Volltext Seite (XML)
DRESDNER PHILHARMONIE Freitag, den 20. März 1970 den 19. Mörz 1970, 20^-^ Festsaal des Kulturpalastes Dresden 8. AUSSERORDENTLICHES KONZERN IM ANRECHT FÜR DIE JUGEND Dirigent: Lothar Seyfarth Solist: Günter Kootz, Leipzig, Klavier Siegfried Thiele geb. 1934 Johannes Brahms 1833-1897 Musik für Orchester Vorspiel (Andante) Hauptsatz I (Allegro) Zwischenspiel (Andante) Hauptsatz II (Vivace) Erstaufführung Variationen über ein Thema von Joseph Haydn B-Dur op. 56a PAUSE Peter Tschaikowski 1840-1893 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 b-Moll op. 23 Allegro non troppo e molto maestoso Andantino simplice Allegro con fuoco GÜNTER KOOTZ wurde 1929 in Görlitz geboren. Ersten Klavier unterricht erhielt er im Alter von fünf Jahren bei W. Schmidt, erste Konzerte mit Orchester gab er 13jährig. 1946 bis 1949 studierte er an der Leipziger Musikhochschule bei Prof. Ru dolf Fischer. 1949 wurde er Aspirant, 1951 Dozent für Kla vier, 1961 Abteilungsleiter für Tasteninstrumente am gleichen Institut. 1948 erhielt der Künst ler den ersten Franz-Liszt-Preis in Weimar, 1950 einen Bach- Preis in Leipzig und 1963 den Kunstpreis der DDR, 1964 wurde er zum Professor ernannt. Günter Kootz konzertierte mit allen führenden Orchestern der DDR und unternahm u. a. Konzert reisen nach Polen, der CSSR, nach Bulgarien, Rumänien, Al banien, Österreich, Italien, China, in die Sowjetunion und nach Westdeutschland. Bei der Dresdner Philharmonie war er seit 1952 wiederholt zu Gast. ZUR EINFÜHRUNG Siegfried Thiele, 1934 im damaligen Chemnitz geboren, studierte an der Hochschule für Musik in Leipzig Komposition (bei den Professoren Weis mann und Weyrauch) und Dirigieren. Nach Abschluß des Hochschulstudiums wirkte er als Musiklehrer, zunächst an den Musikschulen Radeberg und Wurzen, seit 1962 an der Leipziger Musikhochschule. Neben seiner Lehrtätigkeit führte Siegfried Thiele seine Kompositionsstudien an der Deutschen Akademie der Künste in Berlin bei Professor Leo Spies in den Jahren 1960 bis 1962 weiter. Der junge Komponist konnte verschiedentlich nachdrücklich auf sich aufmerksam machen. An Werken entstanden bisher Klaviermusik, Kammermusik, ein Flöten konzert, ein Trompetenkonzert, ein überaus erfolgreiches Klavierkonzert, die „Pantomime für Orchester", eine fünfsätzige Sinfonie, eine Sonate für Streich quartett und kleines Orchester, „Intrada-Cantus-Toccata" für Orchester, Intro duktion und Tokkata für großes Orchester, ein Werk, das in der nächsten Spielzeit von der Dresdner Philharmonie zur Aufführung gebracht wird. Ein Konzert für Orchester befindet sich gegenwärtig in Arbeit. über die 1968 im Auftrag des Theaters der Stadt Plauen und dort im November desselben Jahres uraufgeführte Musik für Orchester schreibt der Kom ponist: „Vorspiel: In diesem ausgesprochen kurzen Satz stehen auf engem Raum gedrängt starke Gegensätze beieinander. Aus völliger Unbestimmtheit (Schlagzeug ohne fixierte Tonhöhe) löst sich in den Kontrabässen eine zwölf- tönige Melodie heraus. Diese Tonfolge wird in der Posaune wiederholt. Eine kurze Überleitung mündet in ein heftiges Orchestertutti, in dem die aufgestellte Tonfolge zweimal in den Bläsern erklingt. Die Melodie ist jetzt auch rhythmisch profiliert und mit einem rhythmisierten Streicherklang kontrapunktiert. Dieser Fortissimo-Ausbruch kontrastiert mit einem stillen Ausklang, der von Pikkolo- Flöte und Baßklarinette piano vorgetragenen Umkehrung der zwölftönigen Grundgestalt. Hauptsatz 1 : Während das Vorspiel geprägt ist von dicht beieinander stehender Gegensätzlichkeit, entfaltet dieser Satz einen durchgehend lebhaft bewegten Klangstrom. Einem tokkatenartigen Hauptthema tritt die vom Vorspiel her bekannte Zwölftonfolge in verschiedenen Abwandlungen gegenüber. Dabei wird unter anderem die im Instrumentarium gegebene Disposition zur formalen Gruppierung ausgewertet: vorwiegend von Streichern getragene Partien wechseln entweder mit solchen, in denen ein reiner Bläserklang sich über lange Strecken hinzieht, oder aber mit sich steigernden Teilen des gesamten Orchesters. Zwischenspiel: Dieser Satz ist eine Variation des Vorspiels, durchweg von einer stillen, betrachtenden Haltung bestimmt. Die im Vorspiel aufgestellte Reihe wird hier auch zur Bildung charakteristischer Klänge benutzt. Hauptsatz 2: Wiederum — wie in Hauptsatz 1 — herrscht ein durchgehend lebhafter Gestus, der sich jetzt in vorwiegend tänzerischer Bewegtheit zeigt. Ein carioca-artiges Hauptthema wechselt ab mit einer Dreizahl von Gegenthemen, die in jeweils unterschiedlicher Weise Bezug nehmen auf die dem ganzen Werk zugrundeliegende Zwölfton-Grundgestalt. Der aus verhaltener Tonwiederholung hervorgehende Satz entwickelt sich bis zu äußerst gesteigerter Dynamik." Mit seinen Serenaden und besonders mit den Variationen über ein Thema von Joseph Haydn in B-Dur op. 56a schuf Johannes Brahms gleichsam Vorstudien für seine vier Sinfonien, deren erste er 1876 vollendete, übte er sich in den Serenaden in der Beherrschung klassischer Formen im Sinne Haydns und Mozarts, so brachten ihm die Haydn-Variationen aus dem Jahre 1873 — unter dem Einflüsse der Beethovenschen Sinfonik — weitere Sicherheit in der thematisch-motivischen Arbeit. Brahmsens klassische Haltung hatte sich also um diese Zeit — das Deutsche Requiem und viele seiner meister lichen Liedschöpfungen waren schon entstanden — wesentlich gefestigt. Auch räumlich war er der Welt der Wiener Klassik nähergekommen, hatte er sich doch in der Donaumetropole niedergelassen. Aber noch ein weiteres Kennzeichen der Brahmsschen Tonsprache soll hier vermerkt werden, weil es in den Haydn- Variationen bereits ausgeprägt ist: die Neigung und Fähigkeit des Komponisten zu barock-klassischer Form- und Stiisynthese, seine Gabe, sinfonische Entwick lungen bei kontrapunktischer Anlage geradezu kammermusikalisch subtil zu gestalten. Das Thema, das den Haydn-Variationen zugrunde liegt und am Beginn des Werkes in seiner reizvollen Originalgestalt erklingt, entnahm Brahms dem zweiten Satz von Haydns Feldpartita B-Dur für zwei Oboen, zwei Hörner, drei Fagotte und Serpent: eine Andante-Melodie mit der Überschrift „Choräle St. Antoni", die vermutlich von einem alten burgenländischen Wallfahrtslied stammt. Mit den Variationen über dieses Thema schuf Brahms eines der bedeutendsten Varia tionenwerke der deutschen Musikliteratur überhaupt, dessen Anregungen bis hin zu Reger und Hindemith spürbar bleiben. Das Werk wurde übrigens in zwei Fassungen geschrieben, für zwei Klaviere und für Orchester. In acht Variationen,