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Als Ludwig van Beethoven 1809 den Auftrag bekam, ei'ne Bühnenmusik zu Goethes „Egmont" zu komponieren, sagte er mit Freuden zu. In übergroßer Bescheiden heit meinte er: „Ich habe ihn bloß aus Liebe zum Dichter geschrieben!“ Die Liebe zu Goethe und zu seinem dramatischen Werk ist aus jeder Zeile, aus jeder Note zu spüren. Die Ouvertüre ist zweifellos das bedeutsamste Stück dieser Bühnenmusik und gilt auch heute noch als eine der populärsten Schöpfungen Ludwig van Beethovens. Leider wurde die Musik nach den ersten Aufführungen durch höfische Intrigen so gut wie totgeschwiegen, und allein E. T. A. Hoffmann erkannte die Größe der Musik und schrieb begeisterte Worte darüber: „Jeder Ton, den der Dichter an schlug, klang in seinem Gemüte, wie auf gleichgestimmter, mitvibrierender Saite wider, und so bildete sich die Musik, die nun wie ein aus strahlenden Tönen ge wobenes, leuchtendes Band das Ganze durchschlingt und verknüpft." Die gleichen Gedanken sprach Beethoven selbst in konzentriertester Form in einem Briefe an Goethe aus: „Wie durch Sie gedacht, gefühlt und in Musik ge geben!" Bei diesem Werk dürfen wir mit gutem Gewissen die 1 Worte des .Dichters mit der Musik gleichsetzen, denn Wort und Musik, Inhalt und Ausdruck sind nicht zu trennen und prägen letzten Endes auch die Form. Und so sind alle Voraussetzungen für das Prädikat „klassisch" gegeben. Die fünfte. Sinfonie, B-Dur, von Franz Schubert wurde 1816 komponiert und im gleichen Jahre zum erstenmal aufgeführt. Das Werk ist eine Art Hausmusik, übertragen auf die kleine Besetzung eines Orchesters mit Streichern, 1 Flöte, 2 Oboen, 2 Fagotten und’2 Hörnern. Schuberts „Fünfte" gehört als Musiziersinfonie mehr zum 18. als zum 19. Jahrhundert. Erster Satz: Keine Einleitung, aber dennoch ein viertaktiger „Anlauf" zum Haupt thema. Und dann läuft alles schulmäßig ab und doch so heiter, beschwingt und gefällig, daß man am liebsten mitmusizieren möchte. Schwingender 6 /s-Takt be stimmt den Ablauf des zweiten Satzes mit seiner Folge A-B-A-B-A und Koda. Schubert singt auf den Instrumenten, schwärmerisch und zugleich volksliedhaft innig. Alle Liebhabermusikanten schätzen diesen Satz. Und doch: wie blüht er auf, wenn er von einem Meisterorchester wie der Dresdner Philharmonie gespielt wird. Ungewöhnlich die Molltonart des Menuetts mit seiner schroffen Melodik. Dafür ist das Trio um so pastoraler gehalten und erinnert ein wenig an Joseph Haydn, während die Tonart g-Moll des Menuetts fast an Mozarts g-Moll-Sinfonie denken läßt. Zufall ? Wer weiß es ? — Auf alle Fälle verbindet hier Franz Schubert die klassische Welt Mozarts mit der Zukunft der Brucknerschen Welt, die 40 Jahre später in Erscheinung treten sollte. Der letzte Satz wird manche Liebhaber der Hausmusik leicht ins Schwitzen bringen, denn er will gespielt sein! Sonatenform mit der klassischen Ordnung der Tonarten, und doch mehr als Klassik: eben Schubert mit allen Vorzügen und Schönheiten seiner romantischen Welt. Das reizvolle Werk wurde von einem Liebhaberorchester im Hause des Burg theatermusikers Otto Hadwig in Wien zum erstenmal gespielt. Richard Strauss komponierte seine sinfonische Dichtung „Till Eulenspiegel" mit 31 Jahren. Sie wurde - nach einem Ausspruch Wilhelm Furtwänglers - „ein Geniestreich, Beethovens würdig!" „Nach alter Schelmenweise — in Rondoform — für großes Orchester gesetzt" steht über der Partitur. Die Erzählung über den Schelmen „Eulenspiegel", der. zugleich Philosoph und Rebell war, ein echter Volks held, wird volksliedhaft schlicht mit dem Thema begonnen: „Es war einmal ein Schalksnarr, der hieß Till Eulenspiegel (erstes Hornmotiv, nachdenklich-tiefsinnig). Das war ein arger Kobold (zweites Eulenspiegelmotiv in der Klarinette, frech und schalkhaft!). Auf dem Topfmarkt beginnt Till seine Reise: Auf zu neuen Streichen! Wartet nur, ihr Duckmäuser! Und schon geht es, hoch zu Pferde, mitten durch die keifenden Marktweiber. Mit Siebenmeilenstiefeln kneift er aus, ver steckt sich in einem Mauseloch und denkt schon wieder an neue Abenteuer. Als Pastor verkleidet, trieft er vor Salbung und Moral (volkstümliche Weise), doch aus der großen Zehe guckt der Schelm hervor. Im Grunde ist er kein schlechter Kerl, und ihn faßt, ob des Spottes mit der Religion, doch ein heimliches Grauen vor dem Ende. Drum schnell etwas anderes: Mit einem schönen Mädchen tauscht Till als Kavalier zarte Höflichkeiten. Sie hat's ihm wirklich angetan. Er wirbt um sie (die Violinen sollen „liebeglühend" spielen!), wird aber nicht erhört: Ein feiner Korb ist auch ein Korb. Till ist wütend. Er schwört, Rache zu nehmen an der ganzen Menschheit. Bald bietet sich Gelegenheit dazu: Gelehrte und Professoren nahen, charakterisiert durch das Motiv der Philister. Nachdem Till diesen Phi listern ein paar ungeheuerliche Thesen aufgestellt hat, überläßt er die Verblüfften ihrem Schicksal. Von weitem schneidet er ihnen eine große Grimasse und pfeift einen Gassenhauer. Doch die Philister rächen sich: Till wird vors Gericht geschleppt. Noch pfeift er vor sich hin. Doch sein Tod wird beschlossen. Hinauf die Leiter. Da baumelt er. Die letzte Zuckung, - und noch einmal erklingt versöhnlich ,Es war einmal' als Epilog. Wenn Till auch tot ist, im Herzen der Menschen lebt er weiter! Wie gut, daß er uns immer wieder das Lachen lehrt!" Die vierte Sinfonie von Johannes Brahms entstand in dem kleinen steiermärkischen Städtchen Mürzzuschlag. Die herbe Landschaft in ihrer verhaltenen Schönheit be eindruckte Brahms so sehr, daß in seiner „Vierten" ein deutlicher Niederschlag zu spüren ist: „Ich fürchte, meine Sinfonie schmeckt nach dem hiesigen Klima — die Kirschen werden hier nicht süß!" (Brief an Hans von Bülow.) Der erste Satz wird ohne Einleitung durch das von Pausen durchsetzte, schlicht erzählende Hauptthema eröffnet, ernst und nachdenklich in der Stimmung, männ lich-herb im Charakter, womit zugleich die Eigenart des Anfangssatzes angegeben wird. Wie in der klassischen Sinfonieform wird dem Anfangsthema ein zweites entgegengestellt, im Einklang aufsteigend, heftig und trotzig, weitergeführt durch eine schöne Cellokantilene. Durchführung und Reprise zeigen die reife handwerk liche Meisterschaft des alten Brahms. Der langsame Satz trägt balladeske Züge, die durch den elegischen Grundton verstärkt werden. Die Tonalität wird von C-Dur und E-Dur umspannt. Aus dem Gegensatz beider Tonarten läßt Brahms