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sätje noch einmal ganz lebendig dadurch, daß ein langsamer, ausdrucksvoller Gesang erklingt, von dem aus das Werk sich in Kraft und Zeitmaß ständig steigernd zum Schluß treibt. Der Besucher des Konzerts mag diese Ausführungen als Vor- oder Nachwort lesen. Sie vermögen nur in rohen Umrissen den Gang der Werke anzudeuten und können nicht beschreiben die unendlich vielen Feinheiten des Ausdrucks in den Melodien und Motiven, die kunstvolle Ausnutjung der verschiedenen Instrumente und endlich die den berufenen Künstlern vorbehaltene Aus legung und Wiedergabe des Werkes. Krogel. Die Komponisten unseres Programms: Joseph Haydn, geboren 1732 in Rohrau a. d. Leitha, gestorben 1809 in Wien, eröffnet mit seinen zahlreichen instrumentalen und vokalen Tonwerken eine Epoche der Musikgeschichte, die uns als diejenige der harmonisch gestillten und vertieften Melodien noch am nächsten steht. Er, der Älteste des klassischen Dreigestirns, Haydn — Mozart — Beethoven, ist der eigentliche erste Meister der Sinfonie. Zwar übernahm auch er diese Form von seinen Vorgängern, aber ihre Ausgestaltung mit neuerem feinem melodischem Geist, die ständige Einfügung des Menuetts als des dritten Satjes ist sein Werk. So haben sich neben seinen ewig jungen Oratorien, der „Schöpfung“ und den „Jahreszeiten“, auch viele seiner zahlreichen erfindungsreichen Streichquartette und eine ganze Anzahl seiner an Einfällen mannigfacher Art überreichen Sinfonien lebenskräftig erhalten. Haydn schrieb neben zahlreichen Klavier- und Instrumental-Konzerten, Messen, kleinen Opern und Liedern nicht weniger als 125 Sinfonien, 77 Streichquartette und 68 Trios. Ludwig van Beethoven, geboren 1770 in Bonn, gestorben 1827 in Wien. In Beethovens I„»trumental-I*iusik, den Si-.cfonien und Ouvertüren wie der Kammermusik, erblicken wir bis heute die ideale Vollendung dieser Tonformen überhaupt. Dieses leiden schaftliche, fast trogige Durchsegen der menschlichen und künstlerischen Individualität, das Durchbrechen alles Konventionellen und Traditionellen zugunsten einer rückhaltlosen inneren Aussprache, sei es auch auf Kosten des formellen Ebenmaßes, das ist es, was Beethoven von seinen Vorgängern, seinem Lehrer Haydn und dem von ihm bewunderten Mozart unter scheidet und trennt. Ein bis dahin nie erlebter großartiger philosophischer Ernst spricht aus dieser Musik. Sie steigt in seelische Tiefen hinab, die erst von der Tonkunst neu erschlossen scheinen. Der zur tonlichen Äußerung drängende Seeleninhalt macht sich alle Mittel dienstbar, erweitert in streng logischer Entwicklung und Ausspannung die formellen Grenzen. Erst jegt scheint die Tonkunst befähigt, alle menschlichen Empfindungen und Leidenschaften auszusprechen: heiligen Ernst, tiefe Leiden und Schmerzen, Naturgefühl, religiöse Einstimmung, Getriebenwerden durch dämonische Gewalten, höchste Lebensfreude, Daseinsjubel bis zu bacchantischem Rasen, derb- und volkshaften Humor, innere Befreiung von Seelennöten und -kämpfen. Diese Ausdrucksgewalt Beethovenscher Tonsprache nimmt bisweilen die Bildhaftigkeit und Deutlichkeit der Wortsprache an; es bemächtigt sich ihrer eine so starke Geistigkeit, daß der unsterbliche Meister sie förmlich erst reden gelehrt hat. Neun Sinfonien, die Oper „Fidelio“, die „Missa Solemnis“, mehrere Ouvertüren und Instrumentalkonzerte verdanken wir seiner genialen Schöpferkraft. Max Reger, geboren 1873 in Brand (Oberpfalz), gestorben 1916 in Leipzig, gehört mit Strauß und Gustav Mahler zu den drei großen zeitgenössischen Meistern, deren Werke die Gegenwart ^hauptsächlich zu ihrem Besig gemacht hat. Im Hinblick auf die außer ordentlich zahlreicher, Tonschöpfungen .Hegers i-t dieser feste Besig allerdings zahlenmäßig nicht so groß zu nennen, denn von den mehr als 150 Werken lebt kaum ein Drittel wirklich im Konzertsaal. Der Schaffensschwerpunkt des Meisters lag in der Kammermusik; auf diesem Gebiet ist der verhältnismäßig größte Teil seiner Werke lebendig. Von den zahlreichen Liedern, Klavier- und Orgelwerken erfreuen sich wenigstens einige steter Beachtung. Von den Chorwerken wird der großartige „100. Psalm“ von leistungsfähigen Chorvereinigungen öfter aufgeführt. Die reinen Orchesterwerke sind bis auf einige Ausnahmen in den Konzert sälen heimisch geworden. Reger, dieser überragende Kompositionstechniker, hat sich die eigentliche Orchesterlechnik erst allmählich, hauptsächlich während seiner Dirigententätigkeit in Meiningen, erobert. Daher gehören seine vollendetsten Schöpfungen den legten Lebens jahren an, und es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser geniale Musiker die Orchester literatur noch wesentlich mehr bereichert hätte, wenn nicht der Tod seinem arbeitsreichen Leben ein allzu frühes Ziel gesegt hätte.