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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE- MUSEUM Dienstag, 10. Januar 1961, 19.30 Uhr, Anrecht D 2. Kammermusikabend der Kammermusikvereinigung der Dresdner Philharmonie Ausführende: Heinz Butowski, Oboe; Friedrich Damm, Klarinette; Günter Siering, Violine; Günther Schubert, Violine; Herbert Schneider, Viola; Erhard Hoppe, Violoncello Fantasie für Oboe, Violine, Viola, Violoncello op. 2 (zum 15. Todestag am 13. September 1960) 5 Sätze für Streichquartett op. 5 Heftig bewegt Sehr langsam Sehr bewegt Sehr langsam In zarter Bewegung Anton von Webern 1883-1945 Benjamin Britten geboren 1913 Alban Berg (zum 25. Todestag am 24. Dezember 1960) 1885—1935 Streichquartett op. 3 Langsam Mäßige Viertel Pause Johannes Brahms Quintett h-Moll op. 115 für Klarinette, 1833—1897 2 Violinen, Viola und Violoncello Allegro Adagio Andantino — Presto non assai „Ich möchte den sehen, der mir nachweisen kann, wo Mozarts Inspiration aufhört und wo seine Technik anfängt.“ Diese Worte Benjamin Brittens sind schon ein Programm seines Schaffensprinzips: das eindeutige Ja zum handwerklichen Kön nen, aber nicht zu solchem als Selbstzweck, sondern als selbstverständliche Voraus setzung, das überzeugend Gestalt werden zu lassen, was aus der Emotion geboren wurde, um wieder in Emotion umzuschlagen. Britten musiziert durchaus in eigener Sprache, die aber ihren Ursprung hat in den vielfältigsten Erscheinungsformen künstlerischer Aussage aus Vergangenheit und Gegenwart und die sich in den aller unterschiedlichsten Gattungen vom Klavierstück bis zur Sinfonie (mit Singstim men) und der Oper aussprechen muß. Ob es die großen Namen der musikalischen Vergangenheit seines Landes sind wie Purcell oder Dowland, ob es das Volkslied seiner Heimat ist, das er mit neuen Sätzen versieht und das seine vokale Diktion mitbestimmt, ob es die italienische Oper des 19. Jahrhunderts, Gustav Mahler, Alban Berg, Dmitri Schostakowitsch (um Extreme anzuführen) sind, die ihm An regungen geben: nirgendwo begegnet man einem bloßen „Übernehmen“, stets läutert sich in Biitten das von außen her Aufgenommene — jedoch ihm Gemäße — zu persönlichster und dadurch unmittelbar wirkender Aussage, die ihm, den 1913 Ge borenen, zur auffallendsten Erscheinung unter den englischen Komponisten unserer Zeit macht. Auch das frühe Quartett für Oboe, Violine, Viola und Violoncello op. 2 aus dem Jahre 1932 spricht eine solche persönliche Spiache. Der englische Oboist Leon Goossens (dem auch Richard Strauß 1945 sein Oboenkonzert zudachte) er spielte dem damals noch Unbekannten sowohl englische als auch europäische Aner kennung. Bei aller Eigenständigkeit der Faktur (Herb-Elegisches des Oboe-Melos gegenüber den rhythmischen Impulsen der Streicher) wird schon damals die kompo sitorische Ökonomie überzeugt haben, die — trotz des Untertitels „Phantasy“ — das scheinbar Improvisatorische in eine organische Fünfgliedrigkeit der Form unter Verschmelzung von Sonaten- und Variationselementen zu binden wußte. Nicht nur im vorliegenden Werk, sondern auch in all seinen späteren Arbeiten führt das Zu einander melodischer Linien zu komplizierten akkordischen Gebilden, die aber im Zuge einer nie aufgegebenen Disposition der tonartlichen Zusammenhänge doch von funktionaler Bedeutung bleiben, wodurch die Orientierungsmöglichkeit seitens des Hörers auch vom Harmonischen her gewährleistet bleibt, desselben Hörers, den Britten belehrt: „Werft nicht gleich die Flinte ins Korn, wenn ihr ein neues Werk zum erstenmal hört . . . Gebt euch beim Hören keinen Wach-Träumen hin. Hört ernsthaft zu, wenn ihr glaubt, daß es sich um Musik handelt, die euch eines Tages etwas bedeuten wird . . . Die Melodie, die wir in uns aufnehmen . . ., der Rhythmus, der uns mitreißt, die Harmonien, die uns . . . faszinieren: das alles . . . sind Dinge, die ein guter Komponist euch bietet. Der gute Zuhörer ist bereit, sie als solche auf zunehmen.“ Ungleich schwieriger ist es, der Eigenständigkeit einer Tonsprache zu folgen, wie sie Alban Berg in seinem Streichquartett op. 3 und Anton von Webern in den Fünf Sätzen für Streichquartett op. 5 sprechen. Beide gehören unmittelbar dem Wiener Kreis um Arnold Schönberg (1874—1951) an, der den Weg von der aus-