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LUDWIG VAN BEETHOVEN - Werke aus den Jahren 1801 bis 1808 Entscheidende Ereignisse in Beethovens Leben und Schaffen fallen in jene Jahre. 1802 ist das Jahr des Heiligenstädter Testaments; die Unheilbarkeit seines Gehörleidens wird dem Meister zur furchtbaren Gewißheit. Fast trieb ihn die Verzweiflung zu dem Entschluß, sein Leben ,,selbst zu endigen“, doch da überwand Beethoven dank seiner gewaltigen Ener gie und seines starken Lebenswillens den Kampf mit dem ,,harten Schicksal“. ,,Es gibt Perioden im menschlichen Leben, die wollen überstanden sein“, kann er rückblickend im Jahr darauf äußern. Während dieser Zeit bricht auch eine neue Periode in Beethovens Schaffen an. „Ich bin nur wenig zufrieden mit meinen bisherigen Arbeiten: von heute an will ich einen neuen Weg einschlagen“, sagte Beethoven nach dem Bericht Czernys um das Jahr 1803. Das erste Werk dieses „neuen Weges“, der sich schon in früheren Kompositionen (in den Streichquartetten op. 18, den Klaviersonaten op. 13, 26 und 31, in den „Prometheus“-Variationen und ande rem) ankündigt, ist die dritte Sinfonie, die „Eroica“. „Von nun an enthielt seine Musik die großen Botschaften an die Menschheit“, schreibt Karl Schönewolf. „Von nun an gestaltete er die hohen, humanistischen Ideen, um deren Verwirklichung von den Besten seiner Zeit gekämpft worden war, mit bewußter Absicht in seinen monumentalen musikalischen Schöpfungen programmatisch 1 . Während Verräter dabei waren, diese Ideen unwirksam zu machen, ließ er sie aus der Erkenntnis des neuen Bewußtsein in hellstem Lichte auf flammen, um vorauseilend und bessernd auf die Menschen einzuwirken.“ Die Musik zu dem Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“ entstand noch vor diesem Zeitpunkt. Salvatore Vigano, ein italienischer Ballettmeister, der die Tanzkunst aus ihrer widernatürlichen Erstarrung befreien und sie echten und tieferen Ausdruckszwecken dienst bar machen wollte, hatte das Libretto verfaßt. Beethoven erhielt den Auftrag, die Musik zu diesem Ballett zu schreiben. Im März 1801 wurde es im Wiener Kärntnertortheater zum ersten Male aufgeführt. Die Prometheus-Idee, die schon den jungen Goethe begeisterte, beschäftigte Beethoven sehr eingehend. Ein im Finale des Ballettes vorkommendes Thema, das aus einem seiner Kontretänze stammt, verwendete er noch zweimal: in den „Prometheus“-Variationen op.35 und im letzten Satz der dritten Sinfonie. Heute wird von den sechzehn Stücken der Ballett musik nur noch die Ouvertüre gespielt. Eine Wiederbelebung des gesamten Werkes steht noch aus. Die Ouvertüre besteht aus einer kurzen langsamen Einleitung und einem Allegro-Hauptteii' in Form eines Sonatensatzes. Deutlich macht sich die zeitliche Nachbarschaft zur ersten und zweiten Sinfonie bemerkbar: wie die erste Sinfonie, so beginnt auch die Ouvertüre ein leitend mit spannungsgeladenen Akkordschlägen, um im Allegro in eine freudig bewegte C-Dur-Stimmung überzugehen, während das Thema der langsamen Einleitung mit dem Hauptthema des zweiten Satzes der zweiten Sinfonie verwandt ist. Das Konzert für Violine und Orchester in D-Dur vollendete Beethoven im Jahre 1806. Wie in der um die gleiche Zeit entstandenen vierten Sinfonie in B-Dur und dem vierten Klavierkonzert in G-Dur treten auch in diesem Werk kraftvoll-energische Züge und kämpferische Auseinandersetzungen zugunsten lyrisch-versonnener, glückhafter Stim mungen in den Hintergrund. Es ist Beethovens einziges Violinkonzert und gehört zum Voll kommensten, was auf diesem Gebiet geschaffen wurde. Das Werk ist sinfonisch angelegt und ist weit entfernt von spielerischer Virtuosität. Trei bende Kraft der sinfonischen Entwicklung ist das Orchester. Im ersten Satz, der in Sonaten form angelegt ist, übernimmt es die gesamte Themenaufstellung. Ein leise pochendes Motiv in den Pauken, das den ganzen ersten Satz als Leitgedanke durchzieht, eröffnet das Konzert und löst das berückend schöne, sangliche Hauptthema aus: Na.ch einem energischen Zwischenteil folgt das in seinem Charakter mit dem ersten ver wandte lyrische zweite Thema über dem Untergrund des pochenden Anfangsmotivs: Eine dritte, kraftvoll emporsteigende Melodie beschließt die Orchestereinleitung. Erst jetzt greift die Solovioline ein und leitet mit einer kadenzartigen Passage zum Hauptteil des Sat zes, der breitangelegten Durchführung, über. Hier werden die thematischen Gedanken, die meist im Orchester erklingen, mehr aneinandergereiht als verarbeitet. Im Dialog mit dem Orchester entfaltet die Solovioline ihren beseelten, koloraturreichen Gesang, die Themen des Satzes auf vielfache Weise umspielend und ergänzend. Das pochende Anfangsmotiv ist in der Durchführung von großer Bedeutung und leitet schließlich zur Reprise über. Eine besinnlich-lyrische Melodie in den gedämpften Streichern eröffnet den Mittelsatz (Larghetto) und bestimmt seinen Charakter. Das Soloinstrument umspielt und kommen tiert den thematischen Gedanken, um ihn nach einer ausdrucksvollen Kantilene schließlich selbst variierend aufzugreifen. Ein energischer Aufruf der Streicher macht der friedvollen Stimmung ein Ende. Die sich anschließende Kadenz der Solovioline mündet unmittelbar in den freudig bewegten Schlußsatz (Rondo, Allegro), dessen volkstümliches, tänzerisches Hauptthema vom Soloinstrument angestimmt wird: Bei seiner ersten öffentlichen Aufführung durch den mit Beethoven befreundeten Geiger Clement am 25. Dezember 1806 fand das Konzert beim Publikum begeisterte Aufnahme. Viele „Kenner“ und Fachleute verstanden das wundervolle Werk jedoch nicht. Man be hauptete sogar allen Ernstes, es enthalte wohl „manche Schönheit, sein Zusammenhang er scheine jedoch oft zerrissen und die unendlichen Wiederholungen einiger gemeiner Stellen könnten recht ermüdend wirken“. Fast auf den Tag genau zwei Jahre später, am 22. Dezember 1808, fand die Uraufführung der fünften Sinfonie in c-Moll statt. Beethoven hatte für diesen Tag, an dem er seine vierte eigene „Akademie“ (so wurden die Konzerte damals in Wien genannt) gab, ein gigan tisches Programm zusammengestellt. Es enthielt neben der fünften die sechste Sinfonie,