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ZUR EINFÜHRUNG DRESDNER PHILHARMONIE Freitag, den 27. August 1971, 20 Uhr Sonnabend, den 28. August 1971, 20 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 1. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solist: Manfred Scherzer, Berlin, Violine Richard Strauss 1864-1949 Siegfried Matthus geb. 1934 Don Juan - Tondichtung nach Nikolaus Lenau op. 20 Konzert für Violine und Orchester Allegro Thema mit Variationen Rezitativ - Kadenz (Tempo rubato) Andante Rondo Peter Tschaikowski 1840-1893 PAUSE Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64 Andante — Allegro con anima Andante cantabile con alcuna licenza Valse Finale (Andante maestoso — Allegro vivace) MANFRED SCHERZER wurde 1933 in Dresden geboren. Er studierte bei seinem Vater und bei Gustav Havemann in Berlin. 1950 wurde er an die Dresdner Staatskapelle verpflichtet; seit 1954 ist er 1. Konzertmeister an der Komischen Oper Berlin, und seit 1964 unterrichtet er außerdem an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler" in Berlin. Als Mitglied des Beethoven- Trios, dem er neben Amadeus Webersinke und Karl-Heinz Schröter angehört, wirkte er bei zahlreichen Kammermusikveranstaltungen im In- und Ausland mit. Gastspielreisen führten den mit dem Kunstpreis der DDR ausgezeichneten Künstler, der auch Preise bei internationalen Solistenwettbewerben 1952 und 1955 in Berlin und Warschau erhielt, u. a. in die UdSSR, CSSR, in die VR China, nach Bulgarien, Rumänien, Ungarn. 1969 wurde ihm für die Urauf führung des Violinkonzertes von Siegfried Matthus - mit diesem Werk nahm er auch an der Konzertreise der Dresdner Philharmonie in die Sowjetunion im Herbst 1970 teil — der Kritikerpreis der Biennale Berlin zugesprochen. Mit „Don Juan", Tondichtung für großes Orchester op. 20, gelang dem 24jährigen Richard Strauss ein bedeutender Wurf, ein - wie es Ernst Krause treffend formulierte - „Jungmeisterstreich voll überschäu mender Lebenskraft und Ausdruck vorbehaltlosen Lebensoptimismus". Bis heute hat das Werk, das der Komponist selbst 1889 in Weimar zur Uraufführung brach te, nichts an ursprünglicher Wirkungskraft verloren. Mit der geschmeidigen Klanggebärde des „Don Juan", der die Linie Berlioz-Liszt weiterentwickelte, gab Strauss ein für alle Mal die Quintessenz der ihm eigenen Musizierhaltung seines Instrumentalstils. Diese Musik ist von einem hinreißenden, jugendlichen Feuer er füllt, von ungestümer geistig-sinnlicher Aussagekraft. „Don Juan" ist das Werk eines leidenschaftlich gegen bürgerliches Spießertum protestierenden Stürmers und Drängers, der die poetische Idee seines Tonwerkes in Nikolaus Lenaus Frag ment „Don Juan" fand, aus dem er Teile der Partitur voransetzte. Die wichtigsten Verse sind: „Den Zauberkreis, den unermeßlich weiten, Von vielfach reizend schönen Weiblichkeiten Möcht' ich durchziehn im Sturme des Genusses, Am Mund der Letzten sterben eines Kusses. O Freund, durch alle Räume möcht' ich fliegen, Wo eine Schönheit blüht, hinknien vor jede Und wär's auch nur für Augenblicke, siegen . . . Ja! Leidenschaft ist immer nur die neue; Sie läßt sich nicht von der zu jener bringen, Sie kann nur sterben hier, dort neu entspringen, Und kennt sie sich, so weiß sie nichts von Reue . . Strauss folgte also einem bestimmten literarischen Programm, jedoch nicht in il lustrativer Absicht, sondern indem erden Empfindungsgehalt des Gedichtes rea listisch zum Klingen brachte. Lenaus Verse stellen gewissermaßen Leitgedanken dar, die in der Tondichtung - in freier Sonatenform - dargestellt werden. Mit einem kühnen E-Dur-Thema wird sogleich der verwegene, von Sinnlichkeit getriebene Held, der von der Begierde zum Genuß jagt, vorgestellt. Dann folgt das kraftvolle, von pulsierenden Holzbläsertriolen bestimmte „Don-Juan"-Thema, dessen stürmisch-glutvolle, verführerische Klanggestalt den unwiderstehlichen Kavalier und Abenteurer symbolisiert. Ein verzücktes Violinsolo deutet auf eine schwärmerische Frau, die in Don Juans Bann gerät. In einer neuen Liebessitua tion zeigt uns sodann eine seufzende Oboenmelodie den Helden. Plötzlich tritt - in den Hörnern, von den Violinen umschwirrt - das suggestiv-prägnante, sehr energische zweite „Don-Juan"-Thema auf: der Höhepunkt des Werkes ist er reicht. Don Juan gelangt zur Besinnung, der Sinnenrausch verlöscht. Nach äu ßerst klangvollen Steigerungen kommt es zu einem Moll-Ausklang, der wie eine Auflösung fast ununterbrochener Spannungen wirkt. Siegfried Matthus, der 1934 geborene Berliner Komponist, steht wie der Dresdner Rainer Kunad in der vordersten Linie der jüngeren Komponisten unserer Republik. Er studierte 1952 bis 1958 an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin Dirigieren und — bei Rudolf Wagner-Regeny — Komposition. 1958 bis 1960 vervollkommnete er seine Ausbildung als Meisterschüler Hanns Eislers an der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. Seitdem war er freischaffend tätig und wirkt neuerdings als Dramaturg und Hauskomponist an der Komischen Oper Berlin. Matthus, der 1963 den Ernst-Zinna-Preis und 1970 den Hanns-Eis- ier-Preis erhielt, begann zunächst mit originellen Songs und Liedern und er schloß sich allmählich größere Instrumentalformen sowie die Oper. Dabei hat der