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Das Programm unseres Konzerts umfaßt in kühnem Bogen die durch ein volles Jahrhundert gesteigerten Ausdrucksmöglichkeiten des Sinfonieorchesters — beginnend mit einem Werke Haydns in der von diesem Altmeister be gründeten streng durchgearbeiteten Form der Sonate oder Sinfonie —, dann in Regers Werk alle malerischen Mittel des modernen Orchesters nußend, um in freien Phantasien Bilder des großen Malerdichters Böcklin zu musi kalischer Anschauung zu bringen — die Vortragsfolge beschließend mit jenem gewaltigen Werk Beethovens, das, im Fluge des genialen Meisters frühere Werke und viele seiner späteren überholend, aber gebändigt durch die von Haydn geschaffene Form, den Höhepunkt unseres Konzerts bildet. Haydns Sinfonie strömt eitel Behagen und Freude aus und gehört so ganz dem lichten Rokoko an, dessen Heiterkeit als Ausdruck eines ganzen Zeit alters nicht nur Adel und Fürstenhof, sondern auch urtümliches ländliches Leben erfüllte. I. Die kurze langsame Einleitung gibt schon gemächlich das aufsteigende Thema an, das dann als erstes Hauptthema den schnellen Saß beherrscht. Wenn wir hören, daß sich die Tonfolge zur Abwärtsbewegung verkehrt, haben wir das zweite Thema. Die Durchführung besteht in einem heiteren Wider spiel dieses Auf und Ab. Der dritte Teil ist eine Wiederholung des ersten. Diese Dreiteilung ist ein wesentliches Kennzeichen der klassischen Form. II. Der „schreitende“ Saß ist ein dreiteiliges Lied, das von eigentümlich tickenden Achteltönen begleitet ist, die der Sinfonie den Nebentitel „Die Uhr“ eingebracht haben. Dieses Lied wird in mehrfachen Umwandlungen (Dur, Moll, schnellere Bewegung der Begleittöne usw.) wiederholt. (Variationen.) III. Das Menuett ist ein bewegter Tanz im Dreivierteltakt, in dessen Mitte ein ganz zart eingeleitetes neckisches Trio steht. IV. In dem sehr lebhaften Schlußsaß begegnen wir endlich einem Rondo, das mehrere Male von harmlos gegensäßlichen Zwischenteilen, gegen Ende noch von einer kurzen Fuge unterbrochen wird. Den Beschluß bilden wenige Takte des vollen Orchesters, wieder ein kurzes Auf und Ab, parallel und zugleich dem Zeitmaß nach im Gegensaß auch zur Einleitung der Sinfonie. Bei Reger, dessen Tondichtung man in mehr als einer Beziehung als Vor kriegswerk bezeichnen kann, muß eine Erinnerung an die bekannten Gemälde von Meister Böcklin genügen. I. Wir sehen die Weitabgewandtheit des frommen Einsiedlers, der die In brunst seines Herzens im Geigenspiel ausströmt, bis er sich ganz im mystischen Anschauen himmlischer Gefilde verloren hat. II. Die Phantasie bevölkert das bewegte Meer mit lieblichem oder auch mit groteskem Märchenvolk, das sich neckt und jagt; die Wellen schlummern ein, ein paar Sprißer — und Stille ringsum. III. Zur düsteren Felsinselgrabstätte wird ein Sarg übergeführt. Schwermütig sinken die Töne einer Totenklage abwärts; die verstärkt sich und verklingt am Ende wie ein Hauch. IV. Zügellose Lebenslust tobt sich aus in knappen musikalischen Motiven. Eine kurze Besinnung, und die gestauten Kräfte steigern sich aufs neue zum äußersten Höhepunkt, mit dem sie jäh abbrechen. Auch hier haben wir vier in Gedanken und Zeitmaß gegensäßliche Säße, die aber, ohne thematische Bindung untereinander, Ausdruck freischweifender Genialität sind. Beethovens „Eroica“, 1804, nur zehn Jahre nach dem Haydnschen Werke entstanden, gilt heute noch als das unübertroffene Muster strengen sinfonischen Stils. Inhaltlich ist diese Sinfonie der Ausdruck stärksten seelischen Lebens in einer vom Gang der Geschichte erschütterten Zeit. Die ursprüngliche Wid mung für Napoleon vernichtete Beethoven, als der Korse sich zum Kaiser