Volltext Seite (XML)
J. S. Bach, Klavierkonzert D-Moll (bearbeitet von F. Busoni). Johann Sebastian Bach (1685—1750) bedeutet einen Markstein in der Musik geschichte, weil er in seinem unendlich umfangreichen Schaffen in einzigartiger Weise die Stilgattungen zweier Zeitalter vereint. Er gehört sowohl der hinter ihm liegenden Periode der Polyphonie an, welcher die Selbständigkeit vieler zugleich erklingender Stimmen als ideelles Ziel vorschwebt, als auch der zu seiner Zeit be ginnenden Periode der Homophonie, die bei der Mehrstimmigkeit einer einzigen Stimme die Vorherrschaft über die anderen erteilt. Bach ist von Hause aus Instrumentalist, weshalb auch die meisten seiner Gesangskompositionen stets etwas Instrumentales an sich tragen, seine Gesangslinien von der größeren Beweg lichkeit der Instrumente (im Vergleich zur menschlichen Stimme) beeinflußt sind. Seine berühmtesten Instrumentalwerke sind für Orgel oder Klavier geschaffen (Wohl temperiertes Klavier). Das heute gespielte Klavierkonzert ist in seinen drei Teilen: Allegro non troppo (nicht zu rasch) — Adagio (langsam) —Allegro (rasch) von Busoni bearbeitet. Busoni (1866—1924), einer der ernstesten Musiker der Neuzeit, hat nicht nur als Pianist und Komponist (Oper: Doktor Faust), sondern auch als Herausgeber einer monumentalen Ausgabe Bach’scher Werke geschicht liche Bedeutung. 25 Jahre hat Busoni an der Bach-Ausgabe gearbeitet. Zu Bach hatte er von frühester Jugend an ein inniges Verhältnis. Es war sein Streben, die Klavier- und Orgelwerke des größten Thomas-Kantors so einzurichten, daß sie, auf den technisch vervollkommneten Tasten-Instrumenten der Gegenwart gespielt, möglichst viel von ihrer Originalwirkung behielten, oder auch, wo es anging, diese noch gesteigert wurde. Robert Schumann, Sinfonie Nr. 1 (B-Dur). Die bleibende Bedeutung des Romantikers Robert Schumann (1810—56) liegt auf dem Gebiete der Liedlyrik und der kleineren Klavierformen. Trotzdem ist auch manches seiner größeren Orchester- und Chorwerke heute noch sehr ge schätzt. Dazu gehören seine 1. und 4. (letzte) Sinfonie. Beide Werke stammen noch aus des Komponisten bester Schaffenszeit, wo an sein späteres schweres Gehirnleiden noch nicht zu denken war. Die B-Dur-Sinfonie (entworfen und skizziert in vier Tagen; Uraufführung 1841) ist das frischeste Orchesterwerk Schu manns. Die Zeile: „Im Tale geht der Frühling auf“, eines Gedichtes von Adolf Böttger, gab dem Meister die Anregung, weshalb er das Werk selbst mehrmals als „Frühlings sinfonie“ bezeichnet hat. Nach einer feierlich versonnenen Einleitung: Andante un poco maestoso (maje stätisch schreitend) wächst mit fröhlichem Aufschwung der Haupteil des ersten Satzes: Allegro molto vivace (sehr lebendig) heraus. Das Hauptthema erklingt im vollen Orchester mit hinreißendem Schwung. Eine stürmische Ueberleitung be reitet den Eintritt des in dunklen Fagott- und Klarinettenfarben erklingenden zweiten Themas, des Gegensatzes, vor. Die Verarbeitung läßt gelegentliche senti mentale Wendungen nicht beherrschend werden, sodaß sonnige Heiterkeit diq^^ Hauptstimmung bleibt. Vogelstimmen, Naturlaute lenken die Gedanken des Hörers^^ mit Leichtigkeit auf den dichterischen Hintergrund der Sinfonie. Der zweite Satz: Larghetto (getragen) ist gebetsartig gehalten. Breit strömt das Hauptthema zuerst in den Violinen dahin. Kleine rhythmische prägnante Zwischensätzchen lassen die romantische Schwärmerei des Hauptthemas nur noch besser erkennen. Der dritte Satz: Scherzo molto vivace (sehr lebhaft und heiter) beginnt mit einem etwas grotesken Humor, wird aber bald sympathischer. Formal bringt Schumann in diesem Satze eine Neuerung, nämlich anstatt nur eines Trioteiles (Gegensätzlicher Abschnitt) gleich zwei. In den Scherzosätzen der Klassiker gibt es immer nur ein Trio. Der Finalsatz: Quasi presto — Allegro animato e grazioso (geradezu schnell, belebt und zierlich) wollte Schumann „Frühlingsabschied“ nennen. Besser war es, daß er es nicht tat, denn es weht wenig Abschiedsstimmung darin, vielmehr überwiegend krafttrotzender Humor, sodaß sich der letzte Satz dem Charakter des ersten auffällig nähert. Dr. Kreiser.