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(jMÜT Vortragsordnung und Kleiderablage frei ““US® 26. Städtisches Uoihs-SintonieKonzeri im Saale des Gewerbehauses Mittwoch, den 12. April 1916, abends 8 1 / 4 Uhr Dresdner Philharmonisches Orchester Leitung: Kapellmeister Edwin Lindner 1) J. Brahms, Sinfonie Nr. 4 (Emoll). Von den vier Sinfonien des Meisters ist die 1885 zuerst aufgeführte letzte in Emoll die reifste und tiefste. Der Brahmsbiograph Kalbeck hat darauf aufmerksam gemacht, daß im langsamen Satz dieses Werkes ein paar Takte aus einem berühmten Lied von Brahms anklingen, denen die Dichterworte zugehören: „Ich war an manch’ ver gessenem Grab gewesen.“ Man könnte diesen Vers als Motto der ganzen Sinfonie voransetzen, deren von tiefster Schwermut überschattete Weisen in der Tat das Lied von der Vergänglichkeit alles Irdischen nicht minder ergreifend singen als etwa Brahmsens „Deutsches Requiem“. 1) Allegro non assai. Ohne jede Einleitung setzt in den Violinen das Hauptthema ein, eine schlichte ernste Liedmelodie von balladenhaftem Charakter; ein schwärmerisches Thema der Hörner und Celli sowie ein schwungvolles fanfarenartiges Motiv der Hörner und Holzbläser bilden seine Gegensätze. Dazwischen ergeben sich durch webende Streicher- arpeggios mit mystisch hereintönenden Bläserstimmen Momente geheimnisvoller Spannung. Die sehr knappe aber kunstvolle Durchführung hält sich hauptsächlich an das mit schier dramatischer Lebendigkeit verarbeitete Fanfarenmotiv. Hierauf Idingen mit der Wieder holung des ersten Teils dessen wechselvolle Stimmungen noch einmal an, um mit Akzenten heftiger Leidenschaft zu schließen. 2) Andante moderato. Auch dieser Satz hat in seiner sanften Schwermut etwas altertümlich Balladenhaftes; ein Schwelgen in wehmütigen Erinnerungen, in das sich Ausbrüche lebhaft empfindender, bald froher, bald schmerzlicher Teilnahme mischen. 3) Allegro giocoso. Ein Scherzo, dessen oft drastischer Humor (vergl. die Beethoven- schen Späße der Pauken!) einen dämonischen, unheimlichen Grundton hat. Frohsinn, der sich „auf des bodenlosen Abgrunds dünner Decke tummelt“ — um E. Th. A. Hoffmaims auf die Don-Juan-Ouvertüre geprägtes Wort zu gebrauchen! 4) Allegro energico e passionato. Die Bläser, denen sich zum ersten Male die feier lichen Posaunen zugesellen, stellen ein schlicht tonleitermäßiges Thema voll drohenden Ernstes auf. Variationen über dieses achttaktige Thema bilden den Inhalt des Satzes, der sich mit gewaltiger kontrapunktischer Kunst aufbaut. Noch mächtiger wirkt aber sein geistiger Gehalt. Düstere schmerzliche Stimmungen wechseln mit innigen, feierlichen, erhabenen: über dem Ganzen aber waltet der Geist einer gewissen ehernen Unerbittlichkeit. Wie etwa in einem alten „Totentanz“ glauben wir den Allvernichter selbst vor uns zu sehen, vor dessen Sense Freud und Leid, Hoffnung und Verzweiflung hinsinkt.