfonia concertante für Violine und Viola. Sechs Violinkonzerte vervollständigen die Reihe der Mozartschen Kompositionen für Solovioline. Bei einem weiteren Violinkonzert ist die Echtheit um stritten. Fünf dieser Violinkonzerte entstanden im Jahre 1775, also zu einer Zeit, als Mozart sich noch als Geiger der Salzburger Hofkapelle betätigte. Stilistisch knüpft der junge Komponist hier bei J. Ch. Bach, italienischen Meistern wie Boccherini und französischen Komponisten an. Hinzu kommen Wiener Einflüsse, die in der volkstümlichen Melodik dieser liebens würdigen Werke ihren Niederschlag gefunden haben. So erklingt zum Beispiel im Schluß satz des D-Dur-Konzerts K.V. 218 in der Solovioline eine alte Volkstanzweise, der „Straß burger“, wobei die tiefe Saite als Bordun (= Brummpfeife beim Dudelsack) mitgestrichen wird. Das D-Dur-Konzert K.V. 218 gehört neben den Violinkonzerten in A-Dur (K.V. 219) und G-Dur (K.V. 216) zu den beliebtesten Werken dieser Reihe. Sein langsamer Satz ist ein wahres Prachtstück edelsten Gesanges. Im ganzen gesehen ist es so recht ein Produkt der frischen, unbekümmerten Musizierfreude des jungen Mozart.