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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Dienstag, 16. Februar 1960, 19.30 Uhr Mittwoch, 17. Februar 1960, 19.30 Uhr 7. Außerordentliches Konzert DIRIGENT Siegfried Geißler SOLIST Sergej Dorenski, Moskau (Klavier) Sinfonie D-Dur Nr. 101 („Die Uhr“) Menuetto Finale - Vivace Konzert für Klavier und Orchester C-Dur, op. 15 Adagio - Presto Andante Joseph Haydn 1732 —1809 Ludwig van Beethoven 1770—1827 Allegro con brio Largo Rondo - Allegro PAUSE Sergej W. Rachmaninow 1873 —1943 Rhapsodie nach einem Thema von Paganini, op. 43, für Klavier und Orchester JOSEPH HAYDN Sinfonie Nr. ioi, D-Dur, „Die Uhr“ Insgesamt 104 Sinfonien stammen aus der Feder Haydns (bei weiteren 30 ist die Echtheit umstritten). Mozart dagegen schrieb 53 Sinfonien und Beethoven „nur“ neun. Diese Gegen überstellung veranschaulicht deutlich, wie sich innerhalb jener Periode, die als „Wiener Klassik“ bezeichnet wird, der Übergang vom „Amtskomponisten“ zum freischaffenden Künstler vollzogen hat. Haydn stand — wie es im 18.Jahrhundert noch allgemein üblich war — fast sein ganzes Leben hindurch in fürstlichen Diensten. Er war von 1759 bis 1761 Kapellmeister des Grafen Morzin in Böhmen und danach zunächst zweiter, später erster Hofkapellmeister des Fürsten Esterhazy in Eisenstadt. Neben der Leitung der Hofkapelle oblag ihm die Versorgung des Orchesters mit Sinfonien und anderen Kompositionen. Anders Mozart: der Dienst beim Erzbischof von Salzburg wurde ihm immer unerträglicher, und im Jahre 1781 ließ er sich schließlich als freier Künstler in Wien nieder. Beethoven hat die Fesseln des feudalen Dienstes niemals kennengelernt. Frei und ungebunden konnte er ausschließlich seinem Schaffen leben. Seine Sinfonien entstanden aus innerster Notwendig keit und nicht im Dienste eines feudalen Brotherrn wie die Mehrheit der Haydnschen Werke. Der Übergang von der Gelegenheitskomposition zum individuellen Kunstwerk läßt sich auch innerhalb des sinfonischen Schaffens von Haydn verfolgen. Wenn auch seine Sinfonien Auftragswerke sind, so ist es doch wohl kein Zufall, daß Haydn mit zunehmendem Alter immer weniger Sinfonien schrieb. Entstanden zwischen 1759 und 1770 allein 40 Sin fonien, so waren es in den siebziger Jahren nur 31 und zwischen 1780 und 1790 nur noch 21 sinfonische Werke. Und im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts komponierte Haydn nicht mehr als 12 Sinfonien. Je geringer die Zahl der Kompositionen aber wurde, desto größer wurden Eigengewicht und Bedeutung der einzelnen Sinfonien. Während Haydns frühe Sinfonien noch häufig unpersönlich klingen und ganz im Geiste der Mannheimer und älteren Wiener Schule gehalten sind, macht sich in den Sinfonien der siebziger Jahre unter dem Einfluß des „Sturm und Drang“ eine starke Individualisierung bemerkbar. Haydn bevorzugt in dieser Zeit ungewöhnliche Tonarten (c-Moll, e-Moll, f-Moll, fis-Moll, H-Dur), große Intervalle und kraftvolle Unisonoanfänge. Auch in der Empfindungstiefe der langsamen Sätze und in der Erweiterung des Instrumentariums zeigt sich ein gesteigertes Ausdrucksbedürfnis. Die thematische Arbeit, die Haydn in seinen Streichquartetten op. 33 (1781) zum ersten Male konsequent anwendet, findet allmählich auch in seiner Sinfonik Eingang. In der Melodiebildung ist in den achtziger Jahren der Einfluß Mozarts spürbar. Höhepunkt jener Schaffensperiode sind die sechs Pariser Sinfonien. Mit den Londoner Sinfonien, zu denen auch die Sinfonie in D-Dur Nr. 101 gehört, hat Haydn sein sinfonisches Schaffen gekrönt. Er schrieb diese Werke für die Londoner Salomon- Konzerte, die er in den Jahren 1791 und 1794 als Gast leitete. Jede einzelne dieser zwölf Sinfonien ist ein eigenständiges, unverwechselbares Individuum, ein Meisterwerk. Schon die musikalische Sprache der langsamen Einleitung ist in diesen Sinfonien ungewöhn lich. Ein düsteres Adagio in d-Moll eröffnet die Sinfonie Nr. 101. Im sich unmittelbar anschließenden Presto bestimmen zwei heitere Themen das musikalische Geschehen, während auf die Durchführung Schatten der dunklen Adagio-Einleitung fallen. Die thema tische Arbeit meistert Haydn — wie in allen Londoner Sinfonien — in höchster Vollendung: das gesamte melodische Material wird aus den motivischen Bestandteilen der Themen gewonnen. In der Gleichberechtigung der einzelnen Stimmen ist gegenüber früheren Werken dieser Gattung ein großer Fortschritt zu erkennen. Die Vorherrschaft der Streicher ist gebrochen. Die Bläser verselbständigen sich und dienen nicht mehr ausschließlich der Verstärkung. Den gleichmäßig pendelnden Begleitfiguren im Andante verdankt die D-Dur-Sinfonie wohl ihren Beinamen „Die Uhr“. Das Hauptthema dieses zweiten Satzes, das — unterbrochen von kontrastreichen Zwischenspielen — mit kleinen Veränderungen mehrmals wiederholt wir atmet stille Heiterkeit: Auch die Menuette der Londoner Sinfonien tragen ein neues ^Gesicht. Waren die ent sprechenden Sätze der frühen Sinfonien typisch höfische Tanzsätze voll zierlicher Galan terie, so tendieren sie nun zum freien Charakterstück, zum Scherzo. Die kräftig-derbe, lebensvolle Musik dieser Sätze ist eng mit der Volksmusik verbunden. Auch in dem Menuett der Sinfonie Nr. 101 ist die Nähe des Volkstanzes deutlich spürbar. Seine mehrfach wieder kehrenden Synkopen lassen sich mit dem Geist des ruhig dahinfließenden höfischen Menuetts nicht mehr vereinbaren. In der Allgemeinen Musikalischen Zeitung schrieb man im Jahre 1799 : „Man würde sich irren, diese Stücke nach der Theorie der eigentlichen Tanz menuette kritisieren zu wollen: sie sind vielmehr eine ganz eigene Gattung.“ Das den Schlußsatz der D-Dur-Sinfonie eröffnende Thema ist für seinen gesamten Ablauf bestimmend: Auch die Zwischensätze des in Rondoform angelegten Finales leben von motivischen Bestandteilen des Hauptgedankens. Dieses geistvolle und lebendige Musizieren ist von belanglosen „Kehraus-Sätzen“ früherer Sinfonien weit entfernt. Es steht mit Haydns Lebensweg in engem Zusammenhang, daß er erst in seinen Spätwerken die höchste Vollendung seines sinfonischen Stils erreichte. Als Haydn die Londoner Sinfo nien schrieb, war er aller feudalen Fesseln ledig. Sein Brotherr, der Fürst Esterhazy, war im Jahre 1790 gestorben. Haydn blieb zwar Kapellmeister, aber außer Dienst. Er mußte nun nicht mehr für eine ihm wesensfremde Hofgesellschaft schreiben, die sich durch seine Kompositionen nur unterhalten lassen wollte. Als bürgerlicher Künstler, der Haydn zeit seines Lebens war, konnte er sich jetzt an das Publikum seines Standes wenden und dessen Gefühle und Empfindungen, die auch seine eigenen waren, in seinen Werken zum Ausdruck bringen. LUDWIG VAN BEETHOVEN 1. Klavierkonzert in C-Dur, op. 15 Mit dem Klavier war Beethoven seit seiner frühesten Jugend vertraut. Schon bald nach seiner Übersiedelung nach Wien (1792) wurde er in den Salons der kunstliebenden Hoch aristokratie als Klaviervirtuose vergöttert. Er galt als bedeutendster Pianist und Improvi sator nach Mozarts Tod. Beethovens Klavierwerke waren es denn auch, mit denen er zuerst in neue Klangregionen vorstieß (zum Beispiel mit der Klaviersonate, op. 13, der „Pathetique“). In Beethovens ersten Klavierkonzerten in C-Dur und B-Dur überwiegt noch die konzer tierende Spielfreudigkeit. Erst mit seinem dritten Klavierkonzert in c-Moll überwand der Meister das alte Virtuosenkonzert und erschloß dieser Gattung neue Wege. Die beiden letzten Klavierkonzerte in G-Dur und Es-Dur sind in ihrer innigen Verschmelzung konzer tierender und sinfonischer Elemente Höhepunkt dieser Entwicklung. Das C-Dur-Konzert ist eigentlich Beethovens zweites Klavierkonzert; denn er schrieb das heute die Nummer zwei tragende B-Dur-Konzert zuerst. Über die Entstehung des C-Dur- Konzertes berichtet der Jugendfreund des Komponisten, Wegeier: „Erst am Nachmittag des zweiten Tages vor der Aufführung seines ersten Konzertes schrieb Beethoven das Rondo,