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18 „Wem aber Unglück Das Herz zusammenzog, Er sträubt vergebens Sich gegen die Schranken Des ehernen Fadens, Den die doch bittre Schere Nur einmal löst.“ Aber sogleich gedenkt er eines Unglücklichen, Missmutigen, um dessent- willen er eigentlich die Fahrt unternommen. Als der Dichter den Werther geschrieben, um sich wenigstens persönlich von der damals herrschenden Empfindsamkeitskrankheit zu befreien, musste er die grosse Unbequemlichkeit erleben, dass man ihn gerade diesen Gesinnungen günstig hielt. Er musste manchen schriftlichen Andrang erdulden, worunter ihm ein junger Mann j auffiel, welcher schreibselig-beredt und dabei so ernstlich durchdrungen von Missbehagen und selbstischer Qual sich zeigte, dass es unmöglich war, nur irgend eine Persönlichkeit zu denken, wozu diese ,_Seel-Enthüllungen passen möchten. Alle seine wiederholten zu dringlichen Äusserungen waren anziehend und abstossend zugleich, dass endlich, bei einer immer aufgeforderten und wieder gedämpften Teilnahme, die Neugier rege ward, welchen Körper sich ein so wunderlicher Geist gebildet habe? Ich wollte den Jüngling sehen, aber unerkannt, und deshalb hatte ich mich eigentlich auf den Weg begeben. „Tn Dickichtschauer Drangt sich das rauhe Wild.“ Der Reisende gelangt auf die nächsten Bergeshöhen; immer winter- hafter zeigt sich die Landschaft, einsam und öde starrt alles umher, nur flüchtiges Wild deutet auf kümmerlichen Zustand. Nun blickt er über gefrorene Teiche, Seen, auch eine Stadt kommt ihm zu Gesicht. „Und mit den Sperlingen Haben längst die Reichen In ihre Sümpfe sich gesenkt.“ Wer seine Bequemlichkeiten aufopfert, verachtet gern diejenigen, die sich darin behagen. Jäger, Soldaten, mühsam Reisende bedürfen guten Mutes, der sieh leicht zu Übermut steigert. Unser Reisende hat alle Bequemlichkeiten zurückgelassen und verachtet die Städter, deren Zustand er gleichnisweise schmählich herabsetzt. „Leicht ist’s folgen dem Wagen, Den Fortuna führt, Wie der gemächliche Tross Auf gebesserten Wegen Hinter des Fürsten Einzug.“ Der Dichter kehrt wieder zu seiner eigenen günstigen Lebensepoche zurück, ohne sieh irgend ein Verdienst anzumassen, ja, er spricht von den augenblicklichen Glücks vorteilen beinahe mit Geringschätzung. *) 1 Hessing, später Professor in Duisburg.