Volltext Seite (XML)
13 s j Mris, 27. Dec. Die ministeriellen Blätter schweigen bis jetzt auf die dringenden Fragen, welche in Bezug auf die Ursachen, weshalb die Be hörden ihre Mitwinung zu der Einweihung des Standbildes Molierc's (Nr. I) versagt haben, an die Regierung gerichtet worden sind. Nur der Globe, welcher die Rolle des Hanswurstes in der ministeriellen Presse spielt und dessen plumpe Späße gewöhnlich da vorgeschoben werden, wo es an guten Gründen fehlt, versucht es, das Verlangen nach einer solchen Mit wirkung des Ministeriums oder wenigstens des Präfecten überhaupt lächer lich zu machen und die Zurückweisung desselben als die natürlichste Sache von der Welt darzustellen. Dem Globe zufolge ist der Gegenstand -nicht ! wichtig genug, der Raum zu enge und das Wetter zu schlecht, als daß / man billigerwcise verlangen könnte, daß die hohen oder gar höchsten Staats ¬ beamten an der Einweihung der Statue des ersten Komödiendichters Frank reichs Theil nehmen sollen. Es ist nicht abzustreiten, daß wenigstens der zweite dieser Gründe ein gewisses Gewicht hat, denn das Standbild Mo- liere's ist an dem Punkt aufgestellt, wo die enge Rue Traversiere St.- Honorc, jetzt Rue Moliere geheißen, in die nicht viel breitere Rue Riche lieu einmündet, also an einem Platze, wo sich nur mit großer Schwie rigkeit ein gewisser Pomp entfalten ließe, zu welchem sich ein feierlicher Zug mühsam hinbewegcn würde und auf welchem sich nur ein ganz klei nes Publicum ohne die augenscheinlichste Gefahr zusammendrängcn könnte. Ist aber dieser oder ein ähnlicher Grund der wirklich entscheidende gewe sen, warum hat man ihn nicht frei und offen geltend gemacht, warum hat man die spätere Weigerung der anfangs wenigstens vom Präfecten des Scinedcpartemcnts versprochenen Mitwirkung unter Ausflüchten und Vorwänden ausgesprochen, an die kein Mensch glauben will und kann? Wir wollen daraus noch keineswegs die Wahrheit des Gerüchts folgern, welches das Zurücktreten der Behörden einer Protestation des Erzbischofs von Paris zuschreibt, denn wir können nicht ohne die vollgültigsten Be weise ein solches Zeichen von fabelhafter Schwäche des Cabinets derTui- lerien gegen die Geistlichkeit glauben, aber wir finden in allen jenen Um ständen Ursache zu dem lebhaften Wunsche, die öffentliche Meinung so bald als möglich über diese Frage aufgeklärt zu sehen. Die Opposition nimmt vonderAbsehungderMaires, welche die Pilgerfahrt nach London mitgemacht haben, Veranlassung, der Regierung einen Vorwurf daraus zu machen, daß sie überhaupt Männer, deren legi- timistische Grundsätze ihr bekannt gewesen, an die Spitze von Gemeinde verwaltungen gestellt habe. So spricht dieselbe Opposition, welche es beinahe in demselben Augenblicke der Regierung zum Verbrechen anrech- nct, daß sie bei der Erneuerung der Mairien von Paris in einigen Fäl len überhaupt von ihrem Wahlrechte Gebrauch gemacht hat, statt ohne weiteres den durch die Stimmenmehrheit bezeichneten erste» Candidaten zu bestätigen, wie dies allerdings gewöhnlich geschieht und ohne Zweifel auch bei allen jenen legitimistischcn Maires geschehen war, welche die Regie rung jetzt in die Nothwendigkeit gesetzt haben, sie von ihren Stellen zu . entfernen. Ein neuer Beweis, daß die Consequenz nicht die Tugend der Opposition ist. Belgien. * Brüssel, 27. Dec. Der Jahrcsschluß ist vor der Thür, und noch hat der Senat nicht die Bcrathung des Budgets der Mittel und Wege beendet. Zieht sich die Diskussion nur einigermaßen in die Länge, oder werden gar einzelne Sätze des Budgets nicht in der Weise, wie die Kammer sie angenommen hat, vom Senate gebilligt, so entsteht für die Regierung eine Verlegenheit der allcrcigcnthümlichstcn Art; die Gültig keit des bestehenden Steuergesctzcs hört mit dem nächsten I. Jan. aus; hat der Senat bis dahin nicht das neue votirt, so wird die Steuererhe bung unmöglich und die Maschine steht von selbst still. Ein solches Ex trem wird nun allerdings nicht eintreten; der Senat wird heute oder mor gen das nöthige Votum zu Stande bringen, und das Einnahmebudget des nächsten Jahres zur rechten Zeit publicirt werden. Aber der Uebcl- stand, das Mislichc dieser Einrichtung, wo eine vorübergehende Majorität weniger Stimmen die allerextrcmste aller Situationen hcrbeiführen kann, liegt zu Tage. In Folge des später» Termins, den die Constitution für die Eröffnung der Session fcstsctzt, bleibt dem Senate keine Zeit übrig, die Mittel und Wege gründlich und mit der Reise, die dieser sonst würdigen Versammlung zukommt, zu prüfen. Will er nicht den ganzen Staatsmechanismus in Unordnung bringen, so muß er in weni gen Stunden Gegenstände von der allergrößten Wichtigkeit abfertigen, auf deren Bcrathung die Kammer Wochen verwendete. Sein Votum ist von vorn herein ein gebundenes, er darf nicht ein Jota am Budget ändern, denn thut er cs, so muß der Entwurf wieder an die Kammer zurück, kann dann aber, da diese bis in den Januar hinein Ferien hat, nicht zur gehörigen Zeit erledigt sein, und bis dies geschehen, hört vom nächsten I. Januar für Jedermann die Verpflichtung, Steuern zu bezah len, auf und alle Einnahmen des Schatzes fallen von selbst weg. Der Senat niuß also die Mittel und Wege, wie die Kammer sie festgcstcllt hat, annehmen. Die Situation wiederholt sich alljährlich, sodaß jetzt Nie mand mehr daran denkt, sie außerordentlich zu finden, während sie doch offenbar der Würde und den Rechten und dem Interesse unserer ersten Kammer durchaus unangemessen ist. Daß die Pairskammer in Frankreich sich bei ähnlichen Fällen in ähnliche Lage versetzt sieht und die untergeord nete Rolle, die ihr auferlcat wird, mit mehr oder weniger Resignation ab spielt, ist kaum ein Trost für unsern Senat und beweist nur, daß bei unsern Nachbarn wie bei uns es der constitutioncllcn Praxis nicht an Un regelmäßigkeiten und Widersprüchen fehlt. Geht man auf die Bcrathung selbst, zu der die Mittel und Wege Anlaß gegeben haben, näher ein, so wiederholt sich auch hier eine schon öfter gemachte Erfahrung. Die bel gischen Finanzen, ohne im entferntesten in Unordnung zu sein, lassen doch Vieles zu wünschen übrig, daß Land hat seine ganze materielle, militai- rische und administrative Organisation, die Eisenbahn und das ganze System großer öffentlicher Arbeiten, die es zu seinem Ruhm und zu sei nem Heile seit zehn Jahren außsuhrt, theuer bezahlen muffen. Die öf fentliche Schuld ist bis auf mehr als 34 Mill. Fr. jährlicher Rente ge stiegen, cs hat sich nach und nach eine schwebende, unconsolidirte Schuld von 37 Mill. Fr. gebildet und die Einnahmen sind seit mehren Jahren schon gegen die Ausgaben im Deficit. Das ist die Situation, die der Dis cussion zum Ausgangspunkte diente. Es handelte sich nun darum, Mittel zu finden, die schwebende Schuld zu tilgen und Gleichgewicht zwischen dem Soll und dem Haben des Schatzes hcrzustellcn. Jedermann wird zugestehcn, daß es nichts Delicatcres und Schwierigeres gibt, nichts, was eine größere Vorsicht und Erfahrung und umfassendere Kenntniß positiver Zustande erfodcrt als grade die Besprechung finanzieller Fragen, an de ren Lösung sich so große Interessen knüpfen. Daran denkt man aber in unserer Kammer wenig. Die meisten Redner ergehen sich, je nach Par tei, Tendenz, Standpunkt, in allgemeinen Auseinandersetzungen, abstrak ten Theorien, ohne sich im mindesten um Möglichkeit, Thunlichkcit oder Nutzen der Ausführung ihrer Ideen zu bekümmern. Daß Land geht sei nem Untergang entgegen, rufen die Radicalcn, wenn ihr nicht unsere Grundrcform der Steuern annehmt, das Volk muß so viel als möglich frei von allen Lasten sein, die offenbar den Reichen aufgelegt werden müss sen. Es gibt nur Ein Mittel, dem Deficit ein Ende zu machen, ruft ein Anderer, führt die Vermögenssteuer, wie sie in England besteht, ein. Nichts davon, schreit der Dritte, ich rette den Schatz ohne solche extreme Mittel; erhöht nur ein wenig den Zoll auf den Kaffee und andere Colo- nialproducte, und ihr habt, was ihr braucht. Wer spricht von Stcuer- crhöhung, predigt cm Vierter, von diesem gehässigsten unter allen Mit teln, man gebe der Regierung das Tabacksmonopol, wie es in Frankreich besteht, das bringt jährlich wenigstens 3 Mill. Fr. ein, und damit ist unserer Noth geholfen. Die Monopole sind unconstitutionell, eifert der Fünfte, creirt unverzinsbares Papiergeld, wie die preußischen Kassenan weisungen, und alle Noth ist zu Ende. So geht es fort, ein Jeder kommt mit seinem sweno? man oniv. Glücklicherweise legt sich der Eifer, wenn es zur Abstimmung kommt, und anstatt mit unreifen Reformen beunru higt und gestört zu werden, sind unsere Finanzen in einen wesentlich bes sern Stand dadurch gebracht, daß man die Vorschläge der Regierung angenommen hat, die aus der holländischen Liquidation herrührcnden Fonds zur Tilgung eines Theiles der schwebenden Schuld verwendet und die Einnahmen durch die Einführung von Differentialzöllen und wahr scheinlich auch durch eine neue Besteuerung des Tabacks den Bedürfnissen des Schatzes anzupasscn sucht. Skie-erlan-e. Nach dem Tode des Grafen von Nassau ist Ludwig Philipp der einzige Monarch in Europa, der sich bei der ersten französischen Revolu tion bereits im zurechnungsfähigen Alter befand und thätigen Antheil an den Staatsangelegenheiten zu nehmen vermochte. Auch waren diese Ueber- bleibscl der vorrcvolutionairen Zeit beide revolutionaire Könige. Sie verdankten ihre Kronen der Revolution. Ohne dieses Ercigniß würde der Eine aller Wahrscheinlichkeit nach ein Prinz von Geblüt m einem legiti men Königreich, und der Andere beständiger Präsident einer legitimen Republik geblieben sein. Allein der Stoß und Gegenstoß der erhalten den und der neuernden Grundsätze trieb sie aus ihrer natürlichen Stel lung und versetzte sie nach einigem Hin- undHerfahren auf Throne. Sie gehörten nicht zur Zahl der alten Herrscher von der Art Ludwrg's XVI., der seinen Kopf buchstäblich verlor, oder Georg's II>., der ihn bildlich verlor, oder eines Andern, der nie einen zu verlieren hatte, aber sie bildeten ein Ueberganasglied zwischen den Souvcrainen aus der alten Welt und den jungen Inhabern der revolutionairen Throne von Spanien und Portugal und des reformbillten Englands sowie der nicht viel ältcrn Inhaber der Throne von Preußen und Rußland. Nach dem Tode des Grafen von Nassau ist nur noch eins dieser Ucbergangsglieder vorhanden. Bald wer den wir uns in einer ganz neuen Welt befinden, und zwischen dieser und der vergangenen ein Abgrund gähnen, der nicht so breit, aber eben so brückenlos ist wie derjenige, durch den wir von der feudalen und der elastischen Zeit getrennt sind. Zedermann hat eine Bestimmung in dieser Welt, mag er eine Auf ¬ gabe lösen oder nur durch sein Beispiel eine Lehre geben sollen. Niemand läßt den Kreis, in welchem er sich bewegt hat, ganz unverändert, wenn auch die Veränderung zuweilen so geringfügig ist, daß man sie kaum wahr- zunchmcn vermag. Wilhelm I. von Holland gehörte zu diesen Jnsinite- simalwirkcrn. Der Zufall seiner Geburt und der Lauf der Ereignisse, über die er keinen Einfluß hatte und kaum einen Einfluß zu üben suchte, brach ten ihn auf einen Thron. Bis zu dem Augenblick, als er den durch die Landmesser zu Wien und Verona für ihn gedrechselten Scepter ergriff, war er wenig mehr als cin willenloses Werkzeug in den Händen Ande rer. Und der einzige Nutzen, den er nach seiner Thronbesteigung stiftete, bestand darin, daß er die Welt von einer sentimentalen Täuschung heilte. Diese Täuschung bestand in der falschen Wcrthschätzuna der Könige, welche sogenannte gute Hausväter sind. Kurz vor dem Ausbruche der französischen Revolution legte die Modestimmung der öffentlichen Mei nung, der diese Erschütterung ihre Form, wenn nicht ihren Ursprung verdankt, ganz verkehrtcrweise den bloßen häuslichen Tugenden einen aus schließlichen Werth bei. Die Beherrscher der Menschheit waren so ge neigt gewesen, sich für die Mühen und Gefahren ihrer hohen Stellung durch Ausschweifungen im Privatleben zu entschädigen, daß man ru hige, gottesfürchtige Könige mit Bewunderung und Erstaunen gu betrach ten begann. Weil Ludwig's XVI. Charakter daß Gegenstüw von dem