Russische Musik ' Strawinskys „Kartenspiel“ unter Abendroth Nur der ist ein Künstler, der die lyrische Ver zückung zu bemeistefn vermag. Aber um das zu können, muß man sie vorher empfunden haben. Andre Gide Es war einer der interessantesten Abende der Saison, dies russische Konzert der Dresdner Phil harmonie ugter Hermann Abendroth. Dieser Diri gent versteht es seit jeher, Programme zu machen: geschlossen, anregend, auf jeden bedacht. Wir sind ihm dankbar, daß er uns wieder einmal das Tor nach dem Osten aufgestoßen hat. Ganz be sonders haben wir ihm aber für die Vermittlung der „Kartenspiel"-Suite von Igor Strawinsky zu danken. Diese entzückende Ballettmusik ist für Dresden nicht neu; Böhm brachte sie vor. zehn Jahren als choreographische Uraufführung in der Staatsoper. Nun, da man sie im Konzertsaal hört, beglückt sie die Freunde dieser starken Persön lichkeit unter den schaffenden Musikern unserer Zeit nicht weniger. „Jeu de cartes": wir erken nen es heüte, ist ein Werk der Wende. Stra winsky, der erst einmal als russischer Komponist echt sein wollte, bevor er in die europäische Geisteswelt eintauchte, der später aus der Er kenntnis einer neuen Klassik („Psalmensinfonie'') neue, wahrhaft unerhörte kunstmäßige Klang gestalt schuf, ist hier zu einem Stil von letzter geistiger und instrumentaler Transparenz vor gedrungen. .Ein „kühler", ein in keiner melodi schen oder rhythmischen Bildung irgendwie „ele mentarer" Strawinsky? Gewiß, alles ist (unwill kürlich denkt man an die auf wenige Striche ver dichteten Zeichnungen des Meisters durch seinen Freund Picasso) aufs äußerste vereinfacht, klang lich ausgespart und kammermusikalisch hell und klar. Wer in der Musik, wie der Franzose Gide, nicht nur die „lyrische Verzückung" sieht, wer in der Musik vor allem Umriß und Geist sucht, wird über die Reize der in ihrer Geste über raschend graziösen und feingliedrigen Partitur nicht im . unklaren sein. Die Wiedergabe des ungewöhnlich schwierigen Stücks von immerhin halbstündiger Dauer . . . fl Sie war (wir sagen es wohlbedacht) eine der schönsten Leistungen der neuaufgebauten Phil harmonie: da schien, besonders in den spritzigen Bläsertntti, alles mit feinem Klangsinn erfaßt und ausgefeilt; Abendroth erwies einmal mehr seine glänzenden Fähigkeiten als Orchester erzieher und Deuter neuer Musik. Es gab in dem Sinfoniekonzert offensichtlich drei Parteien. Für die einen war das Ereignis dieser reife Strawinsky. Die zweite Partei hielt sich mehr an Mussorgskis geniale, nur leider von Rimski- Korssakow in den Farben unnötigerweise etwas verwaschene Orche6terdichtung „Eine Nacht auf dem kahlen Berge"; Abendroth und seine Helfer trieb sie hinein in die Temperamentsbahnen einer betont kraftvollen Wiedergabe. Die dritte Gruppe endlich entschied sich für den russischen Groß meister, der nicht erst der Propaganda bedarf, der mitten im Herzen der ganzen musikalischen Welt lebt: Tschaikowski. Wird seine welt männische Oberfläche nicht allzu leicht mit par fümierter Eleganz, sein vieldeutiges inneres Wesen mit brutalen Klangexzessen verwechselt? Bei der „Fünften" unter Abendroth verleitet das notwendige Rubato der Tempoführung niemals zu übertriebenen Dehnungen und unvermittelten Leidenschaftsausbrüchen; der Weimarsche Gast dirigent hielt sich von solchen Irrtürmem fern. Was in der Sinfonie an Ueberschwung des Ge-| fiihls und gesteigerter Lebensfreude steckt, das kam, auch durch das Orchester, in überzeugender Ausdrucksintensität heraus. i Ein großer, ein wesentlicher Abend in Dresdens neuem Konzertsaal im Hygiene-Museum. Ein zu gleich festlich und geschlossen wirkender Raum;' ein schönes künstlerisches Heim für unsere nun langsam gefestigten Philharmoniker. (Denen man nur recht bald einen ständigen, namhaften und geistig aufgeschlossenen Dirigenten wüftscht.) Ueber die Akkustik, scheint uns, sollte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein; vorläufig treten die Holzbläser fast überdeutlich in Erscheinung. Indes, diese Kleinigkeiten dürften den Gesamt eindruck des Abends kaum beeinträchtigt haben. Er war ausgezeichiret besucht und wurde mit Be geisterung aufgenommen. e. k. jj ,/il < i , I