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DRESDNER PHILHARMONIE Sonnabend, den 17. Januar 1970, 20 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 5. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Günter Blumhagen, Jena Solist: Stefan Askenase, Belgien, Klavier Wolfgang Amadeus Mozart 1756- 1791 Konzert für Klavier und Orchester G-Dur KV 453 Allegro Andante Allegretto — Presto Benjamin Britten geb. 1913 „The Young Person’s Guide to the Orchestra“ Variationen und Fuge über ein Thema von Henry Purcell op. 34 Zum ersten Male Ludwig van Beethoven 1770 - 1827 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58 Allegro moderato Andante con moto Rondo (Vivace) GÜNTER BLUMHAGEN wurde 1930 in Hartha Sa. geboren. Nach dem Abitur studierte er an der Dresdner Musikhoch schule „Carl Maria von Weber", u. a. bei Prof. Johannes Schneider-Marfels (Klavier) •Prof. Ernst Hintze (Dirigieren). 1952 bis war er Chefkorrepetitor an der Staats oper Dresden, 1956 — 1960 1. Kapellmeister am Staatstheater Schwerin, 1960 — 1965 hatte er die gleiche Position bei den Städtischen Theatern Karl-Marx-Stadt inne. 1965 — 1967 wirkte er als Leiter des Orchesters der IG Wismut, 1967 — 1969 als Leiter des Staat lichen Sinfonieorchesters Jena, das 1969 in die „Jenaer Philharmonie" umgewandelt wurde, als dessen Künstlerischer Leiter und Direktor Günter Blumhagen berufen wurde. Auslandsreisen führten den Künstler bisher nach Finnland, Ungarn, in die CSSR und nach Polen. Funkaufnahmen produzierte er mit allen Rundfunkorchestern der DDR. Mit der Dresdner Philharmonie musizierte er erstmalig im Jahre 1965. STEFAN ASKENASE, der 73jährige belgische Pianist polnischer Herkunft von legendärem Ruf, musizierte bereits im Jahre 1929 das erste Mal mit der Dresdner Phil harmonie (in Rachmaninows 2. Klavierkon zert). Seine erste musikalische Ausbildung hatte er durch seine Mutter erhalten und sein Können sodann in Wien bei Emil von Sauer vervollkommnet. 1922 bis 1925 war er Lehrer am Konservatorium in Kairo und übersiedelte dann nach Brüssel, wo er noch heute als Professor am Königlichen Konser vatorium lehrt. Stefan Askenase hat in sämt lichen Ländern Europas mit fast allen be deutenden Orchestern und Dirigenten unse rer Zeit konzertiert. Nach dem zweiten Weltkrieg führten ihn seine Reisen auch nach Südamerika, Afrika, Ägypten, Israel, Java und Sumatra. Sensationelle Erfolge verzeichnete er bei seinen jüngsten Tourneen in England, der Schweiz, in Italien, Israel und Skandinavien. Besonderes Ansehen genießt der Künstler als Mozart- und Cho pin-Interpret. Bereits in der vergangenen Spielzeit war er gefeierter Gast der Dresd ner Philharmonie. ZUR EINFÜHRUNG Wolfgang Amadeus Mozarts Konzert für Klavier und Orchester G-Dur KV 453 gehört zu einer Reihe von zwölf großen Kla vierkonzerten, die der Komponist als Höhepunkt seines Schaffens auf diesem Gebiete in den Jahren 1784 bis 1786 schuf und selbst in eigenen Konzerten, so genannten „Akademien“, zur Aufführung brachte. Wie das kurz zuvor entstan dene Klavierkonzert Es-Dur KV 449 ist auch das G-Dur-Konzert Mozarts begabter Schülerin Barbara (Babette) Ployer gewidmet, der Tochter eines in Wien leben den Landsmannes. Außer diesen beiden Konzerten schrieb der Komponist im ersten Halbjahr 1784 übrigens neben anderen Werken noch zwei weitere Klavier konzerte (in B- und D-Dur) — ein „Wunder an Produktionskraft" (A. Einstein), über die erste Aufführung des im April 1784 komponierten G-Dur-Konzertes berichtete Mozart dem Vater in einem Brief vom 9. Juni des Jahres: „Morgen wird bey Hrn. Agenten Ployer zu Döbling auf dem Lande Academie seyn, wo die Fräulein Babette ihr neues Concert ex G . . . und wir beyde dann die große Sonate auf zwey Claviere spielen werden." Weniger virtuose Brillanz oder effekt volle Dramatik als vielmehr ein großer Reichtum an reizvollen klanglichen Schat tierungen, Intimität, Zartheit und Schlichtheit kennzeichnen das von gelöster, teilweise leicht überschatteter Heiterkeit erfüllte G-Dur-Konzert, in dem nament lich den Bläsern bedeutungsvolle Aufgaben übertragen wurden. Soloinstrument und Orchester sind hier aufs engste miteinander verknüpft. Den Eindruck eines mühelosen, anmutsvollen Dahinströmens vermittelt uns der erste Satz, ein Allegro, das sich im fein abgestuften Wechsel der Farben und Stimmungen entfaltet. Häufige Modulationen in z. T. weit entfernte und unge wöhnliche Tonarten tragen zu diesem Eindruck bei. - Das folgende Andante in C-Dur nimmt nach besinnlichem, zögerndem Beginn ernste und leidenschaftliche Züge an und überrascht durch unerwartete Kontraste und kraftvolle Farbwirkun gen. — Im letzten, spürbar von Haydn beeinflußten Satz (Allegretto) wurden die Bläser besonders reich bedacht. Formal als eine Art Mischung zwischen Rondo form und freiem Variationensatz angelegt, sprüht dieser Schlußsatz mit seinem naiv-fröhlichen Hauptthema vor Heiterkeit und guter Laune. Den wirkungsvollen Abschluß bildet eine mit Finale überschriebene Stretta im Presto-Tempo. „Ich bin in erster Linie und am meisten Künstler, und als Künstler will ich der Ge meinschaft dienen, nicht ins Leere hineinschreiben. Ich finde es als Komponist wertvoll zu wissen, wie die Zuhörer auf die Musik reagieren." Diese Worte Benjamin Brittens, des bedeutendsten zeitgenössischen englischen Kom ponisten, geben interessanten Aufschluß über seine Einstellung zum Verhältnis Künstler und Publikum. Die enge Verbundenheit mit dem Hörerkreis erscheint ihm also für den schöpferischen und nachschaffenden Musiker lebensnotwendig. Aus solcher Einsicht resultiert aber auch jenes ganz bezeichnende Merkmal seines Schaffens, das in der Gegenwartsmusik der kapitalistischen Länder durchaus nicht häufig anzutreffen ist: Brittens spontane schöpferische Kraft, sein lyrisch-melodi scher Empfindungsreichtum, sein handwerklich müheloses Gestaltungsvermögen haben seine Musik in die Lage versetzt, die in westlichen Ländern leider noch oft bestehende Kluft zwischen Künstler und Gesellschaft zu überbrücken. Seine Musik hat nicht nur in England, sondern auch im internationalen Maßstab größten Widerhall bei breitesten Hörerschichten gefunden. Obwohl der englische Kom ponist in erster Linie ein hochbegabter Musikdramatiker mit erstaunlichem Thea terinstinkt ist („Albert Hering", „Peter Grimes", „Raub der Lukretia", „Billy Budd", „Gloriana", „Bettleroper", „Sommernachtstraum" u. a.), konnte er auch im Konzertsaal nachhaltige Erfolge erringen (Orchesterwerke, Konzerte, Vokal- und Kammermusikwerke). Dieser vielseitige Musiker führt die Tradition der eng lischen Musik fort, die mehr als 250 Jahre lang, seit dem Tode Henry Purcells (1659— 1695), der als Englands größter nationaler Komponist gilt, unterbrochen war.