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KONGRE S S - S AAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM FRANZ SCHI BERT 6. Sinfonie C-Dur dmitri schostakowitsch Violinkonzert Sonnabend, 26. September 1959, 19.30 Uhr, Anrecht A 1 Sonntag, 27. September 1959, 19.30 Uhr, Anrecht A 2 2. Philharmonisches Konzert Dirigent: Siegfried Geißler Solist: Ferdinand Baumbach, Dresden (Violine) Franz Schubert 6. Sinfonie C-Dur 1797 1828 Adagio - Allegro Andante Scherzo: Presto Finale: Allegro moderato Dmitri Schostakowitsch Konzert für Violine und Orchester, op. 90 geb. 1906 j^ octurno _ Moderato Scherzo — Allegro Passacaglia — Andante Burleske — Allegro con brio PAUSE Anton Dvorak 7. Sinfonie d-Moll, op. 70 1841—1904 , Allegro maestoso Poco Adagio Scherzo: Vivace Finale: Allegro Wenn Schubert auch in erster Linie als der klassische Meister des lyrischen Liedes gilt, so ist seine Instrumentalmusik doch keineswegs von geringer Bedeutung. Sin- fonik, Klavier- und Kammermusik nehmen einen breiten Raum in seinem Schaffen ein. Von den insgesamt zehn Sinfonien des Komponisten gediehen zwei nicht über die Skizzen hinaus. Auffallend ist die Parallelität der Tonarten in Schuberts sinfo nischem Schaffen -- sie findet sich später bei Bruckner wieder. Die i. und 3. Sinfonie stehen in D-Dur, die 2. und 5. in B-Dur, die 6. und 7. Sinfonie in C-Dur. Fast ein Jahrzehnt liegt zwischen der Entstehung der beiden Schubertschen C-Dur-Sinfo nien, der ,,großen“, oft gehörten Siebenten, die der Meister ein halbes Jahr vor seinem Tode beendete, und der sogenannten „kleinen“, weitaus weniger bekannten 6. Sinfonie aus den Jahren 1817 18. In zweifacher Hinsicht besteht die Bezeichnung „kleine“ C-Dur-Sinfonie zu Recht. Schon rein äußerlich unterscheidet sich das frühere Werk durch seine geringere Ausdehnung von den — um mit Schumanns Worten zu sprechen — „himmlischen Längen“ der „großen“ C-Dur-Sinfonie. Dar über hinaus deutet dieser Zusatz aber noch einen tieferen Unterschied an: Die „kleine“ C-Dur-Sinfonie steht stilistisch der Kammermusik nahe. Schubert schrieb sie für ein kleines Orchester, das aus den väterlichen Hausmusiken hervorgegangen war und seit 1815 zu regelmäßigem Musizieren zusammenkam. Den ersten Satz eröffnet eine für jene Zeit typische Adagio-Einleitung, die von einem Trioienmotiv beherrscht wird. Das munter-kecke Hauptthema des sich an schließenden Allegrettos erklingt zuerst in den Holzbläsern, die auch das zweite, seinem Charakter nach mit dem ersten verwandte Thema vortragen. Die Grundstimmung des nach klassischem Formenaufriß angelegten Satzes ist einheitlich : Heiterkeit — nur gelegentlich durch einige Mollwendungen getrübt —, die sich stellenweise bis zum Übermut steigert. Das folgende Andante beginnt mit einem innig-schlichten Thema in den Violinen; erst in seinem Mittelteil werden größere Klangfluten ent fesselt. Das Thema erscheint in immer neuer Beleuchtung. Durch die vorherrschende Trioienbewegung wird eine Brücke zur Adagio-Einleitung geschlagen. In jagendem Presto huscht das deutlich an Beethoven gemahnende Scherzo vorüber. Es ist das erste seiner Art in den sechs frühen Sinfonien Schuberts; das Scherzo der Vierten ist dem Charakter nach ein Menuett im Vivacissimo. Der letzte, stark von der Wiener Volksmusik durchdrungene Satz ist in Rondoform gehalten. In buntem Wechsel reihen sich Haupt- und Seitenthemen aneinander und werden zu ganzen Episoden ausgesponnen. Die an den ersten Satz anknüpfende heitere, ausgelassene Stimmung des von einem stark punktierten Rhythmus getragenen Satzes rundet dieses liebenswürdige, zu Unrecht vernachlässigte Werk wirkungsvoll ab. In den dreißiger Jahren bereicherten Prokofjew und Chatschaturjan die Literatur des modernen Violinkonzertes um zwei wertvolle, heute schon fast „klassisch“ ge wordene Werke. Im Jahre 1955 war es wieder ein sowjetischer Komponist, der der musikalischen Welt ein bedeutendes Werk dieser Gattung schenkte: D. Schosta kowitsch. Neben dem Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester und dem Klavierkonzert ist es das dritte Instrumentalkonzert des Komponisten. Er widmete das Violinkonzert David Oistrach, der es im Oktober 1955 in Leningrad uraufführte. „An dem Violinkonzert, wie auch an vielen anderen Werken D. Schostakowitschs, beeindrucken mich besonders der außergewöhnliche Ernst, die Tiefe der schöpfe rischen Erfindung, das echt sinfonische Denken“, erklärt der in aller Welt bekannte Künstler. „In der Partitur des Konzertes gibt es keinen zufälligen oder äußerlichen Effekt, der die innere logische Entwicklung des Geschehens unterbrechen würde. Dieses sinfonische Denken D. Schostakowitschs offenbart stets tiefe Gedanken über das Leben, über die Schicksale der Menschen.“ Die Anlage des Werkes weicht von der klassischen Form ab: An die Stelle der Dreisätzigkeit ist eine Folge von vier Sätzen getreten. Auch die Satzbezeichnungen — Nocturno, Scherzo, Passacaglia und Burleske — überraschen in einem Violin konzert. Als breiter melodischer Strom entfaltet sich das erste Thema des Nocturnos in der Solovioline über dem dunklen Klang der Streicher. Die unaufhaltsam dahinfließende lyrische Melodik geht nahtlos in das ebenfalls vom Soloinstrument vorgetragene zweite Thema über. Beide Themen ergänzen einander, sie sind durch gleiche rhythmische Bewegung und ihren lyrischen Charakter verbunden. Auf Grund der polyphonen Stimmführung und der aus ihr resultierenden scharfen harmonischen Zusammen klänge entsteht eine eigenartig intensive dramatische Gespanntheit, die erst gegen Ende des Satzes eine Aufhellung erfährt. In wirbelnder Bewegung setzt das folgende Scherzo ein. Sein mit dem dritten Satz der 10. Sinfonie verwandtes Hauptthema tragen zunächst die Holzbläser vor. Die Instrumentation dieses Satzes — wie überhaupt des ganzen Werkes — ist meisterhaft. Mit Ausnahme des Mittelteils sind die Streicher im Scherzo äußerst sparsam ver wendet, so daß sich die Möglichkeit zu einer solistischen Behandlung der übrigen Instrumente ergibt. Die Solovioline fügt sich glänzend in diesen durchsichtigen Klangkörper ein. Im Mittelteil des Scherzos wird die jagende Bewegung des Satz beginns durch einen grotesken Tanz im Zwei viertelt akt mit stark volkstümlichem Einschlag unterbrochen. Edle Schönheit und Wärme des Gefühls zeichnen den dritten Satz, die Passacaglia, aus. Schon das kraftvolle, von gewichtigen Pausen durchsetzte, siebzehntaktige Hauptthema besitzt großartige Ausdruckskraft. In breitem sinfonischem Strom ent wickelt sich der Satz. Immer mehr Stimmen schichten sich über das im Verlaufe der Passacaglia neunmal erklingende Thema. Immer intensiver und dramatischer wird die Aussage. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung bringt die Solovioline das Thema in Oktaven. Danach folgt eine allmähliche Abnahme der Spannung, und die aus dem Material der drei vorangehenden Sätze aufgebaute Kadenz setzt ein. Sie entfaltet sich in einer großen dynamischen Steigerung, um auf ihrem Höhepunkt unvermittelt in den letzten Satz überzugehen. Der festliche Glanz, die unbeschwerte Fröhlichkeit dieses vor Lebensfreude strotzenden Satzes bilden einen scharfen Kon trast zu den drei ersten Sätzen. Die polyphone Stimmführung ist fast ganz auf gegeben; die Burleske lebt von der Intonation des russischen Volkstanzes. Inmitten dieses Frohsinns erklingt wie eine ernste Mahnung das Thema der Passacaglia in der Klarinette und gibt den beiden, äußerlich durch die Kadenz verbundenen, scharf kontrastierenden Sätzen auch einen inneren Zusammenhang.