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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H YG I E N E - M U S E U M ZUR EINFÜHRUNG NATA LIA KARP Sonnabend, 21. Mai 1960, 19.30 Uhr Sonntag, 22. Mai 1960, 19.30 Uhr IO.ZYKI.USKONZERT „Musik von großen Meistern — um große Meister“ MOZART — BEETHOVEN Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solistin: Natalia Karp, London (Klavier) Frank Martin geb.1890 Max Reger 1873—1916 Ouvertüre en Hommage ä Mozart Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart, op. 132 Frederic Chopin 1810—1849 Variationen über „Lä ci darem la mano“ für Klavier und O ehester op. 2 PAUSE Ludwig van Beethoven 1770—1827 Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37 Allegro con brio Largo Rondo, Allegro Ludwig van Beethoven Ouvertüre „Leonore“ Nr. 3, op. 72a FRANK MARTIN, 1890 in Genf geboren, trat mit ungefähr zwanzig Jahren mit einer größeren Komposition an die Öffentlichkeit. Einen langen Weg des stilistischen Werdens und künstlerischen Reifens hat dieser Komponist inzwischen zurückgelegt, bis ein inter nationales Publikum auf ihn hörte — die Schweiz wußte ihn schon lange zu schätzen. Im Alter von vierzig Jahren begann er, sich mit Arnold Schönberg auseinanderzusetzen. Er schloß sich nicht für das Wesen der expressionistischen Musik auf, machte sich aber das Schönbergsche Zwölftonsystem (das alle zwölf Halbtöne der Tonleiter gleichwertig verwendet) zu eigen, das er nach langen Versuchen heute in einer völlig eignen Abwandlung beherrscht. Das Eigene ist der Reichtum an emotionalen Kräften, die Frucht langen Reifens. In seiner Ouvertüre en Hommage ä Mozart (Ouvertüre als Huldigung an Mozart), im Jahre 1956 entstanden, ist das Material mozartisch-graziös und gesangvoll, die Verarbeitung dagegen eigenwillig-neutönerisch. Die Form der Ouvertüre entspricht ganz der klassischen Gestalt: einem Allegro giocoso (lustigen Allegro) folgt ein Andante molto moderato (mäßig lang sam), ein Tempo primo (wieder das Anfangsthema) beschließt das Werk. MAX REGER (1873—1916) setzte dem unvergänglichen Salzburger in seinen Variationen und Fuge über einThema von Mozart einleuchtendes Denkmal, das selbst die krassesten Regergegner anerkennen, ganz licht und zart (für Regersche Verhältnisse) instrumentiert. Nur acht Variationen schrieb Reger über das einfache A-Dur-Thema, dessen melancho lischer Sechsachtelrhythmus Mozart selbst bereits in seiner Klaviersonate zu einer Kette hinreißender Veränderungen anregte. Das Thema, im Wechsel zwischen Holzbläsern und geteilten Streichern, setzt sogleich ein. Die erste Variation bringt das Thema wörtlich in den Holzbläsern, umgeben von weichen, kontrapunktierenden Umspielungen der Streicher. Im herben F-Dur zerpflückt die zweite Veränderung das Thema, die Regersche Harmonik beginnt eigene Wege zu gehen. Noch selbständiger wandelt die dritte Variation das Metrum zu einem chromatischen a-Moll-Zweivierteltakt um. Der gleiche Rhythmus, nur durch gestoßene Sechzehntel noch eiliger gestaltet, beherrscht die vierte Variation. Auch die fünfte — Presto im Sechsachteltakt — führt die Steigerung in aufgelösten fliegenden Motivteilchen fort. In weichem D-Dur kehrt bei der sechsten Veränderung die Anfangsstimmung zu rück; die siebente — Andante grazioso — löst jenen Gedanken in breit dahinfließendem F-Dur auf. Die achte Variation endlich bedient sich des Begriffs der „freien Veränderung“, alles ist freie, großzügige Phantasie auf einer nur gefühlten, kaum mehr bewußten Grund lage. Mit sicherem Stilgefühl führt die Schlußfuge diese Phantasie fort: Die Fuge ist nicht gewaltig und pompös, wie das Finale der Regerschen Hiller-Variationen, sondern alles atmet schlichte, echte Freude, sagt ehrlich Ja zum Dasein. Am Schluß klingt von den Trom peten und Hörnern nochmals das Mozart-Thema hinein . . . Der dritte und älteste Komponist unseres Programmes, der sich vor dem Genius Mozart verneigt, ist Frederic Francois CHOPIN, der große polnische Klaviermeister, mit seinen Variationen über Lä ci darem la mano (Reich’ mir die Hand mein Leben) op. 2 aus Mozarts „Don Giovanni“ (Don Juan). Das Entstehungsjahr des Werkes wird von dem pol nischen Romanbiographen Jaroslaw Iwaszkiewicz als 1827 „mit einem Sternchen“ ange geben — man weiß die Entstehungszeit nicht genau. Jedenfalls ist es in den Jugendjahren Chopins (geb. 1810) geschrieben. Interessant ist das Stück — abgesehen von seiner piani- stischen Berühmtheit — für uns darum, daß Robert Schumann das Erscheinen dieses Werkes des ihm persönlich noch unbekannten Chopin mit dem berühmt gewordenen Wort be grüßte: „Hut ab, ihr Herren, ein Genie!“ Schumann läßt seinem Entzücken über den Ro mantiker Chopin freien Lauf, und wie ein Stück von E. T. A. Hoffmann mutet uns das fin gierte Gespräch zwischen den „Davidsbündlern“ Florestan und Eusebius an: „Florestan, der seit einiger Zeit keine Wohnung hat, flog durch die mondhelle Gasse meinem (Eusebius’) Hause zu. Um Mitternacht fand ich ihn in meiner Stube auf dem Sofa liegend und die Augen geschlossen. .Chopins Variationen', begann er wie im Traume, .gehen mir noch im Kopfe um: gewiß', fuhr er fort, ,ist das Ganze dramatisch und hinreichend Chopinisch; die Ein leitung, so abgeschlossen sie in sich ist — kannst du dich auf Leporellos (Don Juans Diener) Terzensprünge besinnen? —, scheint mir am wenigsten zum Ganzen zu passen; aber das