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revolutionär bewegten Madrid zur erfolgreichen Uraufführung — am Vorabend des Sieges der republikanischen Volksfront. „Fast im Gegensatz zu der gärenden Umwelt, in der das Konzert zum erstenmal erklang, gibt sich das Werk selbst lyrisch und zurückhaltend — bis auf den an aggressiven Elementen reichen und im Kiang etwas harten Finalsatz. Ein amerikanischer Kritiker (Gerald Abraham, .Prokofjew als Sowjetbürger') stellte fest: das Wesen des Konzerts liege in der .Betonung der lyrischen Seite seines Wesens unter Verzicht auf seine humorvol len, grotesken und brillanten Wesenszüge'. Damit ist das zweite Konzert deutlich vom ersten Konzert geschieden, das vom Kontrast zwischen lyrischen und gro tesken Elementen lebte. Dazwischen lagen beinahe zwanzig Jahre. Prokofjew hatte die Revolution erlebt, war ins Ausland gegangen, nach Jahren heimgekehrt und erfuhr eine innere Revolution, die Neues gebar. Das Neue war das Erlebnis der Freiheit und der Zukunftsfreude in einem Sechstel der Erde, das Prokofjew zur stärkeren Beachtung seiner lyrisch-melodischen Begabung anregte, die er in der Pariser Zeit wenig hatte zu Wort kommen lassen ... Wie in kleinen Formen versuchte Prokofjew auch in großen Werken wie dem Violinkonzert zu lyrischen und melodischen Gestaltungsprinzipien vorzustoßen, die jede scharfe Harmonik und Instrumentation und ungewöhnliche, konstruktive Melodik meiden. Der Stil des neuen Konzerts ist kammermusikalisch, ohne übertrieben virtuose Elemente. Auffällig ist die wiedergewonnene Vorliebe für den traditionellen Aufbau der Form, die sogar so weit geht, daß Prokofjew in Klang, Melodik und innerer Formstruktur auf romantische Mittel zurückgreift, die den .Schumannianer' der Jahre vor der Emigration verraten. Erstmalig nach langen Jahren ist — vor allem in der Melodik — wieder die russische Intonation spürbar" (F. Streller). Dieser Sprung zur neuen Qualität gelang dem Komponisten auch mit dem fast gleich zeitig entstandenen Ballett „Romeo und Julia", das in seiner Lyrik mit dem zweiten Violinkonzert verwandte Züge aufweist. Den ersten Satz (Allegro moderato) bestimmen weit ausschwingende, lyrisch melodische Linien. Das von der Solovioline angestimmte Hauptthema gibt sich liedhaft, betont national und romantisch im Habitus. Marschrhythmen und Passagen führen zum zweiten Thema, das noch inniger, lyrisch-kantabler ist als das erste und mit seinen weitgespannten Intervallen, empfindsamen Wendungen und eleganten Modulationen zu den schönsten Eingebungen des reifen Prokof jew gehört. Der konfliktlosen Exposition folgt ein Satzverlauf, der in der Durch führung auch dramatischere Formen annimmt. — Gelassen und freundlich hell ist die Stimmung des zweiten Satzes (Andante), der an Prokofjews „Klassische Sinfonie" gemahnt und nach klassischen Entwicklungsprinzipien geformt ist: Variation und Polyphonie. Das kantable Thema des Soloinstrumentes erhebt sich über ostinater Trioienbewegung und wird verschiedentlich abgewandelt. - Das bis dahin zurückgehaltene Temperament Prokofjews bricht sich im stürmisch tänzerischen, ausgelassenen, betont dynamisch-rhythmischen Finale (Allegro ben marcato) seine Bahn. Dieses „Tanzstück" tragen verschiedene thematische Ge stalten: ein feuriges Hauptthema und zwei Seitengedanken von leidenschaft lich-drängendem, jedoch kantablen und von unruhig-elegischem Charakter. Die Reprise zeichnet sich durch harmonische „Würzen" in Form ausgelassener Akkordschichtungen aus. Mit bacchantischem Ungestüm, mit einigen harten Akkorden schließt das Werk. Richard Strauss mied in seiner frühen Schaffensperiode zunächst die Opernkomposition, mit der er sich später Weltgeltung verschaffte, und widmete sich mit großer Hingabe — in der Nachfolge Franz Liszts, doch bald über diesen hinauswachsend — der sinfonischen Dichtung. Straussens sinfonischen Dichtungen liegen stets „konkrete Programme" zugrunde: „Aus Italien", „Don Juan", „Macbeth", „Tod und Verklärung", „Till Eulenspiegel", „Also sprach Zarathustra", „Don Quichote", „Ein Heldenleben", „Sinfonia domestica", „Eine Alpensinfonie". Einen künstlerischen Höhepunkt innerhalb dieser an sich höchst ungleichwertigen Werkreihe erreichte der Komponist mit der genialen sinfonischen Dichtung Till Eulenspiegels lustige Streiche (nach alter Schelmen weise in Rondoform) op. 28, die 1895 in Köln uraufgeführt wurde, wohl Straussens liebenswürdigstes, heiterstes und amüsantestes Stück. Mit Recht sind der geistreiche Humor, der prickelnde Witz, die Ironie, aber auch die Gefühls kraft dieser Musik so berühmt. Einmalig ist die Art, wie der Komponist alle Nuancen der großen Orchesterpalette in diesem musikalischen „Schelmenstück" ausnützt. Die beiden wichtigsten Motive des Werkes sind Tills gemächliche „Schelmen weis", vom Horn angestimmt, die in allerlei Verwandlungen — je nach den Er lebnissen des „Helden" — refrainartig wiederkehrt, und ein prägnantes, nie überhörbares Klarinettenmotiv, die „Pointe" zu jedem Abenteuer Tills. Und weu Phantasie hat, hört unschwer heraus, was Meister Strauss seinen Till erleb« läßt: wie er das Geschirr der Marktweiber von den Hufen seines Pferdes zer schlagen läßt, wie er in Priesterverkleidung vor dem Volke spricht, wie er sich verliebt, schmachtet und einen Korb erhält, wie er sich in „gelahrte“ Disputatio nen einläßt und brave Wissenschaftler mit einem Gassenhauer zum Narren hält. Aber damit haben Tills Streiche ein Ende gefunden. Vor Gericht gebracht, wird er nach viermaliger Befragung zum Tode verurteilt (Posaunen und Hörner). Und schon wird Till am Galgen aufgeknüpft (das zerflatternde Klarinettenmotiv deu tet die letzten kläglichen Seufzer Tills an). Das Nachspiel, das den volkslied haften Ton des Beginns wieder aufnimmt, vermittelt die trostreiche Gewißheit, daß der närrische Geist Till Eulenspiegels unsterblich ist und in den Erzählungen des Volkes weiterleben wird. Dr. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNGEN: 27. November 1969, 20 Uhr, Kulturpalast 3. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solistin: Rosa Fain, Sowjetunion, Violine Werke von Ernst Hermann Meyer, Mozart und Mendelssohn Bartholdy Freier Kartenverkauf 25. und 26. Dezember 1969, jeweils 20 Uhr, Kulturpalast 4. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solistin: Yaeko Yamane, Japan, Klavier Werke von Mozart, Chopin und Liszt Freier Kartenverkauf 1. Januar 1970, 20 Uhr, Kulturpalast 2. KONZERT IM ANRECHT C Dirigenten: Kurt Masur / Lothar Seyfarth Solistin: Sylvia Gesty, VR Ungarn / Berlin, Sopran Anrecht C Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1969/70 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 43159 III 9 5 1,6 1169 JtG 009/96/69 (•Hiilharnnonii 1. KONZERT IM ANRECHT C 1969/70