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„Quivive" seiJ^ Aber nach dem Trauermarsch aus der Eroica ^(flaudierte das Orchester — und auf Grund kürzester Ausschußberatung war er Kapellmeister der Hansestadt. . . Da galt es, erst nur als Konzertdirigent mit einer Fülle hochartistischer wie populärer Verpflichtungen, zu denen bald auch ein großer Chor und die Oper traten, die Ohren steif zu halten. Hatte der Münchner Musikstudent unter Weingartner, Hausegger, Scharrer im Kaimorchester mitgebratscht, so tummelte sich der junge Lübecker jetzt in seinen Sommerferien bei den Festspielen des Prinzregententheaters als Chorassistent und gewann so unvergeßliche Eindrücke von Felix Motteis Operndirektion, die er als bald im eigenen Betrieb herrlich auszuwerten und umzuformen vermochte. Auch Amor versagte ihm nicht sein Füllhorn — eine junge Bremer Sprechschauspielerin wurde seine getreue Lebensgefährtin. Als ich erstmals den Namen Abendroths nennen hörte, geschah es durch den Meistergeiger Henri Marteau, der begeistert erzählte, er habe soeben in Lübeck einen jungen Kapellmeister kennengelernt, der schon jetzt in der ersten Reihe stehe — ihn holte er auch ein Jahr danach zur Erstaufführung des Regerschen Violin konzertes nach Berlin; und Reger ist immer Abendroths besonderer Hausheiliger ge blieben — der andere wurde Bruckner. Eines Tages wandte sich der greise Essener Dirigent Hendryk Witte an ihn, ob Abem^fck roth nicht sein Nachfolger in der großen westlichen Industriestadt werden wolle? Zwa^^ Bruckner sei beim dortigen Orchester noch nicht sehr beliebt, aber da habe er ja, und erst recht beim Publikum, eine Aufgabe. Abendroth entgegnete dem kleinen alten Holländer, er wolle sich nicht gern u. U. als Gast einer Absage aussetzen, worauf Witte meinte: „Nun gut, so kommt unser achtköpfiger Vorstand, Sie in Lübeck zu hören." Dort war die Essener Wahl sogleich entschieden und Abendroth erhielt an dem jungen Furtwängler seinen Nachfolger. Er selbst aber verlegte rasch den musikalischen Brennpunkt des Industriegebietes in die Kruppstadt, die ihm zugleich herrliche volksbildnerische Auf gaben stellte: statt alter Patriziertradition im Buddenbrookstil war hier eigentlich erst jeder künstlerische Anspruch über Neuland aufzubauen. Das Essener Tonkünstlerfest vom Frühjahr 1914 brachte seinem Wirken gemeindeutsche jubelnde Bestätigung. Als im Sommer des gleichen Jahres der berühmte Kölner Musikgeneral Fritz Steinbach, der von Brahms Autorisierte, ersetzt werden mußte, holte man Abendroth (der prächtige Max Fiedler löste ihn später an der Ruhr ab), und es war für ihn in den ersten Jahren des Krieges keine leichte Aufgabe, neben den abklingenden alten die gewaltigen neuen Pflichten in der rheinischen Metropole zu erfüllen. Besonders kam es dem immer erst Einunddreißigjährigen wunderlich vor, Hochschuldirektor zu werden, der er selbst nie ein Konservatorium besucht hatte und nun als jüngster berühmten greisen Lehrern vorgesetzt war. Aber er biß sich ebenso dank freundlicher Energie wie kraft fachlicher Überlegenheit durch und hat in Köln zahlreiche hochbegabte Schüler ausgebildet, vor allem aber die große dortige Dirigententradition von Franz Wüllner her erneuert. Das Jahr 1933 brachte ihm die damals üblichen Querschießereien guter „Freunde" und die obligate plötzliche Abhalfterung; freilich — über seinen lebenslänglichen Vertrag konnte selbst die Robustheit des damaligen Oberbürgermeisters nicht einfach hinweg, zu mal da sogleich das Leipziger Gewandhaus nach ihm griff (hier hatte Bruno Walter weichen müssen). Auch dort hat Abendroth als Interpret der großen Tonmeister Unvergesseny^^ geleistet und darüber hinaus als Fachschaftsleiter für Musikerziehung viel SchlimnjHB| zu verhüten gewußt. Wenn man ihn 1945/46 weitschauend für Thüringen gewann, wo er die dritte große Dirigentenpersönlichkeit seit Liszt und Peter Raabe geworden ist, so wurde ihm damit erstmals der lebenslängliche Wunsch erfüllt, nicht immer nur mit einem Höchstmaß an Arbeitsdisziplin ein Maximum an Pflichten zu erledigen, sondern sich ein wenig mehr con amore dem Musendienst weihen zu dürfen. Wir alle sind dankbare Zeugen dieses Gelingens und Vollbringens, das auch Jena freudig mit genießt. Abendroth ist kein Pultblender, der durch Auswendigkeitsrekorde Sensationen erstrebt und jeder extremistischen Novität nachjagt — obwohl er z. B. einmal Strawinskys Psalmensinfonie in Amsterdam virtuos fast vom Blatt zum Erfolg geführt hat. Sondern er ist ein Best- und Höchstfall des deutschen Kapellmeisters, der in Bach, Beethoven, Brahms seine natürlichen Schwerpunkte sieht und von dieser Basis her mit prachtvoller Gesundheit wie beglückender Feinnervigkeit in die Weite greift. Dazu ein verehrungs würdiger, menschlich zuverlässiger Charakter, ein neidloser Freund seiner Kollegen (den auch die Staatliche Hochschule für Musik in Weimar stolz zu den Ihrigen zählt), ein geborener Lehrer von weiter Allgemeinbildung und liebreicher Talentenförderer.