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Erläuterungen „Programmusik“ ist bestimmt gedeutete Musik. Bei den Tonfolgen soll sich der Hörer etwas Bestimmtes vorstellen, und zwar das, was einst den Komponisten zur Schaffung dieser Töne anregte. Der Gegensatz zur Programmusik ist die deut bare Musik, auch „absolute“ genannt, aus der man sich als Hörer entnehmen kann, was man will, ohne eine bestimmte Vorschrift darüber vom Komponisten zu erhalten. Die drei größten Vertreter der besonders im 19. Jahrhundert auf orchestralem Gebiet gepflegten Gattung sind der Franzose Berlioz, der Ungar Liszt und der Deutsche Richard Strauß. Bei der ernst zu nehmenden Programmusik handelt es sich nicht um musikalische Schilderung äußerer Vorgänge — das fiele in das Ge biet der Tonmalerei — sondern um das Abbild einer Folge von inneren Vorgängen, Gemütszuständen. Don Juan von Richard Strauß. Ein wesentlicher Zug im Charakter Richard Strauß’ (geb. 1864) ist die Diesseitsfreudigkeit. Damit wird es wohl auch Zusammenhängen, daß er den von ihm als Führer der lebenden Tonsetzer erwarteten musikalischen Ausdruck für das Weltleid des vergangenen Jahrzehntes bis heute nicht finden konnte. Don Juan dagegen, das ist ein Thema, an dem sich seine künstlerische Eigenart entflammen konnte. Die leidenschaftlich erregten Seelenzustände Don Juans, des größten Lebensbejahers, in ihren einzelnen Phasen zu verfolgen und zu schildern: vom ersten Aufkeimen einer Liebessehnsucht bis zum Ekel und Überdruß, ist ja auch an sich eine musikalisch dankbare Aufgabe. Strauß’ Don Juan-Tondichtung (ent standen im 24. Lebensjahre des Komponisten) hat mit dem Mozartschen Opernwerk nichts gemein. Sie ist vielmehr durch Lenaus dramatisches Bruchstück Don Juan angeregt. Don Juans glänzende Gestalt steht in ihrer Lebensfülle und zugleich edel- männischen Haltung durch die beiden das Werk eröffnenden Themen mit einem Schlage vor unserem geistigen Auge. Alles Weitere ist Schilderung der seelischen Erlebnisse mit den verschiedensten Frauencharakteren: dem flehenden, zart tändelnden Weibe, der geistig höheren Frau usw. Widerstände gegen sein stürmisches Werben werden stets gebrochen. Einmal scheint sich der Ritter in Koserei und Schwärmerei selbst zu verlieren. Es folgt aber eine Aufraffung zu neuen Siegen (drittes Don Juan-Thema, dionysisch, Waldhörner und Celli im Einklang). Doch auf dem Gipfel der Lebenskraft*: plötzliche Erlahmung. „Ein Blitz aus Höhen hat tödlich meine Lebenskraft gebrochen.“ Das Ende: Übersättigung. Das Klavierkonzert Es-Dur von Liszt. Franz Liszt (1811—86), durch seine Orchesterschöpfungen, wie erwähnt, einer der bedeutendsten Programmusiker, kommt heute mit einem Werke seines anderen Schaffensgebietes, der virtuosen Klaviermusik, zu Gehör. Es ist nicht verwunderlich, wenn er, als der größte Klavierspieler des 19. Jahrhunderts, die von ihm gefundenen Neuerungen der Spieltechnik in seinen Klavierkompositionen mit verwendete. Das bedingte eine Stilwandlung auf dem Gebiete der Klaviermusik. Liszt hat die ein zelnen Sätze seiner Klavierkonzerte durch Gemeinsamkeit ihrer Grundgedanken (Themen) und die Pausenlosigkeit der Aufeinanderfolge -in innige Beziehung zu einander gesetzt. An Stelle der üblichen Schablone tritt die individuelle Form gestaltung: Das Allegro maestoso (majestätische Bewegung) eröffnet ein rassig energisches Orchesterthema. (Hans v. Bülow legte diesem die auf Liszts Gegner abzielenden Spottworte unter: „Ihr versteht ja alle nichts, ha, ha.“) Mit einer wuchtigen Oktavenpassage greift das Soloinstrument ein. Im weiteren Verlaufe biegen ausdrucksvolle, gesangliche Themen des Klaviers und des Orchesters den Charakter