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DRESDNER PHILHARMONIE Freitag, den 6. März 1970, 20 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 3. KONZERT IM ANRECHT C Dirigent: Kurt Masur Solist: Siegfried Rapp, Weimar, Klavier Sergej Prokofjew 1891-1953 Sinfonische Suite aus der Oper „Die Liebe zu den drei Orangen" op. 33a Die Sonderlinge Der Magier Tschelio und Fata Morgana spielen Karten (Höllenszene) Marsch Scherzo Prinz und Prinzessin Die Flucht Konzert für Klavier (linke Hand) und Orchester Nr. 4 B-Dur op. 53 Vivace Andante Moderato — Allegro moderato Vivace PAUSE Ludwig van Beethoven 1770-1827 Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 (Eroica) Allegro con brio Marcia funebre Scherzo (Allegro vivace) Allegro molto PROF. SIEGFRIED RAPP, Schüler von R. Teichmüller und A. Rohden an der Leipziger Musikhochschule, ver lor 1943 infolge einer Kriegsverwun dung den rechten Arm, was seine er folgreich begonnene Pianistenlauf bahn jäh unterbrach. Mit bewun ¬ dernswerter Energie erarbeitete er sich jedoch mit der linken Hand eine Spezialtechnik, dank derer er bald zu einem hervorragenden, im In- und Ausland geschätzten Interpreten der links händigen Klavierliteratur wurde. Konzertreisen führten den Künstler, der an der Franz-Liszt- Hochschule Weimar eine Klavierklasse leitet, u. a. nach Westdeutschland, der Schweiz, der UdSSR, CSSR, Rumänien, Italien, Österreich, Ägypten und Jugoslawien. Mit der Dresdner Phil harmonie musizierte er bereits in den Jahren 1955, 1958, 1961 und 1968. Unter der Leitung von Kurt Masur produzierte Prof. Rapp mit der Dresdner Philharmonie Klavierkonzerte für die linke Hand von Ravel und Nowka für die Schallplatte. ZUR EINFÜHRUNG Eine der amüsantesten und geistvollsten Schöpfungen des heiteren Musiktheaters schuf Sergej Prokofjew mit der am 30. Dezember 1921 unter seiner Lei tung in Chikago erfolgreich uraufgeführten Oper „Die Liebe zu den drei Orangen" nach einem Lustspiel des italienischen Dichters Carlo Gozzi aus dem 18. Jahrhundert. „Das Stück Gozzis", sagte Prokofjew, „reizte mich wegen seiner Mischung aus Märchen, Scherz und Satire und, was die Hauptsache ist, wegen seiner szenischen Wirksamkeit . . . Man hat versucht festzustellen, über wen ich lache, über das Publikum, über Gozzi, über die Opernform oder über die jenigen, die nicht zu lachen verstehen." Nichts von alledem: „Ich verfaßte einfach ein fröhliches Schauspiel." Die Handlung des witzigen, kecken Stückes ist gewiß noch vielen Dresdner Musik freunden von der brillanten Inszenierung an der Dresdner Staatsoper (1958) her in Erinnerung. Es geht um einen jungen Prinzen, der nicht mehr lachen kann. Ver geblich bemühen sich der Hofnarr und die Ärzte um Änderung dieses Zustandes. Doch da hilft ein Zufall dem schwermütigen Prinzen: Vor seinen Augen stolpert die Fee Fata Morgana, über deren Sturz er plötzlich herzhaft lachen muß. Die deshab beleidigte Fee verflucht jedoch den Prinzen: Er soll so lange durch ferne Lande ziehen, bis er drei verzauberte Orangen findet. Mit dem Hofnarren Truffal- dino zieht er nun in die Welt und findet nach aufregenden Abenteuern auch schließlich die drei Orangen, die sich als Hülle ganz reizender Prinzessinnen er weisen, in deren eine, Ninetta, sich der Prinz verliebt. Nach Bestehen weiterer Schwierigkeiten führt er sie als Braut heim auf das väterliche Schloß. Der Geschichte ist ein allegorischer Prolog vorangestellt: Vertreter verschieden ster Richtungen des Publikumsgeschmacks geraten in Streit, weil jeder das Vor recht seiner Anschauungen fordert. Die „Sonderlinge“, die eigentlichen „Gast geber" der Oper, wünschen eine „Kunst der reinen Form", ein verfeinertes Spiel voller Raffinement und Eleganz. Sie alle, die Anhänger tragischen, lyrischen, ko mischen oder trickreichen, eleganten Theaterspielens, greifen wiederholt, je nach der Situation, in das Handlungsgeschehen ein. Auf diese Weise erhält das Ganze Züge einer komödiantischen Parodie, bei der Reales, Unreales, Ironisches, Pos senhaftes geistvoll verbunden erscheint. Die Musik der Oper ist durch eine treffende, prägnante Charakterzeichnung mit tels Leitmotiven, eine reiche Verwendung geschärfter Harmonien und ein betontes Spiel mit den Klangfarben des Orchesters gekennzeichnet. Tänzerisch-burleske, ja groteske Elemente dominieren durchaus, aber auch ariose, liedhafte Elemente begegnen, so vor allem in den Partien des Prinzen und der Prinzessin Ninetta. Die Vorzüge der humorvollen Prokofjew-Partitur können wir in konzentrierter Form auch in der vom Komponisten 1924 zusammengestellten Sinfonischen Suite kennenlernen, die Musik aus einigen charakteristischen Bildern der Ope: enthält: 1. Die Sonderlinge, 2. Der Magier Tschelio und Fata Morgana spielen Karten (Höllenszene), 3. Marsch, 4. Scheizo, 5. Prinz und Prinzessin, 6. Die Flucht. Glanzstück der Oper wie der Suite ist der Marsch (aus dem 2. Akt), der außer ordentlich rasch Beliebtheit, ja Berühmtheit errang. Das Klavierkonzert Nr. 4 für die linke Hand B-Dur op. 53 schrieb Prokofjew 1931 in Paris im Auftrage des berühmten einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein, für den auch Komponisten, wie Ravel, Richard Strauss und Ben jamin Britten Konzerte komponiert haben. Eine Aufführung des Werkes kam je doch zunächst nicht zustande, da Wittgenstein es als zu „modern" ablehnte. Erst 25 Jahre später, 1956, brachte Siegfried Rapp, der Solist des heutigen Konzertes, das Werk in Berlin zur Uraufführung. Die Witwe Prokofjews hatte Prof. Rapp das Manuskript zur Verfügung gestellt. Das häufig von dem Weimarer Pianisten interpretierte Prokofjew-Konzert für die linke Hand ist eine ausgesprochene Be reicherung dieses Spezialgebietes der Konzertliteratur.