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die satztechnische Kabinettstücke sind, wird eine Fülle herrlichster Musik ver strömt, deren phantasievoller Einfallsreichtum, Formvollendung und gedanklich geistige Tiefe auch den Hörer fasziniert, der den Variationenzyklus nicht rationell aufnimmt, sondern die Ausdruckskraft dieser Musik gewissermaßen „unbelastet auf sich wirken läßt. Der Höhepunkt der Komposition ist das Andante-Finale, eine Chaconne, in der siebzehnmal ein aus dem Thema entwickelter Baßgang wiederholt wird, über dem sich neue Tonfiguren und Melodien erheben, bis das Hauptthema den festlichen Ausklang herbeiführt. Clara Schumanns Worte über das Werk, die sie anläßlich einer Leipziger Aufführung Anfang 1874 dem Diri genten Hermann Levi schrieb, sind symptomatisch für die Begeisterung, die diese Komposition auslösen kann, und seien darum hier wiedergegeben: „Die Variationen sind zu herrlich! Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll, die Charakteristik einer jeden Variation, die prachtvolle Abwechslung von Anmut, Kraft und Tiefe oder die wirkungsvolle Instrumentation — wie baut sich das auf, mit welcher Steigerung bis zum Schluß hin! Das ist Beethovenscher Geist von Anfang bis Ende." „Die Arbeit geht sehr langsam vorwärts und will mir nicht gelingen", heißt es in einem Brief Peter Tschaikowskis an seinen Bruder Anatol während der Komposition des Klavierkonzerts Nr. 1 b-Moll op. 2 3. „Grundsätzlich tue ich mir Gewalt an und zwinge meinen Kopf, allerlei Klavierpassagen auszu tüfteln." Diese Zeilen zeugen von der unerbittlichen Selbstkritik, die der Meister immer von neuem an sich übte, von seiner schöpferischen Unzufriedenheit, die es ihm stets schwer machte, an seine künstlerische Leistung zu glauben. Aber auch der berühmte russische Pianist Nikolai Rubinstein, Direktor des Moskauer Konservatoriums, dem Tschaikowski das Werk ursprünglich widmen wollte und von dem er technische Ratschläge für die Gestaltung des Soloparts erbeten hatte, lehnte es mit vernichtenden Worten als völlig unspielbar und schlecht ab, was sich der Komponist sehr zu Herzen nahm. Und doch sollte gerade das 1875 beendete b-Moll-Konzert eine der allerbekanntesten und beliebtesten Schöpfungen Tschaikowskis werden. Der Komponist widmete es nach der Ablehnung Rubin steins dem deutschen Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow, einem großen Verehrer seiner Musik. „Ich bin stolz auf die Ehre, die Sie mir mit der Widmung dieses herrlichen Kunstwerkes erwiesen haben, das hinreißend in jeder Hinsicht ist", schrieb Bülow, der das Konzert bei der Uraufführung am 25. Oktober 1875 in Boston spielte und es in Amerika und Europa zu größten Erfolgen führte. „Die Ideen sind so originell, so edel, so kraftvoll, die Details, welche trotz ihrer großen Menge der Klarheit und Einigkeit des Ganzen durchaus nicht schaden, so interessant. Die Form ist so vollendet, so reif, so stilvoll — in dem Sinne nämlich, daß sich Absicht und Ausführung überall decken." Seitdem ist der große Erfolg diesem an das Erbe Schumanns und Liszts anknüpfenden wie auch Elemente der russischen Volksmusik aufgreifenden und doch ganz persönlich geprägten Werk stets treu geblieben. Eingängige, sinnenfreudige Melodik und originelle Rhythmik, aufrüttelndes, lebensbejahendes Pathos und musikantischer Schwung, stilistische Eleganz und virtuose Brillanz sind die Eigenschaften, die es zu einem Lieblingsstück sowohl des Publikums als auch der Pianisten aller Länder werden ließen. Mit einer außerordentlich schwungvollen selbständigen Einleitung beginnt das Werk, das von Hörnerfanfaren eröffnet wird. Eine durch Violinen und Violon cello vorgetragene, schwelgerische Melodie wird vom Soloinstrument zunächst mit rauschenden Akkorden begleitet, dann von ihm aufgenommen und ausge schmückt und schließlich nochmals original in den Streichern gebracht. Das Hauptthema des folgenden Allegro con spirito ist einem ukrainischen Volkslied nachgebildet, das der Komponist von blinden Bettelmusikanten auf dem Jahr markt in Kamenka bei Kiew gehört hatte. Ihm steht ein innig-gefühlvolles Seiten thema kontrastierend gegenüber. Ein buntes, glanzvolles Wechselspiel zwischen Solopart und Orchester mit mehreren virtuosen Höhepunkten kennzeichnet den Verlauf der hauptsächlich von Motiven des zweiten Themas getragenen Durch führung des Satzes. Lyrisch-kantabel ist der Anfangsteil des in Liedform aufgebauten zweiten Satzes: Von Violinen, Bratschen und Celli zart begleitet, bläst die Flöte eine sanfte, an mutige Melodie. In den lebhafteren, scherzoähnlichen mittleren Teil fand ein modisches französisches Chanson „II faut s'amuser, danser et rire" (Man muß sich freuen, tanzen und lachen) Eingang. Der Schlußteil führt dann wieder in die verträumt-idyllische Anfangsstimmung zurück. Von sprühendem Temperament, kraftvoll-tänzerischer Rhythmik ist das stark durch ukrainische Volksmusik inspirierte Finale, ein Rondo, erfüllt. Neben dem feurigen, fröhlichen Hauptthema, dessen Melodie einem ukrainischen Frühlings lied entstammt und das zu wilder Ausgelassenheit gesteigert wird, gewinnt im Verlaufe des Satzes auch das gesangliche, ausdrucksvolle zweite Thema Bedeu tung. Ein hymnisch-jubelnder, wirkungsvoller Schluß beendet das Werk. Dr. Dieter Härtwigl VORANKÜNDIGUNGEN: Sonnabend, den 28. März 1970, 20 Uhr, Kulturpalast 9. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solistin: Annerose Schmidt, Leipzig, Klavier Werke von Tittel, Mozart und Brahms Freier Kartenverkauf Donnerstag, den 9. April 1970, 20 Uhr, Kulturpalast 10. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solist: Ralph Kirkpatrick, USA, Cembalo Klavier Werke von Tamberg, Bach, Mozart und Haydn Freier Kartenverkauf Sonntag, den 12. April 1970, 20 Uhr, Saal des Landhauses 6. LANDHAUS-KONZERT Werke von W. Fr. E. Bach, Büttner, Eisler und Casella Anrecht D und fr. Kartenverk. Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1969 70 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: veb polydruck Werk 3 Pirna - 111-25-12 1,5 ItG 009-25-70 »Inilhamnoni 8. A U S S E RO R D E N T LIC H E S KONZERT IM ANRECHT BÜR DIE JUGBJJD