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Zur Einführung: Beethoven hat zu seiner Oper „Fidelio", die er eigentlich „Leonoie" nennen wollte, vier Ouvertüren geschrieben. Die erste gefiel nicht. Da schrieb er pine zweite. Diese aber genügte ihm nicht. Und so schrieb er die dritte, die sogenannte „Große". Dann aber fand er, daß diese Ouvertüre zu vielsagend sei, daß sie die ganze Oper schon in sich enthielte, daß sie sozusagen die Oper überflüssig mache, und daraufhin schrieb er die leichte E-dur-Ouver- türe, die man heute als Vorspiel der Oper hört. So erleben wir also in dieser dritten ,,Leonoren"-Ouvertüre den ganzen „Fidelio", den Sieg über Tyrannenmacht und Tyrannenwillkür. Eingangs hören wir die Klage Florestans, des von seinem politischen Gegner ins Gefängnis geworfenen Mannes. In dem folgenden schnelleren Teil wird der Kampf Leonorens geschildert. E n frompetensignal kündet die Rettung an. Der Gatte wird befreit. Die Liebe hat gesiegt. Jubel ist der strahlende Aus klang der Tondichtung, mit der Beethoven der Gattenliebe ein Denkmal gesetzt hat, un vergänglicher als Erz. Beethovens 5. Klavierkonzert in Es-dur, op. 73, aus dem Jahre 1809, kann mit Fug und Recht eine Sinfonie mit Soloklavier genannt werden. Das Orchester begleitet nicht mehr nur das Soloinstrument, wie es bisher Brauch war, sondern beteiligt sich am Aufbau des gesamten Werkes und an der Verarbeitung des thematischen Materials. In diesem Kon zert ist das besonders deutlich. Nach der gleichsam improvisierenden und präludierenden Einleitung setzt ein sinfonischer Satz ein, der scheinbar zunächst ohne solistische Mitwirkung auszukommen versucht und auch auskommt. Hundert Takte lang hört man absolutes sinfo nisches Geschehen, erlebt man reine sinfonische Formgesetzlichkeit mit den beiden Themen in ihrer Durchführung. Das ganze Werk hindurch spürt man Beethovens großen Atem, das titanische Element seines Wesens, das schwer um die Ausgewogenheit von Geist und Gefühl ringt, um das Geichgewicht von Form und Inhalt, die ihm seiner Veranlagung nach gar nicht liegt. Nach dem Einsetzen des Soloklaviers" beginnt in dem wahrhaft großen ersten Satz eine schwerwiegende, tiefschürfende Auseinandersetzung, die einer Diskussion um welt anschauliche Fragen unter bedeutenden Geistern ähnelt. Es ist kein Wunder, daß man dieses Konzert als den Gipfel der gesamten Konzertliteratur ansieht, weil sich jedem, der es hört, die geistige Größe aufzwingt. Der 2. Satz ist in seiner zarten Tönung und Färbung ein starkor Gegensatz zu dem vor hergehenden Aufeinanderprall von Thesen und Antithesen, aber auch er hält die geistige Höhe. Nicht einmal im Schlußrondo läßt Beethovens Spannkraft nach. Er hat den Kehraus charakter früherer Rondos überwunden und stellt — sein Streben nach klassischem Gleich gewicht führt ihn dahin — dem gedanklich schwer ringenden ersten Satz einen geistvollen sprühenden, in gelöstere Regionen vorstoßenden Schlußsatz gegenüber, der aber durch die Beethovehschen Errungenschaften in der Kunst der motivischen Behandlung sein Gewicht hat. Beethoven hat dieses Werk selbst nicht mehr gespielt. Es i't eines jener Werke von ihm, die ein damaliger französischer Redakteur (Paris 1810) folgendermaßen beschreibt. „Der erstaunliche Erfolg der Kompositionen Beethovens ist ein gefährliches Beispiel für die Kunst der Musik. Er glaubt eine Wirkung zu erzeugen, wenn er mit den barbarischen Dissonanzen nicht spart und alle Instrumente großen Lärm vollführen läßt." Brahms 1. Sinfonie, op. 68, wurde 1877 veröffentlicht. Die Einleitung zum ersien Satz ist voll größter Spannungen, der Orgelpunkt der Pauke zu Beginn stützt eine Musik von dramatischer Wucht und Erhabenheit. Der Aufbau dieses Satzes ist klassisch, beide Themen sind klar formuliert und deshalb -klar zu erkennen. Brahms hat nun eine eigene Art der Durchführung, die sein Wesen, seinen grüblerischen Ernst und seine spröde Verhaltenheit deutlich erkennen läßt. Der englische Öramatiker Priestley sagt in einem Roman über dieses Werk einmal, daß er den Eindruck habe, daß Brahms mürrisch und gro.lend in der Ecke stehe und der übrigen Welt den Rücken kehre. Er hat nicht ganz Unrecht, weil -ir mit diesem Bild die Neigung zum Pessimismus, der Brahms niemals ganz Herr werden konnte, andeutet. Auch Clara Schumann sagt ihm selbst in einem Briefe, sie fürchte-sich vor der Düsternis und Kantigkeit seiner Seele, die sich gerade in diesem Satz offenbare, der mit dem Orgelpunkt des Beginns wieder abschließt. Der liebliche zweite Satz, der ebenfalls !zwei musikalische Gedanken entwickelt, wird in der Mitte von dramatischen Erregungen gestört, die keinen inneren Frieden aufkommen lassen. Der dritte Satz ist, ganz entgegen der Gepflogenheit Beethovens, kein Scherzo oder Menuett, sondern ein graziöse:; Ailc- gretto. Die schlichte Melodie des Beginns, die in ihrer Umkehrung fortgeführi wird, kann aber nicht den Ernst und die Resignation verhindern, die sich dann in diesem Satz durch setzt. Gleich dem Anfangssatz beginnt auch der Schlußsatz mit einer Einleitung, die mit Spannung und Größe geladen ist. Dann entfaltet sich wiederum echt sinfonisches Geschehen — Brahms wählt die Sonatenform auch für den Schlußsatz. Das erste Thema mit seinem Ankiang an den Hymnus der „Neunten" steht dem weicheren, lyrischen zweiten Thema gegenüber, so daß sidi auch hier dramatische Ballungen ergeben, die jedoch in eine strah lende C-dur-Coda einmünden, die dem Werk einen sieghaften Abschluß verleiht.