Volltext Seite (XML)
am Freitag, dem 8. April 1970, 19.30 Uhr, im Festsaal des Kultur ¬ palastes Dresden DRESDNER PHILHARMONIE Dirigent: Kurt Masur Solist: Jürgen Pilz (Dresden) Violine Jürgen P i I z , seit Beginn dieser Spielzeit als Konzertmeister der Dresdner Philharmonie verpflichtet, wurde 1945 in Dresden geboren. Er studierte an der Spezialschule für Musik in Dresden, an der Fachschule für Musik in Berlin und an der Franz-Liszt-Hochschule in Weimar u. a. bei den Professoren Mühlbach, Scholz und Ehlers. Der junge Künstler erhielt 1967 den 1. Preis beim Nationalen Solistenwettbewerb der DDR in Markneukirchen, im gleichen Jahr wurde er Preisträger beim Internationalen Enescu-Wettbewerb in Bukarest. 1968 wurde er mit einem Diplom des'Internationalen Bach-Wettbewerbes in Leipzig und mit einer Bronze-Medaille beim Internationalen Geigerwettbewerb anläßlich der Weltfestspiele der Jugend in Sofia ausgezeichnet. Konzertreisen führten Jürgen Pilz bisher in zahlreiche Städte der DDR sowie nach Polen, Ungarn, Rumänien, in die CSSR und nach Bulgarien. PROGRAMMFOLGE: Sergej Prokofjew 1891-1953 Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Ludwig van Beethoven 1770-1827 Klassische Sinfonie D-Dur op. 25 (Symphonie classique) Allegro Larghetto Gavotta (Non troppo allegro) Finale (Molto vivace) Konzert für Violine und Orchester D-Dur KV 218 Allegro Andante cantabile Rondo (Andante grazioso - Allegro ma non troppo) Pause Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 (Eroica) Allegro con brio Marcia funebre Scherzo (Allegro vivace) Allegro molto ZUR EINFÜHRUNG: Sergej Prokofjew, neben Dmitri Schostakowitsch und Aram Chatscha- turjan der stärkste Exponent sowjetischer Musik, Schüler Tanajews, Glieres und Glasunows am Petersburger Konservatorium, kehrtet bekanntlich 1934 nach Jah ren der unsteten Wanderschaft durch die Musikzentren Europas und Amerikas endgültig in seine Heimat zurück, um die Erkenntnis reicher, daß der Künstler „nicht fern der heimatlichen Quellen herumschweifen" sollte. Um diese Zeit be gann sich in Prokofjews Schaffen, das stark von der europäischen „Moderne" beeinflußt worden war, eine Wandlung zu vollziehen, die auch Hindemith und Bartök erlebt hatten, die Hinwendung vom Ekstatisch-Komplizierten zum Maß voll-Einfachen, zu einem neuen Ordnungsgesetz, wobei Prokofjew außerdem, nicht zuletzt durch seine Beschäftigung mit der Folklore seiner Heimat, den Weg zum nationalen Komponisten fand. 1948 äußerte er: „Ich liebe die Melodie, halte sie für das wichtigste Element der Musik und arbeite viele Jahre lang an meinen Werken, um ihre Qualitäten zu verbessern." Prokofjews „Klassische Sinfonie" D-Dur op. 25 („Symphonie classique") wurde in den Jahren 1916/17 komponiert; am 21. April 1918 erlebte sie unter der Lei tung des Komponisten ihre erfolgreiche Uraufführung in Petrograd. Uber die Entstehungsgeschichte des Werkes ist in Prokofjews autobiografischen Erinne rungen folgendes zu lesen: „Den Sommer des Jahres 1917 verlebte ich in Petro grad, ganz allein, las Kant und arbeitete viel. Ich hatte absichtlich kein Klavier in meine Datscha (Landhaus) mitgenommen, weil ich versuchen wollte, ohne Instrument zu arbeiten. Bisher hatte ich gewöhnlich am Klavier geschrieben, aber ich hatte festgestellt, daß das ohne Klavier komponierte thematische Material häufig besser ist. Auf das Klavier übertragen, erscheint es im ersten Augenblick fremd. Aber nach mehrmaligen Durchspielen stellt sich? heraus, daß man so und nicht anders verfahren mußte. Ich trug mich also mit dem Gedanken, eine ganze Sinfonie ohne Klavier niederzuschreiben. Auf diese Weise müssen auch die Orche sterfarben reiner werden. So entstand der Plan einer Sinfonie im Haydnschen Stil, denn die Haydnsche Technik war mir irgendwie besonders klar geworden, nach der Arbeit in der Klasse Tscherepnins. Unter solchen vertrauten Verhält nissen war es mir leichter, den gefährlichen Sprung des Arbeitens ohne Klavier zu wagen. Mir schien, wenn Haydn bis in unsere Tage gelebt hätte, würde er seine eigene Handschrift beibehalten, gleichzeitig aber Neues dazu aufgenom men haben. Eine solche Sinfonie wollte ich komponieren: eine Sinfonie im klassi schen Stil. Als sie dann Form anzunehmen begann, nannte ich sie .Klassische Sinfonie': Erstens ist das einfacher; zweitens war es ein Streich, vollbracht, um ,die Gänse zu reizen' und in der geheimen Hoffnung, daß ich letztlich gewinnen würde, wenn sich die Sinfonie wirklich auch als klassisch erweisen sollte. Ich kom ponierte sie beim Spazierengehen über die Felder . . . Früher als alles andere war die Gavotte fertig. Darauf das Material zum ersten und zum zweiten Satz." Die viersätzige „Klassische Sinfonie" — eines der populärsten sinfonischen Werke Prokofjews — hat nach W. Delson „ein Anrecht auf diese Bezeichnung nicht nur ihrer äußerlichen Ähnlichkeit mit der Haydnschen Sinfonik wegen. Sie ist klas sisch in der Genialität ihrer Handschrift, in ihrer knappen Klarheit und weisen Einfachheit wie in ihrer außergewöhnlichen Ausdruckskraft ... Im ganzen bringt die Sinfonie das optimistische Lebensgefühl des Komponisten zum Ausdruck; sie zeigt eine heitere Haltung dem Leben gegenüber und seine Neigung zu jugend lichem Übermut." Mit großer Freude hat sich Prokofjew offenbar in die Aus druckswelt der musikalischen Klassik versenkt, in ihre melodische Klarheit und ebenmäßige Schönheit. Doch hat er sie in seinem Werk nicht einfach nachge ahmt, sondern die für seinen Stil charakteristischen Neuheiten in Harmonik und Rhythmik organisch und natürlich eingefügt. Der erste Satz (Allegro) hat Sonatenform. Nach zwei Einleitungstakten beginnt das graziöse Hauptthema, dessen zweite Hälfte u. a. dominierend wird für die Entwicklung der Durchführung, deren Schluß jedoch von dem prägnanten Seiten thema bestimmt wird. Die Reprise ähnelt stark der Exposition. Der zweite Satz ist ein verhaltenes Larghetto. Das Hauptthema bringen die Streicher, es wirkt graziös-ironisch. Ein Streicher-Fizzikato bildet den Mittelteil. Danach wird das Hauptthema figuriert, und mit der Wiederholung der schreitenden Anfangstakte verklingt der Satz. Eine elegante Gavotte, stilisiert nach dem Muster des 18. Jahrhunderts, schließt sich an. Sonatenartige Form besitzt wieder das Finale (Molto vivace). Die kurze Durchführung wird vor allem getragen durch kontra- punktische Verarbeitung der Motive des Haupt- und Seitensatzes. Dr. H. Wolfgang Amadeus Mozart schrieb im Jahre 1775 im Laufe weni ger Monate eineGruppe von fünfViolinkonzerten, von denen das vierte in D-Dur, KV 218, heute erklingt. Zu jener Zeit war der 19jährige als Konzertmeister im