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ins Zarte. Zuletzt aber gewinnt das Hauptthema wieder die Herrschaft in pompöser Steigerung. Ein duftiger chromatischer Läufer leitet zum Quasi Adagio (fast langsam, ernst), einer süßen Schwärmerei mit gedämpften Streichern. Nur in der Mitte des Satzes unterbricht ein unheimliches Beben der Violinen und Violen und ein pathetisches Rezitativ des Klaviers den Frieden. Im Allegretto vivace (sehr lebhaft) herrscht graziöse Heiterkeit, ein Scherzo, für dessen klangliche Färbung das sonst noch niemals im gleichen Maße verwandte Triangel Bedeutung hat. Ein in kleinen Terzen chromatisch absteigender Gang am Ende verdunkelt die Stimmung und das Allegro animato (erregt, beseelt) setzt zunächst unheimlich spannungs voll ein. Ein mächtiger Posauneneinsatz des ersten Hauptthemas löst endlich das Geheimnis, und das Soloinstrument donnert wieder in seinen schon früher gehörten Oktavenpassagen einher. Im Allegro marziale animato (marschartig, lebendig) treten frühere Themen in pikanter Rhythmisierung auf. In wachsender Beschleunigung und allmählicher Zunahme der Stärke wird die glanzvolle Gipfelung, die das Werk am Ende durch das pompös aufklingende Hauptthema erfährt, wirksam vorbereitet. Die Phantastische Sinfonie von Berlioz (1803—69), ^pisode aus dem Leben eines Künstlers, ist das erste der umfangreichen, in fesselnde Bistrumentalfarben getauchten Programmwerke des Franzosen (1830). Obwohl der nvomponist seine Tongebilde in ihrer Folge genau den Gedanken seiner Textentwürfe entsprechen läßt, sucht er die Satzform auch noch mit dem klassischen Sonaten formschema in Einklang zu halten (Verarbeitung zweier gegensätzlicher Themen). Neu ist bei ihm auch die Verwendung der sogenannten „idöe fixe“, eines Themas, welches immer wiederkehrt, ähnlich dem Wagnerschen Leitmotiv. „Idee fixe“ ist hier das Thema der Geliebten des Künstlers. Das der Sinfonie zugrundeliegende Programm lautet (etwas gekürzt): Ein junger Künstler, liebestoll und lebenssatt, nimmt Opium. Die Dosis des Giftes, zu schwach, um zu töten, bewirkt nur einen tiefen Rausch und eine Reihe von Träumen, in denen die Liebesgeschichte des Künstlers repetiert und zu einem phantastischen, ungeheuer lichen Abschluß weitergeführt wird. 1. Satz: Träumereien — Leidenschaften. Zuerst gedenkt der junge Musiker des beängstigenden Seelenzustandes, der dunklen Sehnsucht, des freudigen Auf wallens ohne besonderen Grund, die er empfand, bevor ihm die Geliebte ' erschienen war; sodann erinnert er sich der heißen Liebe, die sie plötzlich in ihm entzündet, seiner fast wahnsinnigen Herzensangst, seiner eifersüchtigen Wut, seiner wiedererwachenden Liebe, seiner religiösen Tröstungen. 2. Satz: Ein Ballfest Auf einem Ball inmitten des Geräusches eines glänzenden Festes findet er die Geliebte wieder (Deutscher Walzersatz). 3. Satz: Auf dem Lande. An einem Sommerabende auf dem Lande hört der Künstler zwei Schäfer, die abwechselnd den Kuhreigen blasen. Dieses Schäferduett, der Schauplatz, das leise Flüstern der sanft vom Winde bewegten Bäume, einige Gründe zur Hoffnung, alles vereinigt sich, um seinem Herzen eine unendliche B Ruhe wiederzugeben. Da erscheint sie aufs neue; sein Herz stockt, schmerz- “ liehe Ahnungen steigen in ihm auf: „Wenn sie ihm hinterginge!“ Der eine Schäfer nimmt die Melodie wieder auf, der andere antwortet nicht mehr. Sonnenuntergang fernes Rollen des Donners Einsamkeit Stille. 4. Satz: Dem jungen Künstler träumt, er habe seine Geliebte ermordet; er sei zum Tode verdammt und werde zum Richtplatz geführt. Ein bald düsterer und wilder, bald brillanter und feierlicher Marsch begleitet den Zug. 5. Satz: Der junge Künstler glaubt, einem Hexentanz beizuwohnen inmitten grau ¬ siger Gespenster, unter Zauberern und vielgestaltigen Ungeheuern. Seltsame Töne, Ächzen, gellendes Lachen. Die geliebte Melodie taucht wieder auf, aber sie hat ihren edlen, schüchternen Charakter nicht mehr; sie ist zu einer ge meinen, grotesken Tanzweise geworden: sie ist’s, die zur Hexenversammlung kommt. Sie mischt sich unter die höllische Orgie. Sterbegeläute — burleske Parodie des Dies irae. Hexenrundtanz und Dies irae zu gleicher Zeit. Dr. Kreiser.