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Selbstmordversuch Robert Schumanns. Wir wissen, wie sehr der junge Brahms an seinem väterlichen Freund Schumann hing. Aus Briefen und Gesprächen klang die Bewegung wider, mit der Brahms den tragischen Fall Schumanns miterlebte. Beide Erlebnisse ver dichteten sich zu Musik, zu einer Sonate für zwei Klaviere, die so etwas wie die Urform des Klavierkonzertes d-Moll darstellte. Im Mai 1854 spielte Brahms mit Clara Schumann diese Sonatensätze in Düsseldorf, und aus Briefen wissen wir, daß der junge Komponist an eine Instrumentierung dieser Sonate dachte, an eine ,,Umformung zur Symphonie“. Der Plan wurde teilweise verwirklicht, doch scheint Brahms über den ersten Satz nicht hinausgekommen zu sein. Selten hat Brahms an einem Werk so unerbittlich gefeilt, selten so um die Form gerungen wie bei seinem Klavierkonzert d-Moll. Volle vier Jahre umfaßte die Entstehungszeit. In dem Briefwechsel zwischen Brahms und Joachim nehmen wir in allen Einzelheiten teil an dem langsamen Werden und Reifen des Werkes, an dessen Formung und Gestaltwerdung Joachim wesentlichen Anteil hatte. Bis zuletzt, auch dann noch, als das Werk in seiner Gesamtheit schon vollendet war, wurde Brahms von Stimmungen der Resignation und des Zweifels geplagt: ,,Es wird nie etwas Gescheites daraus!“ Tatsächlich wurde die erste öffentliche Aufführung am 27. Januar 1859 ein glatter Durch fall. Das Publikum versagte, desgleichen die Kritik, die das Werk „in der Luft zerriß“. Hatten die Hörer die glitzernde Brillanz zeitgenössischer Virtuosenkonzerte erwartet? Sie verstanden den sinfonischen Grundzug dieser Musik nicht, sie wußten mit dem leidenschaft lichen Ton nichts anzufangen, sie konnten nicht begreifen, daß das große menschliche An liegen eine so neue und kühne inhaltliche Aussage des Musikalischen forderte, denn sie hatten sich an die leichte Kost gängiger Virtuosenkonzerte gewöhnt und konnten sich nicht so schnell umstellen. Vielleicht wollten sie es auch gar nicht. — Der dreiteilige zweite Satz war noch unter dem Eindruck des Schumannschen Selbstmord versuches entstanden. Die ursprüngliche Überschrift „Benedictus, qui venit in nomine Domine“ war kein Zufall, hatte doch Brahms seinen Freund Schumann oft als „Mynheer Domine“ bezeichnet. Nach der geballten Dramatik und Düsternis des ersten Satzes breiten sich im Adagio bereits zaghafte tröstliche Empfindungen aus, und im Finale, einem kon zertanten „Rondo“, sind die Stimmungen der Anfangssätze ganz überwunden, und wir verstehen die Formulierung eines Musikwissenschaftlers, der den dritten Satz eine „strah lende Aussöhnung mit dem Schicksal“ nannte. Jeder Satz umfaßt ein ausgeprägtes Eigen leben, und doch wird der Gesamtablauf von einem Ring umschlossen, vergleichbar der freien Abwandlung des sinfonischen Prinzips. Sosehr die Umwelt bei der Uraufführung versagte, die Musik bewährte sich von Jahr zu Jahr. Fleute gehört das Konzert zu den großen und unsterblichen Schöpfungen der Klavierliteratur, beheimatet in allen Konzertsälen der Welt. Robert Schumann wurde zur Schaffung seiner ersten Sinfonie B-Dur angeregt durch Franz Schuberts große C-Dur-Sinfonie, die er in Leipzig hörte. Die B-Dur-Sinfonie wurde Schu manns erster Versuch mit dem Orchester. Vorangegangen war eine Fülle von Klaviermusik, vorangegangen war das „Liederjahr“, und Schumann spürte: „Das Klavier möchte ich oft zerdrücken, es wird mir zu eng zu meinen Gedanken. Nun habe ich freilich im Orche stersatz noch wenig Übung; doch denke ich noch Herrschaft zu erreichen!“ In vier Tagen wurde das Werk komponiert. Es war die für Schumann glückhafte Zeit der Ehe mit Clara, und von dem Glück jener Tage ist viel in die erste Sinfonie übergegangen. Die zweite Anregung war außermusikalischer Art: Schumann las das Gedicht „Im Tale geht der Frühling auf“ von Adolf Böttger und wurde dabei „von jenem Frühlingsdrang erfüllt, der den Menschen wohl bis ins höchste Alter hinauf und in jedem Jahre neu befällt“. Ursprünglich waren von Robert Schumann die Satzüberschriften „Frühlingsbeginn“, „Abend“, „Frohe Gespielen“ und „Voller Frühling“ vorgesehen, doch ließ Schumann diesen Plan wieder fallen. Dennoch blieb das Thema des Frühlings weiter bestehen. An einen Berliner Kapellmeister schrieb der Komponist die bezeichnenden Sätze: „Könnten Sie Ihrem Orchester beim Spiel etwas Frühlingssehnsucht einwehen; die hatte ich tatsächlich dabei, als ich die Symphonie schrieb. Gleich den ersten Trompeteneinsatz möcht’ ich, daß er wie aus der Höhe klänge, wie ein Ruf zum Erwachen — in das Folgende der Einleitung könnte ich dann hineinlegen, wie es überall zu grüneln anfängt, wohl gar ein Schmetterling auffliegt, und im Allegro, wie nach und nach alles zusammenkommt, was zum Frühling gehört. Doch das sind Phantasien, die mir nach der Arbeit ankamen.“ Die Uraufführung am 31. März 1841 dirigierte im Gewandhaus Felix Mendelssohn-Bar tholdy. Schumann schuf seine erste Sinfonie aus der Fülle der Gedanken und Überfülle der Einzelfälle. Ihm geht es weniger um thematische Verknüpfungen und Verarbeitungen, sondern mehr um das Auskosten der Stimmungsmomente. Das Glück führte Schumann die Hand, und so klingt die Musik. — In der langsamen Einleitung erscheint das Hauptthema des ersten Satzes in den Trompeten und Hörnern gleich einer Fanfare. Motto: „Im Tale zieht der Frühling auf.“ Noch scheint man die Kälte des Winters zu spüren, doch bald lichtet sich das Bild, die Landschaft wird hell und freundlich, der Frühling zieht ein. Die Musik scheint von sonniger FI eile durch woben. Alles klingt frisch und zügig. Wir spüren etwas Drängendes, Keimendes und Schwellendes und verstehen, daß dieser Satz „in einer feurigen Stunde geboren“ wurde. Der zweite Satz wurde als dreiteilige Liedform erfunden. Ruhe, Besinnung, Verhaltenheit, Empfindungstiefe und eine zu Herzen gehende Innigkeit prägen den Charakter dieser echt romantischen Musik. Die Koda bildet die Überleitung zu dem sich unmittelbar anschlie ßenden dritten Satz, der in sich kontrastreich ist, lebhaft und rhythmisch bestimmt. Die formale Folge des Satzes: Hauptteil — Trio — Reprise des. Hauptteiles — Trio II — noch malige Reprise und anschließende Koda. Vereinzelt scheinen ein paar Schatten aufzu ziehen, das Bild des Frühlings zu trüben, doch dominiert im letzten das Glück der Stunde. „Vom letzten Satz will ich Ihnen sagen, daß ich mir Frühlingsabschied darunter denken möchte.“ Beschwingt und tänzerisch gelockert eröffnet eine kurze temperamentvolle Ein leitung den Finalsatz, der in Sonatenform geschrieben wurde. Flell, strahlend, frohgemut und optimistisch wird das jugendlich beschwingte Werk beschlossen: „Die Sinfonie hat mir viele glückliche Stunden bereitet. Dankbar bin ich oft dem guten Geist, der mir ein so großes Werk so leicht in so kurzer Zeit geraten läßt.“ c • 1 , Gottfried Schmiedel Einführungsvorträge: Gottfried Schmiedel Literaturhinweise: Konzertbuch I, Henschelverlag, Berlin 1958; Serge Moreux: „Bela Bartok“, Atlantis Musikbücherei, Zürich 1952; Kurt Blaukopf: „Lexikon der Symphonie“, Verlag Niggli, Wien 1957 VORANKÜNDIGUNGEN Nächstes A-Konzert 23. und 24. Januar 1960 Dienstag, 19. Januar 1960, 19.30 Uhr 2. Kammermusikabend, Anrecht C der Kammermusik Vereinigung der Dresdner Philharmonie Werke von J. Chr. Bach, J. Haydn, S. Prokofjew und D. Schostakowitsch Freier Kartenverkauf Der Dresdner Philharmonie ist es gelungen, den hervorragenden sowjetischen Geiger Igor Besrodni, Moskau, für das 5. Außerordentliche Konzert am 26. und 27. Januar 1960 zu gewinnen. Prof. Besrodni, 1930 geboren, ist trotz seiner Jugend ein internationaler Begriff geworden. Seine großen Erfolge in allen volksdemokra tischen Ländern sowie in Finnland, Österreich, England, Frankreich, Holland, Schweden, Belgien, der Schweiz, Japan und Amerika versprechen unserem Konzertpublikum wieder um ein großes künstlerisches Erlebnis. Programm: D. Schostakowitsch 9. Sinfonie W. A. Mozart Violinkonzert D-Dur J. Brahms Violinkonzert Leitung: Nationalpreisträger Prof. Heinz Bongartz. Kartenvorverkauf ab 11. Januar in den bekannten Vorverkaufsstellen. 3. PHILHARMONISCHES KONZERT Anrecht A 1959/6° 6030 Ra III-9-5 160 1,4 ItG 009/59