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das vierte Klavierkonzert, die italienische Gesangsszene „Ah perfido“, das „Gloria“ und „Sanctus“ aus der D-Dur Messe, eine freie, von Beethoven selbst ausgeführte Klavier improvisation und zum Abschluß die Chorfantasie! Vier Stunden dauerte dieses in der ganzen Musikgeschichte wohl einmalige Konzert, das in einem ungeheizten und schlecht besuchten Saal stattfand. Die Skizzen zur fünften Sinfonie reichen bis in die Jahre 1801/02 zurück. Aber erst nach Vollendung der dritten Sinfonie reifte in Beethoven der Plan, eine neue heroische Sinfonie zu schreiben. Vier Jahre lang arbeitete der Tondichter an dem gewaltigen Werk, das er spätestens im Februar 1808 vollendete, vier Jahre rang er um seine Gestaltung und schuf während dieses Zeitraumes zudem eine Fülle großer und bedeutender Kompositionen: die beiden ersten Fassungen der Oper „Fidelio“, die vierte und sechste Sinfonie, das vierte Klavierkonzert und das Tripelkonzert für Violine, Violoncello und Klavier, die „Rasu- mowski“-Quartette, die „Waldsteinsonate“ und die „Appassionata“. Die fünfte Sinfonie ist unter dem Namen „Schicksalssinfonie“ bekannt. Diese Bezeichnung geht auf einen Ausspruch des Komponisten zurück. „So klopft das Schicksal an die Pforte“ soll Beethoven nach dem Bericht Schindlers über das Anfangsmotiv der Sinfonie gesagt haben. Unter „Schicksal“ verstand Beethoven kein unabwendbares Faktum, dem sich der Mensch bedingungslos zu unterwerfen hat. Sein Schicksälsbegriff kannte keine blinde Er gebenheit. Das beweisen nicht nur die bekannten Worte Beethovens über das furchtbare Los seiner Ertaubung („Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht“), sondern das bekundet auch seine fünfte Sinfonie. Bei der Betrachtung des Werkes dürfen die unmittelbaren politischen Ereignisse, an denen Beethoven stets regen Anteil nahm, nicht außer acht gelassen werden. Die Niederlagen von Jena und Auerstädt, die Schlacht bei Austerlitz, die Besetzung Wiens und der Beginn der Befreiungsbewegung gegen die verhaßte napoleonische Unterdrückung fallen in die Zeit, in der die Sinfonie entstand. Es ist durchaus naheliegend, daß diese Geschehnisse auf Beet hovens Werk Einfluß gewannen. Die Sinfonie beginnt mit dem unerbittlich pochenden „Schicksalsmotiv“, das Kern und wesentlicher Baustein des ersten Satzes ist und auch auf die folgenden Sätze übergreift: Wie Beethoven aus dieser einfachen, viertönigen Keimzelle einen so gewaltigen sinfonischen Satz entwickelt, ist Meisterschaft in höchster Vollendung. Die elementare Kraft dieses Mo tivs läßt das zweite Thema, das leise und hoffnungsvoll in den Violinen aufklingt, kaum zur Geltung kommen. Das „Schicksalsmotiv“ beherrscht den erbitterten, verzweifelten Kampf, der sich in der Durchführung verschärft, aber noch nicht entschieden wird. Eine schlichte, liedhafte As-Dur-Weise der Bratschen und Violoncelli eröffnet den zweiten Satz (Andante con moto): /• dtlct Dann stimmen Klarinetten und Fagotte, ebenfalls in As-Dur, eine marschartige Melodie an. Nach C-Dur gerückt, offenbart sie im Glanz der Trompeten, Hörner und Oboen Zu versicht und Siegesgewißheit und weist somit auf das Finale hin: Beide Themen werden im Verlaufe des Satzes variiert. Mehrmals erklingt dabei ein pochen des Motiv, das an das Kernmotiv des ersten Satzes erinnert. Der dritte Satz heißt bezeichnenderweise nicht „Scherzo“, sondern trägt nur die Tempo bezeichnung „Allegro“. Statt ausgelassener Fröhlichkeit herrschen dunkle Kräfte und Fin sternis. Im energischen Ruf der Hörner, der zur Entscheidung des Kampfes zu drängen scheint, verbirgt sich das Hauptmotiv des ersten Satzes. Polternder, grimmiger Humor treibt in dem fugierten Mittelteil, eine Art Trio, sein Spiel. Nachdem sich — wie Berlioz sagte — der Lärm seiner gewaltigen Läufe mehr und mehr gelegt hat, tritt das düster schleichende Thema des Satzbeginns wieder in Erscheinung. Beethoven bringt jetzt aber keine Wiederholung des ersten Teiles, sondern läßt die Themen wie schattenhafte Traum gebilde vor überziehen. Über einem riesigen Orgelpunkt von fünfzig Takten steigt — an fangs noch zögernd, dann immer drängender — die Überleitung zum Finale auf, um sich auf ihrem Höhepunkt jubelnd in leuchtendes C-Dur zu stürzen. Der Schlußakkord des dritten wird zum Anfang des vierten Satzes. Noch enger werden beide Sätze durch die Wiederholung des mit dem „Schicksalsmotiv“ verwandten energischen Rufes aus dem dritten Satz am Ende der Durchführung des Finales verbunden. Das triumphierende Hauptthema des Schlußsatzes, das wie seine übrigen Themen denkbar einfach ist, bringt in strahlendem C-Dur die Lösung aller Kämpfe und Konflikte: Das Orchester wird im letzten Satz durch Pikkoloflöte, drei Posaunen und Kontrafagott verstärkt. Das ist, gemessen an den gewaltigen, elementaren Klangwirkungen des Satzes, (nicht viel. „Das ist sehr groß, ganz toll, man möchte fürchten, das Haus fiele ein, und wenn das nun alle Menschen zusammen spielen!“ rief Goethe begeistert aus, nachdem ihm der junge Mendelssohn die Sinfonie am Klavier vorgespielt hatte. Und der französische Dich ter und Musikwissenschaftler Romain Rolland schrieb angesichts dieser Klangwirkungen: „Beethoven war groß genug, dem neuen Jahrhundert, das mit Revolutionen und welt geschichtlichen Schlachten die Herrschaft der Masse einleitete, die ersten bis heute unver gleichlichen Proben eines neuen Monumentalstils zu geben, an Umfang, an Atem und Ge sichten einer tausendköpfigen Volksmenge gemäß.“ Renate Jahn Li teraturhin weise Bekker: Ludwig van Beethoven Schönewolf: Beethoven in der Zeitenwende