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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM ZUR EINFÜHRUNG Sonnabend, 9. Januar 1960, 19.30 Uhr, Anrecht A 1 Sonntag, 10. Januar 1960, 19.30 Uhr, Anrecht A 2 3. Philharmonisches Konzert Dirigent: Prof. Heinz Bongar tz Solist: Prof. Gerhard Puchelt, Berlin (Klavier) Bela Bartök: Musik aus der Pantomime issi 1.14, jj er wunderbare Mandarin“, op. 19 Johannes Brahms: 1. Konzert für Klavier und Orchester 1833 - ,8 ’ 7 d-Moll, op. 15 Maestoso Adagio Rondo: Allegro non troppo Pause Robert Schumann: 1. Sinfonie B-Dur, op. 38 1810—1856 (Frühlingssinfonie) Andante un poco maestoso — Allegro molto vivace (■■■ Larghetto Scherzo: Molto vivace Allegro animato e grazioso Gerhard Puchelt studierte von KJ3 1 bis x 935 tn Berlin. Mit dem Schumann-Konzert 1945, das er als Solist unter den Berliner Philharmonikern spielte, begannen seine entscheidenden Erfolge. Er konzentrierte sich nunmehr ganz auf seine Solistenlauf bahn, die ihm mit den bedeutendsten deutschen Dirigenten zusammenbrachte. Seine Konzertreisen führten ihn in die Schweiz, nach Oesterreich, und 1954 wurde er für eine große Tournee nach Südamerika verpflichtet. Begeistert wurde er in der Sowjet union, in Finnland und Rumänien aufgenommen. Seit 1949 ist er Professor an der Hochschule für Musik Berlin-Charlottenburg. 195 1 wurde ihm der Musikpreis der Stadt Berlin verliehen. Bela Bartök schuf nur drei Werke für die Bühne: 1911 die Oper „Herzog Blaubarts Burg“ als Opus 11, in den Jahren 1914 bis 1916 das Tanzspiel „Der holzgeschnitzte Prinz“ als Opus 13 — beide nach einem Text von Bela Balasz — und 1918 1919 die Pantomime ,.Der wunderbare Mandarin“ als Opus 19 nach einem Text von Melchior Lengyel. Alle drei Werke sind seltsamerweise einaktig. Die Pantomime vom wunderbaren Mandarin wurde in Bartöks Heimat erst nach rund 30 Jahren zur Aufführung freigegeben; es kam nicht zur Uraufführung, ein weiterer Ver such im Jahre 1931 wurde ebenfalls unterdrückt. Zehn Jahre später war es die Kirche, die sich gegen eine Aufführung wandte. Erst nach dem zweiten Weltkrieg durfte die Panto mime in Ungarn aufgeführt werden. Seitdem steht sie auf dem Spielplan und wird laufend aufgeführt: „Das Stück ist von Anfang bis Ende so aufwühlend und überwältigend, daß ich kein anderes Ballett wüßte, was das Publikum derart faszinierte. Wer es gesehen hat, zittert noch nach der Aufführung vor Erregung.“ Diese Worte schrieb der Budapester Bühnenbildner Gustav Oläh. Die deutsche Uraufführung fand 1926 in Köln statt. Das Publikum zischte. Inzwischen hat die Pantomime den Weg durch Europa genommen: Keiner zischt mehr, keiner pfeift, und man spricht von Bartök so, wie man von Richard Strauss spricht. Außer einer Bearbeitung für Klavier zu vier Händen schuf Bartök nach der Musik der Pantomime noch eine Suite für Orchester (1928 urauf geführt), die sich bald die Konzertsäle der Welt eroberte. Sie erklingt heute abend in Dresden. Zum Inhalt der Pantomime: Zum erstenmal in ihrem Leben trifft eine Straßendirne, die von drei Vagabunden als „Lockvogel“ für reiche Männer mißbraucht wird, ein mensch liches Wesen, das sie wirklich begehrt und liebt. Der Mann, ein Mandarin, geht daran zugrunde. Aber sein Begehren ist stärker als der Tod: der Mandarin wird erstickt, erdolcht und erhängt — seine Liebe läßt sich nicht morden und überdauert alles. Als es endlich zur ersehnten Umarmung kommt, beginnen die Wunden des Mandarins zu bluten. Er verblutet und stirbt. Die textlich übertrieben veristisch erdachte Pantomime ist bezeichnend für die Jahre des Expressionismus als einer Zeit des Suchens nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Das Stück ist ausgesprochen dynamisch angelegt, ganz von der tänzerischen Bewegung ausgehend und auf die Gegebenheiten der tänzerischen Pantomime zugeschnitten. Eine ausführliche musi kalische Analyse würde Seiten füllen. Im Vordergrund steht dominierend der Rhythmus, der in diesem Werk eine thematische Funktion zu erfüllen hat. Synkopierungen und Poly rhythmik wechseln mit kühner, von Schönberg beeinflußter Akkordik, gespickt mit einer Fülle harmoniefremder Töne. Doch wird die Tonalität von Bartök nicht aufgegeben. Sie wird allerdings stellenweise zur Polytonalität erweitert. Melodisch sind kaum noch Anklänge an die von Bartök mit wissenschaftlicher Gründlichkeit durchforschte Folklore zu finden. Lediglich die unentwegt wiederholten Melodiefloskeln erinnern daran, daß Bartök von der Folklore herkommt. Auf fest umrissene Themen verzichtet Bartök weitgehend, desgleichen auf thematische Verarbeitungen im Sinne der klassischen Durchführung; oft sind es nur zwei Töne, die als Bewegungsimpulse verwendet werden, eine absteigende Terz etwa und ein Arpeggio im letzten Tanz, „der sich atemberaubend steigert bis zu einem Paraoxysmus des Lärms und Aufruhrs. Das Ganze gibt den Eindruck intensiven, aber bis an die Grenze des Möglichen mit Spannung geladenen Lebens“ (s. Moreux). Die „tief philosophische und sittliche Absicht“ der beiden Autoren ist gewiß ungewöhnlich, und ihre „kraftvolle Liebesethik“ liegt uns als Nichtungarn vielleicht ferner, doch wollen wir nicht vergessen, daß es Bartök im letzten um „die ungeheure Beständigkeit mensch licher Willenskraft“ ging, die „selbst den Tod besiegt“ (G. Oläh). Die erste Aufführung des Konzertes d-Moll für Klavier und Orchester von Johannes Brahms fand unter der Leitung Joseph Joachims Anfang Januar 1859 in Hannover statt. Solist war der Komponist. Die ersten Skizzierungen zu dem Werke reichen jedoch bis ins Jahr 1854 zurück, in eine Zeit, da Brahms durch zwei Erlebnisse nachhaltig beeindruckt wurde: Da war einmal das Ereignis von Beethovens „Neunter“, die der 21jährige Brahms in Köln gehört hatte, und da war zum anderen die seelische Erschütterung, hervorgerufen durch den