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DRESDNER PHILHARMONIE Freitag, den 9. Januar 1970, 20 Uhr Sonnabend, den 10. Januar 1970, 20 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 4. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solistin: Silvia Marcovici, SR Rumänien, Violine Henry Purcell 1659-1695 The Gordian Knot Untied (Der gordische Knoten) Suite für Streichorchester und Generalbaß Ouvertüre Air Rondeau Minuet Air Chaconne Jig Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 Erstaufführung Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64 Allegro molto appassionato Andante Allegretto non troppo — Allegro molto vivace PAUSE Antonin Dvorak 1841-1904 Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88 Allegro con brio Adagio Allegretto grazioso Allegro ma non troppo Silvia Marcovici, 1952 in Bacau (Rumänien) geboren, begann ihr Violin- studium im Alter von 7 Jahren an der Musikschule ihrer Geburtsstadt und gewann bereits als 10- und 12jährige jeweils einen 1. Preis im nationalen Festival für junge Solisten. Als Schülerin Prof. Ävachians am Bukarester Konservatorium errang sie 1965 einen weiteren 1. Preis in einem nationalen Wettbewerb für junge Künstler. Bei Stephan Gheorghiu setzte sie sodann ihre Studien am Bukarester Konservato rium fort. Im September 1968 spielte die 16jährige Geigerin erstmals außerhalb ihrer Heimat und in einem öffentlichen Sinfoniekonzert mit dem Residentie- Orchester Den Haag (Niederlande). Mit diesem Auftreten erzielte Silvia Marco vici einen nachhaltigen Erfolg und wurde sofort für weitere Konzerte sowie für eine Fernsehsendung in Holland verpflichtet. In einem der Konzerte, die Kurt Ma- sur im November 1969 mit dem Residentie-Orchester gab, wirkte die junge Künst lerin, die im Sommer 1969 in Paris den bekannten Jacques-Thibaud-Wettbewerb gewann, als Solistin mit. ZUR EINFÜHRUNG Als Englands wohl bedeutendster nationaler Komponist gilt, wenn man von dem zeitgenössischen Tonsetzer Benjamin Britten absieht, ein Meister des 17. Jahr hunderts: Henry Purcell, der 1679 Organist an Westminster Abbey zu London, 1682 einer der Organisten der Chapel Royal und 1683 königlicher In strumentenverwalter wurde. Der musikalischen Tradition seines Vaterlandes, ins besondere dessen Volksmusik, zutiefst verpflichtet, aber auch Einflüssen von Italien, Frankreich und Deutschland aufgeschlossen, schrieb er großartige Vokalwerke, Kantaten, Kirchenmusiken, die Oper „Dido and Aeneas" (1675), sechs Halbopern (das sind Opern mit gesprochenem Dialog bzw. Schauspiele, in denen die Musik einen bedeutenden Anteil einnimmt), von denen „The Fairy Queen" zu den wert vollsten Schöpfungen des englischen Meisters zu rechnen ist, ferner Orchester- und Kammermusikwerke sowie zahlreiche Schauspielmusiken, von denen die Ge samtausgabe seiner Werke allein 47 enthält. Zu den vielfach noch ungehobenen Schätzen unter dem letztgenannten Genre der Purcellschen Kunst gehört seine Musik zu dem anonymen Schauspiel „The Gordian Knot Untied" (1690 91), aus dem eine Suite unser heutiges Konzert eröffnet. Die für Streichorchester und Generalbaß konzipierten Sätze dieses Werkes demonstrieren so recht die vielseitige Kompositionstechnik und die reiche Erfindungskraft Henry Purcells, seine persönlich geprägte Kunst im harmo nischen Satz und in der kontrapunktischen Stimmenkombination, sein Streben nach Einfachheit der musikalischen Aussage, ohne gleichzeitigen Verzicht auf edles Pathos und stille Würde sowie seine Neigung zu übersichtlichen und symmetri schen Rhythmen. Die Suite „Der gordische Knoten", von einer festlichen dreitei ligen Ouvertüre im französischen Stil eröffnet, offenbart zugleich die lyrische Seite des Komponisten, der für Georg Friedrich Händels englische Schaffens periode entscheidendes Vorbild werden sollte. Anmutig-liedhafte, aber auch kraftvolle Airs und Tanzsätze wechseln einander ab. Besonders die Chaconne und die schwungvolle altenglische Jig (Gigue) seien hervorgehoben. Eines der bekanntesten und meistgespielten Violinkonzerte überhaupt ist neben den berühmten Konzerten von Beethoven, Brahms und Tschaikowski das Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64 von Felix Mendelssohn Bartholdy. Das Werk — übrigens wie die Schöpfungen der eben genannten Meister auch Mendelssohns einziger Beitrag zu dieser Gat tung - entstand in seiner endgültigen Gestalt im Sommer 1844 in Bad Soden, wo der Komponist im Kreise seiner Familie heitere, ungetrübte Ferientage ver lebte; erste Entwürfe dazu stammen jedoch bereits aus dem Jahre 1838. Am 13. März 1845 wurde das Violinkonzert im Leipziger Gewandhaus unter der Leitung des dänischen Komponisten Niels W. Gade durch den Geiger Ferdinand David (Konzertmeister des Gewandhausorchesters) uraufgeführt, für den es geschrieben worden war und der den ihm befreundeten Mendelssohn auch schon bei der Ausgestaltung des Soloparts in violintechnischer Hinsicht beraten hatte. Nach der erfolgreichen Uraufführung schrieb David an den gerade in Frankfurt M. weilenden Komponisten einen begeisterten Brief, in dem es u. a. über das Werk hieß: „Es erfüllt aber auch alle Ansprüche, die an ein Konzertstück zu machen sind, in höchstem Grade, und die Violinspieler können Dir nicht dankbar genug sein für diese Gabe." Bis heute hat sich an diesem Urteil nichts geändert; ver einigt das unverblaßt gebliebene Konzert, das sich vor allem durch seine har monische Verbindung von (niemals leerer) Virtuosität und Kantabilität sowie durch eine ausgesprochen einheitliche Thematik auszeichnet, doch auch wirklich in schönster Weise alle Vorzüge der Schaffensnatur seines Schöpfers: formale Ausgewogenheit, gedankliche Anmut und jugendliche Frische. Ohne Einleitungstutti beginnt der schwungvolle erste Satz (Allegro molto appas sionato) mit dem gleich im zweiten Takt einsetzenden, vom Solisten vorgetrage nen gesanglichen Hauptthema von echt violinmäßiger Prägung. Neben diesem Thema werden im Verlaufe des von blühender romantischer Poesie erfüllten