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Wolfgang Amadeus Mozarts „große" g-Moll-Sinfonie (KV 550) — so genannt zum Unterschied von der fünfzehn Jahre früher entstandenen „kleinen" in der gleichen Tonart (KV 183) — ist eine der berühmten letzten drei Sinfonien des Komponisten, die auf diesem Gebiet seines Schaffens Ab schluß und Höhepunkt zugleich darstellen. In unmittelbarer Folge wurden die Sinfonien in Es-Dur (KV 543), g-Moll und C-Dur (KV 551) im Sommer des Jah res 1788 in der unfaßbar kurzen Zeit von Juni bis August niedergeschrieben. Es ist uns kein bestimmter Anlaß für die Entstehung dieser drei ihrem Charakter nach so verschieden gearteten Meisterwerke bekannt; wir wissen nicht einmal, ob Mozart sie überhaupt jemals in einer Aufführung gehört hat. Wenn auch keine Hinweise dafür existieren, daß der Komponist die drei Sinfonien als eine Art Trilogie, als in sich zusammenhängende Einheit geplant hätte, so bilden die anmutig-heitere Es-Dur-, die dunkelgestimmte, schmerzerfüllte g-Moll- und die strahlende, lösende C-Dur-(„Juplter"-)Sinfonie doch durch organisches Sich-Ergänzen ihrer Inhalte eine natürliche Einheit, gehören sie innerlich zu sammen. In einer Zeit schwerster wirtschaftlicher Sorgen geschaffen (gerade aus de^ Sommer 1788 liegen verzweifelte Briefe des Meisters vor), zeigt die g-Moll-Sin® fonie den erschütternden Niederschlag der „schwarzen Gedanken", von denen Mozart einmal schreibt, zeigt die ernsten Zweifel, die ihn bedrängten. Nirgends finden wir bei ihm ein Gegenstück, in dem mit einer solchen Ausschließlichkeit schmerzlichen Empfindungen Ausdruck gegeben wurde, wie in diesem von Leid und Schicksalskampf geprägten Werk. Mozarts Zeitgenossen empfanden die Sinfonie denn auch als befremdend düster, ja noch im Jahre 1802 wird sie in einer Leipziger Kritik „schauerlich" genannt. Während die Romantik dagegen sogar hier wieder nur den „ewig heiteren" Mozart sah und die Komposition als „anmutig-graziös" auffaßte, müssen wir heute doch trotz der Verklärung des Schmerzes durch wunderbar edle Formen, durch das klassische Streben nach Klarheit und Schönheit wieder die heftige seelische Erregung, die das Werk durchzieht, sein tragisches, düsteres Grundgefühl und die volle Größe dieser Schmerzlichkeit zu erkennen suchen. Ohne Einleitung beginnt der erste Satz (Allegro molto) sogleich mit der er regten Klage des Hauptthemas. Auch das zweite Thema bringt keinen Gegen satz, sondern erweitert lediglich den dunklen Charakter der heraufbeschworenen Stimmung durch sehnsuchtsvoll-wehmütige Töne. Die starke innere Spannung des Hauptthemas, dessen motivisches Material in der Durchführung dominiert, hält während des ganzen Satzes an. Nach erschütternden Wendungen, in denen trotziges Aufbegehren mit rührender Klage wechselt und zu dramatischen Aus einandersetzungen führt, klingt der Satz in schmerzlicher Resignation aus. — Im zweiten Satz, einem weit ausschwingenden, edlen Andante, bleibt der Grund charakter trotz schwärmerischen Schwelgens in sanfteren, weicheren Klängen ebenfalls traurig und nachdenklich. Neben dem schwermütigen ersten Thema werden hier zwei weitere, kunstvoll miteinander verwobene Themen bedeutungsg voll. — Selbst das folgende Menuett verrät kaum noch seine Herkunft von d^ zierlichen, verspielten Tanzform des Rokoko, sondern ist in seiner herben, ja schroffen Anlage im Gegenteil ein Sinfoniesatz von der gleichen Bedeutung und Härte wie etwa der erste Satz. Nur im lieblichen Trio wird vorübergehend ein heiter-tröstlicher Ton angeschlagen. — Voller wilder Unruhe und Leiden schaftlichkeit stürmt schließlich das Finale dahin, dessen Hauptthema übrigens Beethoven später als melodischen Kern des Scherzos seiner 5. Sinfonie c-Moll verwendete. Fast nirgends findet sich ein Ruhepunkt, auch das gesangliche zweite Thema kann nur für kurze Zeit Beruhigung bringen. Schärfste Ausein andersetzungen mit kontrapunktischen Verdichtungen und kühnen Modulatio nen in entfernteste Tonarten kennzeichnen den Verlauf dieses Satzes. An der tragischen Grundstimmung festhaltend, schließt die Sinfonie ohne befreiende Lösung ab. Dr. Dieter Hartwig